“Kopfjäger” in kopflosen Zeiten
Das Volk der Shuar im ecuatorianisch-peruanischen Grenzgebiet
“Ecuador, das sind wir alle.” Solche und ähnliche Parolen ließen während der Auseinandersetzungen im ecuatorianisch-peruanischen Grenzgebiet an der Sierra del Condor für kurze Zeit alle sozialen und vor allem rassistische Vorurteile vergessen. Der multi-ethnische Staat sorgte wie nie zuvor für Diskussionsstoff in der ecuatorianischen Öffentlichkeit. Im Zentrum des neu erwachten Nationalbewußtseins als Inkarnation des Widerstands stehen die Shuar. Zwar zahlenmäßig und waffentechnisch weit unterlegen, aber durch Geschick und zähes Beharren in der Lage, dem großen Nachbarn Paroli zu bieten. Kurz: eine Wohltat für das zerrüttete ecuatorianische Nationalbewußtsein und Anlaß zur Wiederbelebung eines Mythos’ mit Tradition.
Die Shuar gehören wie auch die Achuar und die auf peruanischer Seite lebenden Awajun (oder Aguaruna) und die Wampis zu der Sprachfamilie der Jivaros. Sie leben im Südosten des Oriente, der ecuatorianischen Amazonasregion zwischen dem Rio Pastaza und der Andenkordillere. Trotz jahrhunderterlanger hartnäckiger “Zivilisierungsbemühungen” halten die Shuar heute noch immer an ihren ursprünglichen Traditionen fest. Durch das Protokoll von Rio de Janeiro wurden sie 1942 in zwei Teile gespalten.
Im nationalen Bewußtsein Ecuadors sind die Shuar eine Art Legende, die zwischen Bewunderung und Abscheu pendelt und die nicht zuletzt durch den Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Roman “Cumandá” des erklärten Nationalschriftstellers Juan León Mera am Leben gehalten wird. In dieser Pflichtlektüre für alle Schulkinder werden die Jivaros als unerbittliche und grausame Krieger dargestellt, für die nur Rache und Ehre von Bedeutung sind. Der weise aber letztendlich “wilde” und ungläubige Häuptling Yahuarmaqui (zu deutsch: Bluthand) soll mit der schönen und erstaunlich zivilisierten Cumandá verheiratet werden. Sie ist die Tochter des Kaziken eines verfeindeten Stammes und wäre somit ein Friedenspfand. Cumandá möchte aber viel lieber den streng gläubigen und verträumten Carlos heiraten, den Sohn des katholischen Missionars. Die Sympathien werden also klar vorgegeben, und nach einer langen Odyssee durch den Oriente und vieler Dialoge zwischen Herzschmerz und Tragik wird deutlich, daß die Weißen die Guten sind und die “Wilden” die Bösen.
“Shuar” bedeutet “Menschen”
Die 1964 ins Leben gerufene Interessenvertretung der Shuar ist der CONAIE, der Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors, angeschlossen. Sie ging offensiv gegen die Bezeichnung “Jivaro” an, die im ecuatorianischen Sprachgebrauch eine eindeutig abwertende Konnotation hat. Sie selbst bezeichnen sich als “Shuar”, was in ihrer Sprache “Menschen” bedeutet.
Die CONAIE schätzt die Zahl der Shuar auf etwa 40.000 und die der Achuar auf rund 2400. Sie fordert seit Jahren, die Region um die Sierra del Condor einer Selbstverwaltung der Shuar zu unterstellen und zu entmilitarisieren.
Seit den 40er Jahren verfolgt die Regierung eine aggressive Kolonisierungspolitik im Gebiet entlang des Rio Zamora. Sie vergibt Kredite und verkauft abschnittweise Land für die Viehzucht, ohne sich um Gewohnheiten und Ansprüche der dort lebenden Shuar zu kümmern. Zwar werden in dieser Region reiche Gold- und Ölvorkommen vermutet, aber in erster Linie soll eine Infrastruktur für Siedler und Militärposten geschaffen werden.
Die Shuar leben traditionell in einem erweiterten Familienverband, in dem die Ehefrauen meist Schwestern sind. Sie zogen in einem etwa 10-jährigen Zyklus zu verschiedenen Gebieten im Regenwald, wo sie sich für einige Zeit niederließen, ohne anderen Familienverbänden ins Gehege zu kommen. Durch diese ursprünglich nomadische Lebensform hatten die Shuar der gezielten Invasion seitens der Regierung nichts entgegenzusetzen und lange Zeit auch auf gesetzlicher Ebene nicht die geringste Möglichkeit, ihre territorialen Ansprüche geltend zu machen.
Die sagenumwobenen Schrumpfköpfe werden heute nur noch aus bestimmten Affenschädeln hergestellt, die kultische Bedeutung der Tsantsa, wie das Ritual der Herstellung der Köpfe genannt wird, ist jedoch nach wie vor sehr groß. Als exotisch-makabere Mitbringsel grinsen Schrumpfkopfimitate in Quito von den Regalen jedes zweiten Souvenirladens.
Mittlerweile nimmt die Viehzucht neben der traditionellen Jagd und dem Fischfang bei den Shuar eine wichtige Rolle ein. Viele von ihnen leben heute in Siedlungen und kooperieren mit den dortigen SiedlerInnen vor allem bei der Goldsuche. Die vermuteten Goldvorkommen werden bislang ausschließlich von ecuatorianischer Seite erschlossen, allerdings nur in sehr geringem Maße.
Im Brennpunkt
Der inzwischen wieder aufgeflammte Konflikt um die Sierra del Condor zwischen Ecuador und Peru hat die Shuar und die BewohnerInnen der vereinzelten Siedlungen zwar schlagartig in die Mitte des nationalen Interesses katapultiert, aber Solidaritätsbekundungen aus der weit entfernten Hauptstadt nützen wenig, wenn die eigene Haut und eventuell auch noch ein wenig Hab’ und Gut in Sicherheit gebracht werden sollen. Die meisten Frauen und Kinder flüchteten aus dem Kriegsgebiet in größere Dörfer am Rande der Kordillere. Die nicht an den Scharmützel beteiligten Shuar zogen sich tiefer in den Regenwald zurück. Langsam kehren die BewohnerInnen. Sie sind die eigentlichen Leidtragenden dieses Krieges. Die Interessenvertretung der Shuar wandte sich mittels der CONAIE mit einem Protestschreiben und gleichzeitigem Spendenaufruf an die Weltöffentlichkeit, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Einige der ecuatorianischen Shuar meldeten sich freiwillig zur Unterstützung des Militärs. Ihre genaue Kenntnis der Region war von entscheidendem Vorteil für die EcuatorianerInnen gegenüber dem schweren, aber in diesem Gelände unbrauchbarem Militärgerät der Peruaner. Der Assimilierungsprozeß scheint Früchte zu tragen, stolz verkündete ein Shuar, bis ans Ende für sein Vaterland zu kämpfen. Zu den jenseits der Grenze lebenden peruanischen Shuar besteht nur noch wenig Kontakt. Hin und wieder mal ein Besuch, aber die politische Narbe hat auch in den Köpfen des früher zusammengehörigen Volks eine Bresche geschlagen. Die weitverbreitete Ansicht, die peruanischen Shuar seien zwangsrekrutiert worden und dienten nur als Kanonenfutter, paßt in das von der ecuatorianischen Presse verbreitete Feindbild.
Die ecuatorianische Bevölkerung bejubelte die Unterstützung durch die Shuar als Wendepunkt und neue Hoffnung. Die Presse berichtete vom Stützpunkt D561 am Rio Santiago, in dem sich neben Soldaten von der Küste, dem Hochland und der hauptsächlich von Farbigen bewohnten nördlichen Provinz Esmeraldas nun auch Shuar in ecuatorianischer Uniform tummelten, um in Eintracht und voller Begeisterung dem Feind standzuhalten.
Remigio Cayap, ein 19-jähriger Shuar, wird in seinem – gebrochenem – Spanisch zitiert: “Ich bin in einem Gefecht noch nie zurückgewichen, ich gehe nur vorwärts. Ich kenne den Krieg, und werde an der Seite meiner Brüder kämpfen.”
In der zweiten Woche nach offiziellem Ausbruch des Krieges durch den Abschuß eines peruanischen Hubschraubers, besuchte die Präsidentengattin Josefina die abgelegenen Stützpunkte, um den Soldaten Mut zuzusprechen und um die in allen Regionen des Landes als Solidaritätsbekundungen gesammelten Medikamente, Lebensmittel und Decken zu verteilen. Das Fernsehen übertrug Bilder von verlassenen Dörfern, von armseligen Behausungen und spartanisch eingerichteten Klassenzimmern, woraufhin die Regierung Verbesserungen der sanitären Einrichtungen, Krankenhäuser sowie Gelder für Schulen und bessere Straßen versprach. Doch jetzt, nachdem die Inszenierung einer nationalen Bedrohung durch die am 17. Februar in Brasilia unterzeichnete Friedenserklärung, in der die Schaffung einer entmilitarisierten Zone vorgesehen ist, erst einmal von der Tagesordnung zu sein scheint, und Quito in seine Normalität zwischen Parteiintrigen und Korruption zurückkehrt, sind auch die akuten Gründe für bessere Infrastruktur in der Amazonasregion erst einmal wieder vom Tisch.
Elisabeth Schumann
“Digo que estoy “integrado”
porque en este momento
no estoy hablando en lengua shuar,
mi lengua,
sino en la de ustedes que es
el castellano.
los pueblos indios estan integrados
por medio de la lengua.
Nos preguntamos
ソCuando se integran los
hispanohablantes
a la realidad nacional,
hablando nuestras lenguas?”
Ampam Karakras, Shuar, 1984
Ich sage, daß ich “integriert”bin,
weil ich jetzt gerade
nicht in der Sprache der Shuar spreche,
meine Sprache,
sondern in Eurer Sprache,
dem Spanischen.
Die indianischen Völker sind integriert
durch die Sprache.
Wir fragen uns,
wann werden die Spanischsprachigen
sich integrieren
in die nationale Realität,
in dem sie unsere Sprachen sprechen.