Chile | Korruption | Nummer 526 - April 2018

KORRUPTE COPS

Über mehrere Jahre flossen Millionen in die privaten Taschen chilenischer Polizist*innen

Korruption ist auch in Chile seit einigen Jahren ein brisantes Thema. Seit dem Bekanntwerden diverser Schmiergeldzahlungen von privaten Unternehmen an die politische Elite des Landes (siehe LN 491) rutschte Chile im Korruptions-Wahrnehmungsindex von Transparency International von Platz drei auf Platz 26 ab. Ganz zu schweigen vom immensen Vertrauensverlust der Bevölkerung. Nun steht mit den Carabineros – der wichtigsten Polizeieinheit mit militärischer Tradition – die im Land bislang beliebteste Institution im Fokus. Fälle von Veruntreuung, Polizeigewalt und Beweismittelfälschung reihen sich aneinander und offenbaren den wahren Charakter der Polizei in Chile.

Von David Rojas Kienzle

Bald selbst hinter Gittern? Gegen mindestens 120 Polizist*innen wird ermittelt (Fotos: David Rojas Kienzle)

Der neue chilenische Präsident Sebastián Piñera hatte sein Amt am 11. März keinen ganzen Tag inne, da musste er schon ein erstes Problem angehen. Am selben Tag, an dem die politische Rechte das Regierungsgeschäft von der vorherigen Mitte-Links-Regierung übernahm, traten Bruno Villalobos, der Generaldirektor der Carabineros, und der Chef der geheimdienstlichen Abteilung Gonzalo Blu zurück. Was auf den ersten Blick wie ein Zeichen von Misstrauen gegenüber der neuen Regierung scheint, ist das Ergebnis einer Reihe von Skandalen, die die chilenische Polizei in letzter Zeit erschüttert hat.

Da ist zunächst der „Pacogate“ genannte Korruptionsskandal: Wie Anfang letzten Jahres ans Licht kam, hatte eine „Mafia innerhalb der Carabineros“, so der mittlerweile geläufige Terminus, nach letzten Ermittlungen über mehrere Jahre knapp 30 Milliarden Peso (ca. 40 Millionen Euro) aus den Mitteln der Carabineros in die eigenen Taschen fließen lassen. Die Geldsumme wächst allerdings mit jeder neuen Pressemitteilung der ermittelnden Staatsanwaltschaft und ist möglicherweise noch um einiges höher. Angeklagt sind 12 von 41 Generälen der Carabineros, die jeweils zwischen 100 und 500 Millionen Peso (ca. 130.000 bis 645.000 Euro) kassiert haben sollen.

Insgesamt wird gegen mehr als 120 Polizeibeamt*innen ermittelt, aber auch diese Zahl wächst mit jedem neuen Ermittlungsergebnis. Knotenpunkt des Kartells war allem Anschein nach der mittlerweile inhaftierte General Flavio Echeverría, ehemaliger Finanzchef der Carabineros. Dieser sagte nach Angaben der Tageszeitung El Mercurio aus, dass lediglich 40 Prozent der Mittel, die der Polizei zur Verfügung standen, den Gesetzen entsprechend verwendet wurden. Der große Rest sei für Geschenke, Reisen und überhöhte Löhne verwendet worden. Des Weiteren erklärte er, er habe, als er die Institution verlassen habe, dem jetzt zurückgetretenen General Villalobos einen Sack mit 100 Millionen Peso übergeben. Das Geld sei vorher in zwei Tresoren aufbewahrt worden.

Ein weiterer Fall ist der „Caso Retén“, in dem es um Unregelmäßigkeiten beim Bau mehrerer Polizeistationen im Süden Chiles geht. Hierfür wurde General Felix Flóres, der im „Pacogate“ ebenfalls als Geldempfänger genannt wird, im März 2018 unter Hausarrest gesetzt. Er soll Mittel für die Instandsetzung der Polizeistationen, die durch das schwere Erdbeben 2010 beschädigt wurden, in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Neben ihm wird in diesem Fall noch gegen drei andere Polizisten ermittelt.

Lediglich 40 Prozent der Mittel für die Polizei wurden den Gesetzen entsprechend verwendet.

Auch gegen einen weiteren Ex-General laufen die Ermittlungen. Die Ermittler*innen waren Eduardo Gordon auf die Schliche gekommen, nachdem 2010 ein Betrag von ca. 21 Millionen Peso (ca. 28.000 Euro), der angeblich für PR-Zwecke verwendet worden war, nicht entsprechend belegt werden konnte. Die Summe wurde von General Jorge Serrano aus eigener Tasche erstattet, der das Geld jedoch von Gordon überwiesen bekam. Angeblich sei es für wohltätige Stiftungen verwendet worden. Wie erste Ermittlungen ergaben, soll das Geld stattdessen für Geschenke an Beamt*innen in Gordons näherer Umgebung draufgegangen sein.

Erhebliche Summen also, die nicht für Polizeiarbeit verwendet wurden. Doch woher kam all das Geld? Und wie konnte trotzdem die Polizeiarbeit verrichtet werden, wenn ja angeblich mehr als die Hälfte der den Carabineros zur Verfügung stehenden Mittel im Korruptionssumpf unterging?
Nach bisherigen Ermittlungen gab es innerhalb der Carabineros dafür unterschiedliche Methoden. Da sind zum einen die fast 7.000 „Geistercarabineros“: Im Haushalt für das Jahr 2017 waren Mittel für 65.085 Beamt*innen – sowohl in der Verwaltung als auch im Außendienst – innerhalb der Carabineros vorgesehen. Wie sich herausstellte, waren in Wirklichkeit lediglich 58.228 Carabineros beschäftigt. Diese Differenz war nicht aufgefallen, weil per Gesetz die genaue Anzahl der Streitkräfte und Carabineros als geheim eingestuft wird. Für die Besoldung dieser 7.000 Carabineros wurden also Mittel bereitgestellt, die dann im Apparat versickert sind.

Eine weitere Methode war die Erhöhung des Etats für bestimmte Einsätze. Ein Beispiel dafür ist die Erhöhung um insgesamt fast 22 Milliarden Peso (ca. 29 Millionen Euro), die der Ex-Finanzchef Echeverría für den „ethnischen Konflikt“ mit den indigenen Mapuche in der Region Araucanía zwischen 2013 und 2016 bewilligt bekommen hatte. Dies entspricht gegenüber den Vorjahren einer Erhöhung um das Dreißigfache. Damit wurden allerdings nicht nur die Repressionen gegen Mapuche vorangetrieben, sondern auch erhebliche Summen für die Bereicherung einzelner Funktionäre zur Seite gelegt.

Um den Selbstbedienungsladen am Laufen zu halten, wurden auch Personen außerhalb der Carabineros eingespannt. Der Polizist a.D. José Inapaimilla soll beispielsweise Personen rekrutiert haben, welche sich als Beamt*innen ausgaben, die in Rente gehen würden. Nach bisherigen Erkenntnissen sollen auf diese Art und Weise 4 Milliarden Peso (ca. 5 Millionen Euro) zusammengekommen sein.
Die Skandale um die Carabineros beschränken sich allerdings nicht nur auf Korruptionsfälle. So vergeht kaum eine Demo, ohne dass NGOs im Nachgang die Missachtung von Menschenrechten durch die Uniformierten beklagen. Zuletzt etwa hat am 3. April das Nationale Institut für Menschenrechte (INDH) Klage wegen der Misshandlung eines Demonstranten eingelegt, der auf einer Studierendendemo von Carabineros erst bewusstlos geprügelt und dann festgenommen wurde. Als er sich auf der Wache übergeben musste, wurde ihm zu allem Überfluss auch noch medizinische Versorgung verweigert.

Jetzt laufen sie Carabineros auf der Avenida Brasil in der Hauptstadt Santiago

Noch schwerwiegender als die alltägliche Polizeigewalt und -brutalität sind die Erkenntnisse, die um die „Operation Hurrikan“ (siehe LN 521) zu Tage gefördert wurden. In einer medial gut aufbereiteten Aktion hatten Carabineros verschiedene Mapuche-Gemeinden gestürmt. Den acht festgenommenen Mapuche wurden Brandanschläge auf Lastwagen sowie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Ein Gerichtsbeschluss, dass das Verfahren einzustellen sei und ein Hungerstreik der Inhaftierten von 109 Tagen später stellte sich heraus, dass sämtliche Beweise, die die geheimdienstliche Einheit der Carabineros ermittelt hatte, frei erfunden waren.

Die Carabineros hatten bei der Telekommunikationsüberwachung auf das Programm „Antorcha“, („Fackel“) zurückgegriffen. Dieses wurde vom selbsternannten Informatiker Álex Smith erstellt. Er hatte behauptet, auf diesem Wege die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des Chat-Programms WhatsApp geknackt zu haben, was sich später als Humbug erwies. Smith, der zu seiner freiberuflichen Tätigkeit bei den Carabineros kam, weil ein Polizist bei ihm einen Kurs gemacht und ihn empfohlen hatte, hatte sämtliche seiner Qualifikationen gefälscht – genau wie sein Programm. Diese Erkenntnisse hatten dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft Anfang Februar die Kriminalpolizei PDI beauftragte, die Carabineros in der südchilenischen Stadt Temuco zu durchsuchen. Dies wäre fast von Spezialeinheiten der Carabineros verhindert worden, die mit gepanzertem Gerät bereitstanden, um gegen die PDI vorzugehen.

Der Umstand, dass Polizist*innen aktiv Beweise fälschen, schien zunächst kein großes Problem für Präsident Piñera zu sein. Wie so oft, wenn in autoritären Strukturen Probleme öffentlich werden, ist vielmehr das Aufzeigen dieser Probleme anscheinend das größte Problem: „Dass zwei Institutionen, die der Sicherheit der Chilenen dienen sollen, sich gegenseitig beschuldigen, (…) werden wir keine Minute tolerieren.“

Was sind also die Konsequenzen von Korruption, Polizeigewalt und Unfähigkeit? Zum einen hat das Prestige der Institution erheblich gelitten. Umfragen der Stiftung Paz Ciudadana zufolge werden die Carabineros mit jedem Jahr schlechter bewertet. Dabei fand die letzte Erhebung statt, noch bevor die schlimmsten Auswüchse der Korruption und die Manipulationen in der „Operation Hurrikan“ öffentlich wurden.
Zum anderen hat auf offizieller Seite das Stühlerücken angefangen. „Der Rücktritt des Generaldirektors ist ein erster Schritt von vielen tiefgreifenden Maßnahmen, die die Carabineros durchführen müssen“, so Präsident Piñera per Twitter. Doch wie tiefgreifend diese Maßnahmen sein müssen, ist kaum zu überblicken. Der Nachfolger von General Villalobos im Amt des Generaldirektors der Carabineros, Hermes Soto, versetzte derweil bereits 20 Generäle in den Ruhestand, um so die Institution zu modernisieren. Aber auch Soto hat schon einen Skandal an der Backe: In einem geleakten Lebenslauf wurden pikante Details aus seiner vita bekannt. So wurde Soto 1984 wegen eines Bordellbesuchs mit vier Tagen Arrest bestraft. Peanuts angesichts der anderen Skandale innerhalb der Carabineros. Aber die Institution kommt nicht zur Ruhe.

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