Brasilien | Nummer 373/374 - Juli/August 2005

Korruptionsskandal beutelt Lulas Regierung

PT hat Koalitionspartner mit Millionen bestochen

Roberto Jefferson, Ex-Vorsitzender der konservativen Brasilianischen Arbeitspartei PTB, hat am 14. Juni vor der Ethik-Kommission des Abgeordnetenhauses eine Schmiergeld-Affäre der Regierung Lula enthüllt. Das Geld stammt aus Werbeaufträgen, die die Agentur SMP&B von Staatsunternehmen erhalten hat. Präsidialamtsminister José Dirceu trat zwei Tage später von seinem Amt zurück. Seine Nachfolgerin ist die bisherige Bergbau- und Energieministerin Dilma Rousseff.

Gerhard Dilger

Wir müssen diese sauren Zitronen dazu verwenden, um einen neuen Zitronensaft zu machen”, sagte João Pedro Stedile, der Chefstratege der Landlosenbewegung MST, als er am 22. Juni vor der Presse den „Brief an das brasilianische Volk” (siehe Kasten) vorstellte. Studentenführer Gustavo Petta meinte: „Lula hat zwei Möglichkeiten: Entweder er bleibt Geisel der konservativen Sektoren und ihrer Offensive – oder er wendet sich dem Projekt zu, für das er gewählt worden ist”.
Dass die „konservativen Sektoren“ überhaupt in die Offensive kommen konnten, haben sich Präsident Lula und seine Arbeiterpartei PT allerdings selbst zuzuschreiben. Auslöser und Protagonist des Korruptionsskandals war nämlich ihr Verbündeter Roberto Jefferson, bis vor kurzem Vorsitzender der konservativen Brasilianischen Arbeitspartei PTB, über den Lula Wochen voher gesagt hatte: „Dem stelle ich einen Blankoscheck aus.“
Als Jefferson am Nachmittag des 14. Juni zu seinem Eingangsstatement vor der Ethik-Kommission des Abgeordnetenhauses ausholte, saßen Millionen BrasilianerInnen vor den Bildschirmen. Würde es ihm gelingen, eine wochenlang schwelende Korruptionsaffäre zur Regierungskrise zu machen? Knapp sieben Stunden später stand fest: Jefferson, der wegen Verhöhnung des Parlaments vor die Kommission zitiert worden war, ging als klarer Punktsieger aus dem Ring. In den Seilen hingen seine Kontrahenten der rechten Koalitionsparteien Liberale Partei (PL) und Progressive Partei (PP) sowie Lulas PT, vor allem José Dirceu, Lulas rechte Hand im Präsidentenpalast, und Parteichef José Genoino.
Doch eindeutige Beweise für seine Anschuldigungen, die PT habe die Koalitionsparteien mit Millionenbeträgen gefügig gemacht, blieb Jefferson schuldig, den Staatschef nahm er sogar ausdrücklich in Schutz.
Der 52-Jährige aus dem Bundesstaat Rio, der seit 23 Jahren im Kongress sitzt, war bislang ein Paradebeispiel für jene brasilianischen Spitzenpolitiker, die immer mit dem Strom schwimmen. Anfang der 90er Jahre gehörte er zum „Stoßtrupp“ des konservativen Staatchefs Fernando Collor de Mello, der wegen Korruption den Hut nehmen musste. Als PTB-Vorsitzender führte der begnadete Rhetoriker seine Partei dann in eine Allianz mit Fernando Henrique Cardoso (1995-2002) und bald darauf mit Lula.
Dass er jetzt auspackte, hat viel mit verletzter Ehre zu tun: Dirceu habe über regierungsnahe Medien eine Rufmordkampagne inszeniert und den Geheimdienst auf seine Parteifreunde gehetzt, so Jefferson. Ihm gelang das Kunststück, sich als glaubwürdigen Insider zu inszenieren, der selbst keineswegs ein Unschuldslamm ist. Vorbereitet hatte er seinen Auftritt mit zwei langen Interviews in der Tageszeitung Folha de São Paulo.

Geschmierte Treue

Seine Enthüllungen wiederholte Jefferson vor der Ethik-Kommission und baute sie aus: Demnach sei seit August 2003 in den Kongresskorridoren Brasílias von Schmiergeldern gemunkelt worden, mit denen der Regierungstreue einzelner bürgerlicher Abgeordneter nachgeholfen werden sollte. Über sechs namentlich genannte Anführer der PL und der PP habe PT-Schatzmeister Delúbio Soares Zuschüsse von monatlich umgerechnet 10.000 Euro verteilen lassen.
Das Bargeld stamme aus den Werbeaufträgen in Millionenhöhe, die die Agentur SMP&B von Staatsunternehmen erhalten habe, sagte der Abgeordnete. 2004 will Jefferson mehrere Minister aufgefordert haben, Lula zu informieren. Er selbst habe erst im Januar 2005 eine Audienz im Präsidentenpalast erhalten: „Es war wie ein Messerstich in den Rücken“, fasste er Lulas Reaktion zusammen. „Er brach in Tränen aus, stand auf, umarmte mich und ging.“
Daraufhin seien die Zahlungen eingestellt worden, so Jefferson. Lula schilderte er als „ehrlichen Mann des Volkes“, der von seinen Vertrauten, allen voran „Rasputin“ Dirceu, hermetisch abgeschirmt und „verraten“ worden sei. Zudem enthüllte er einen Millionendeal, in den er selbst verwickelt sei: Vor den Kommunalwahlen 2004 habe ihm die PT-Spitze knapp sieben Millionen Euro in Aussicht gestellt, ihm sei aber nur die erste Rate von 1,3 Millionen bar übergeben worden.
Für Aufregung während der Anhörung sorgte eine Reuters-Meldung, wonach der Rücktritt des Präsidialamtsministers unmittelbar bevorstehe. „Alles, was ich hier berichtet habe, weiß der Minister“, bekräftige Jefferson schließlich. „Das hier war erst der Auftakt.“ Wenig später bestätigte PP-Generalsekretär Benedito Domingos die Zahlungen, ebenso eine frühere Sekretärin des SMP&B-Inhabers.

Beschädigtes
Saubermann-Image

Die PT-Spitze und Dirceu stritten alles ab, doch zwei Tage später kündigte Präsidialamtsminister und Strippenzieher Dirceu seinen Rückzug aus der Regierung an. Auf der Vorstandssitzung der PT erzwang die Mehrheitsströmung um Genoino und Dirceu, dass Schatzmeister Soares und Generalsekreträr Pereira bleiben durften – denn die hatten glaubhaft versichert, „alles“ im Namen der PT getan zu haben. Was genau, darüber herrscht Schweigen – Jeffersons Version wurde jedenfalls mittlerweile durch weitere Details untermauert.
Lula selbst, der wochenlang wie gelähmt gewirkt hatte, kam zuletzt aus der Defensive. In einer Fernsehansprache sagte er, nicht die Korruption habe zugenommen, sondern der Kampf der Regierung und der Bundespolizei dagegen – wofür in der Tat einiges spricht.
Die PT allerdings erweckt genau den gegenteiligen Eindruck. Ihr Ruf als ethisches Korrektiv und als Garant für mehr Bürgernähe und Transparenz ist damit beschädigt. Und auch aus dem Linksruck, den die sozialen Bewegungen beschwören, wird nichts werden: Von der bevorstehenden Kabinettsumbildung dürfte vor allem die große Zentrumspartei PMDB profitieren. Nur ist die in puncto Regierungsbeteiligung ebenso gespalten wie das gesamte rechte Lager, das von Lula seit Jahren hofiert wird.
Gerhard Dilger

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