Krisenmanagement à la García
Erdbeben verwüstet die Küstenzone der Region Ica und entblößt die Schwächen der Koordination staatlicher Stellen
Erst zwei Stunden waren seit den heftigen Erdstößen vom frühen Abend des 15. August in Peru vergangen. Ein nervös wirkender Ministerpräsident Del Castillo war auf dem Bildschirm zu sehen. Der neben ihm sitzende Präsident Alan García hatte soeben in einer Fernsehansprache aus Lima gesagt, dass es „nach ersten Informationen glücklicherweise keine Katastrophe mit einer immensen Zahl an Opfern gegeben habe.“ Was aber konnte er über das reale Ausmaß wissen zu einem Zeitpunkt, da die Kommunikationsinfrastruktur in Lima und der Erdbebenregion zusammengebrochen war?
Das Epizentrum des dreiminütigen Erdbebens der Stärke 7,9 lag im Pazifischen Ozean circa 60 Kilometer vor der Hafenstadt Pisco. Die 60.000 Einwohner zählende Stadt wurde zu 90 Prozent von den Erdstößen zerstört, es traf insbesondere arme Wohngegenden. Die Spur der Zerstörung verlief weiter ins Landesinnere, unterbrach Verkehrswege und Telekommunikationsverbindungen sowie in vielen Orten die Infrastruktur der Strom- und Wasserversorgung. Auch Krankenhäuser waren von den Schäden betroffen und vom Andrang Verletzter überfordert. Fernsehberichte konzentrierten sich auf Bilder aus den zerstörten städtischen Zonen. Die Situation in ländlichen Gegenden geriet aus dem Blickpunkt.
Die Auswirkungen des Bebens rückten aktuelle politische Themen in den Hintergrund. Ein landesweiter Ärztestreik wurde aufgehoben, der schwelende Konflikt mit Chile um die maritime Grenze verschwand vorerst von der Bildfläche. Der Militärflughafen in Pisco wurde zu einem wichtigen logistischen Anlaufpunkt: Viele Verletzte wurden nach Lima ausgeflogen, Hilfsgüter aus dem In- und Ausland eingeflogen. Der Präsident bezog dort temporär Quartier. Stolz verkündete Mengenangaben zu den eingehenden Hilfsgütern standen im Kontrast zum zentralen Schwachpunkt der Notsituation – deren Verteilung an die Betroffenen. Unterdessen inspizierte Alan García in der Rolle des gütigen Landesvaters die Stätten der Zerstörung. Aus „Jeder erhält rasche Hilfe“ wurde jedoch recht schnell die Ankündigung „Niemand wird infolge des Erdbebens verhungern oder verdursten müssen“.
Die Menschen in der verwüsteten Region schätzten die Fähigkeiten der staatlichen Institutionen jedoch etwas anders ein. Ausbleibende Hilfsleistungen und vorbeifahrende Hilfsguttransporte provozierten nach zwei Tagen Unruhen, Plünderungen und Überfälle auf LKWs. Die Regierung beorderte Militär und Polizei in die Region, um „Ordnung“ zu garantieren. García bekam den Frust der Bevölkerung zu spüren. Als er den kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe am 19. August durch Pisco führte, wurde er lautstark beschimpft. Kritik jedoch – auch von erfahrenen ausländischen Rettungskräften – lässt García gern abprallen. Was im Gegenzug folgte, war das übliche Fingerzeigen auf andere. Den Nichtregierungsorganisationen sagte er, sie sollten jetzt zeigen, was sie können, und ihr Geld aus dem Ausland sinnvoll für nationale Interessen einsetzen. Vom Ingenieursverband forderte García freiwillige Kräfte, denn IngenieurInnen hätten ja auf staatliche Kosten studiert. Schuldzuweisungen bekamen auch die Lokalregierungen, die angeblich unfähig zur Koordination waren. Und wer wie spanische Rettungskräfte über die mangelnde Koordination und Einbindung klage, der „solle besser verschwinden“. Keine Woche war seit dem Beben vergangen, und García verkündete zufrieden, dass keine wesentlichen Auswirkungen auf die nationale Wirtschaft bestünden. Währenddessen warteten ländliche Gemeinden im Raum Pisco immer noch auf eintreffende staatliche Unterstützung. Erst Anfang September meldete das nationale Institut für Zivilverteidigung (INDECI) einen Bedarf an weiteren 40.000 Zelten als temporäre Unterkünfte.
Verteidigungsminister Allan Wagner überraschte eine Woche nach dem Beben mit kritischen Aussagen zum staatlichen Agieren. Das INDECI sei in der aktuellen Struktur und Ausstattung für Katastrophen dieser Größenordnung ungeeignet. Dieser Mangel ist jedoch auch eine Folge der finanziellen Ausdünnung der Institution unter Alberto Fujimori. Anbieter von Mobilfunk- und Festnetzdiensten müssen jetzt ein kostenloses separates Kommunikationssystem für Behörden vorhalten. Mängel in der Kommunikation betreffen aber offensichtlich nicht nur technische Aspekte. Das INDECI erhielt vor zwei Jahren vom peruanischen Institut für Geophysik (IGP) eine Studie, die das Gebiet vor Pisco als Hochrisikozone für ein Erdbeben ausweist. Zwar ließen sich weder Ort noch Zeit eines Beben genau vorhersagen, so die Geophysiker. Für eine vernünftige Notfallplanung wäre in den zwei Jahren jedoch Zeit gewesen.
Die Regierung möchte den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete rasch vorantreiben. Ende August wurde per Gesetz der Fond für den Wiederaufbau des Südens (FORSUR) eingerichtet. Im 19köpfigen Direktorium sitzen UnternehmerInnen, MinisterInnen und die Regionalpräsidenten der drei betroffenen Regionen Ica, Lima und Huancavélica. Lokale Regierungen oder soziale Bewegungen sind nicht vertreten. FORSUR verfügt über ein Startbudget in Höhe von 260 Millionen Soles (circa 61 Millionen Euro). Geführt werden soll die Institution von Julio Favre. Er ist ehemaliger Chef des peruanischen Unternehmerverbandes CONFIEP, war Kopf einer Kampagne gegen die Arbeit der peruanischen Wahrheitskommission und verteidigte die staatliche Amnestie für Militärangehörige der Todesschwadron „Colina“. Favre befindet sich zudem im Beraterumfeld der Regierung García.
Das nahezu komplett verwüstete Pisco soll südöstlich des zerstörten Gebietes neu errichtet werden. Das neue Areal ist 200 Hektar groß, liegt in einer weniger Erdbeben gefährdeten Zone und etwas weiter weg vom touristisch begehrten Strandgebiet. Äußerungen von Favre lassen durchblicken, dass er die Chance sieht, „eine große Stadt zu bauen, mit großen Strassen, Einkaufsmärkten und einem Flughafen…“ Es wird sicher interessant sein, zu verfolgen, von welchen Interessen der Wiederaufbau Piscos bestimmt wird und in welche Hände die Mittel für den Wiederaufbau der betroffenen Gebiete fliessen. Der Ruf nach vereinfachten Investitionsmöglichkeiten erfolgte aus privatwirtschaflichen Kreisen bereits.
Die Regierung hat mit den Nachwirkungen des Bebens an Ansehen verloren. Der deutliche Gewinner laut Umfragen heißt Alan García. Ihm reichten dafür seine Präsenz vor Ort und „schmutzige Schuhe“.