Kuba | Nummer 347 - Mai 2003

Kuba schmerzt

Ein Beitrag des uruguayischen Intellektuellen Eduardo Galeano

Eduardo Galeano

Montevideo, im April. Die letzten Festnahmen und Hinrichtungen in Kuba sind ausgezeichnete Nachrichten für die universelle Supermacht, die verzweifelt den hartnäckigen Makel loszuwerden versucht.
Es sind sehr schlechte Nachrichten – traurige und sehr schmerzende Nachrichten – für uns alle, die wir den Mut dieses kleinen Landes bewundern und an seine Fähigkeit zur Größe glauben. Wir glauben aber auch, dass Freiheit und Gerechtigkeit entweder zusammengehen oder überhaupt nicht.
Gegenwärtig sind die Nachrichten überhaupt schlecht – als hätten wir nicht schon genug mit der hinterlistigen Straflosigkeit der Schlächterei im Irak, da begeht die kubanische Regierung diese Taten, die man nur noch als ‘Sünden gegen die Hoffnung’ bezeichnen kann.
Rosa Luxemburg, die ihr Leben für die sozialistische Revolution gegeben hat, war uneins mit Lenin über das Projekt einer neuen Gesellschaft. Sie schrieb prophetische Sätze über das, was sie nicht wollte. Sie ist vor 85 Jahren in Deutschland ermordet worden und hat noch immer Recht: „Die Freiheit nur für die Parteigänger der Regierung, nur für die Mitglieder der Partei, so zahlreich sie auch sein mögen, ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit des Anders Denkenden.“ Oder auch: „Ohne allgemeine Wahlen, ohne Pressefreiheit und ohne uneingeschränkte Versammlungsfreiheit, ohne einen Kampf von freien Meinungen, vegetiert das Leben dahin und es verwelkt in allen öffentlichen Institutionen, und die Bürokratie wird zum einzig aktiven Element“.

Geboren um anders zu sein

Das zwanzigste Jahrhundert und was schon vom Einundzwanzigsten läuft, geben Zeugnis ab über den den doppelten Verrat am Sozialismus: Der Verfall der Sozialdemokratie, was gerade in diesen Tagen der Unteroffizier Blair zur Spitze getrieben hat, und das Desaster der kommunistischen Staaten, die zu Polizeistaaten konvertiert sind. Viele dieser Staaten sind zusammengebrochen, sang- und klanglos eingegangen und ihre wiederverwerteten Bürokraten dienen nun mit pathetischem Enthusiasmus dem neuen Herrn.
Die kubanische Revolution war geboren, um anders zu sein. Dem ständigen Druck imperialer Bedrohung ausgesetzt, überlebte sie so gut es gerade ging, aber nie wie sie es sich wünschte. Das Volk hat viele Opfer gebracht, mutig und großzügig, um in einer Welt der Geduckten aufrecht zu stehen. Aber auf dem harten Weg, den sie über viele Jahre zurücklegte, hat die Revolution den Wind der Spontanität und der Frische, der sie seit Beginn antrieb, immer mehr verloren. Ich sage das unter Schmerzen. Kuba schmerzt.
Kein schlechtes Gewissen verbietet meiner Zunge das zu wiederholen was ich auf der Insel und auswärts bereits gesagt habe: Ich habe nie an die Demokratie einer einzigen Partei geglaubt (auch in den USA nicht, wo es auch eine einzige Partei gibt, die sich als zwei verkleidet). Ich glaube auch nicht an die Allmacht des Staates als Antwort auf die Allmacht des Marktes.

Die Eigentore der Regierung

Die langen Gefängnisstrafen sind, so glaube ich, lauter Eigentore. Sie verwandeln einige Gruppen in Märtyrer der Meinungsfreiheit. Es handelt sich um Personen, die offen aus dem Hause von James Cason, Bushs Interessensvertreter in Havanna, agierten. Das Sendungsbewusstsein Casons war so weit gediehen, dass er höchstpersönlich die Jugendbewegung der Liberalen Partei Kubas (Partido Liberal Cubano) gründete, immer mit dem typischen Feinsinn und Schamgefühl, die auch seinem Chef eigen sind.
Die kubanischen Behörden agierten als wären diese Gruppen eine akute Bedrohung, ehrten sie eigentlich damit und man schenkte ihnen das Ansehen, welches Worte erlangen, wenn sie verboten sind.
Diese „demokratische Opposition“ hat nichts mit den grundlegenden Erwartungen der aufrichtigen, kubanischen Bürger zu tun. Wenn die Revolution ihnen den Gefallen nicht getan hätte, sie zu unterdrücken, und wenn es in Kuba eine vollwertige Presse- und Meinungsfreiheit geben würde, dann würde sich diese so genannte Dissidenz selbst disqualifizieren. Sie würde die ihr verdiente Strafe bekommen, nämlich die Strafe der Einsamkeit für ihre notorische Nostalgie der kolonialen Zeiten in einem Land, das den Weg der nationalen Würde gewählt hat.

Nachhilfe für Todesstrafen

Die USA, die unermüdliche Fabrik von Diktaturen in der Welt, haben keine moralische Autorität, um irgendwem Lektionen über Demokratie zu geben.
Sicher könnte Präsident Bush Lektionen über die Todesstrafe geben, er der als texanischer Gouverneur 152 Todesurteile unterschrieben hat und sich zum Champion der Staatskriminalität ausrufen liess.
Aber die wirklichen Revolutionen, die von unten und von innen gemacht werden – wie die kubanische Revolution – haben die es nötig, die schlechten Gewohnheiten des Feindes zu übernehmen den sie bekämpfen? Die Todesstrafe hat einfach keine Berechtigung, ganz egal wo sie angewandt wird.
Wird Kuba die nächste Beute in der angetretenen Länderjagd des Präsidenten Bush sein? Sein Bruder Jeb, Gouverneur von Florida, hat Derartiges angekündigt, als er sagte: „Nun müssen wir uns in der Nachbarschaft umsehen“, während die exilierte Zoe Valdés im spanischen Fernsehen laut verlangte, „den Diktator zu bombardieren“. Der Verteidigungsminister, oder besser gesagt, der Angriffsminister Donald Rumsfeld erklärte: „Jetzt noch nicht“.
Es scheint so, als ob der ‘Gefahrenmesser’ und der ‘Schuldmesser’, die beiden kleinen Maschinen, die jeweils die Opfer des universellen Scheibenschießens bestimmen, eher auf Syrien gerichtet sind. Aber wer weiß. Oder wie Rumsfeld sagt: Jetzt noch nicht.
Ich glaube an das heilige Recht der Selbstbestimmung der Völker, überall und jederzeit. Ich kann es sagen und keine Fliege kann meinem Gewissen etwas zu Leide tun, denn ich habe es auch dann bei jeder Gelegenheit öffentlich gesagt, wenn dieses Recht im Namen des Sozialismus unter Applaus weiter Kreise der Linken verletzt worden ist – so wie zum Beispiel 1968, als sowjetische Panzer in Prag eindrangen oder 1979 als sowjetische Truppen in Afghanistan einmarschierten.
In Kuba mehren sich die Zeichen einer fortgeschrittenen Dekadenz des zentralistischen Modells der Macht. Ein Modell, das fälschlicherweise den Gehorsam gegenüber den Befehlen von oben – sozusagen unter Leitung der Machtspitze – zum revolutionären Verdienst gemacht hat.
Die Blockade und tausend andere Formen der Aggression verhindern die Entwicklung einer Demokratie kubanischer Art, nähren die Militarisierung der Macht und liefern Ausreden für die erstarrte Bürokratie. Allem Anschein nach ist es heute schwieriger als jemals zuvor, diese Festung zu öffnen, die sich aus der Notwendigkeit heraus, sich zu verteidigen, immer mehr verschlossen hat. Tatsache ist aber auch, dass die demokratische Öffnung unabdingbar geworden ist. Die Revolution, die in der Lage gewesen ist, die Wut von zehn US-Präsidenten und von zwanzig CIA-Direktoren zu überleben, braucht diese Energie, die Energie der Partizipation und der Vielfalt, um den schweren Zeiten die sich ankündigen entgegenzutreten.
Es müssen die KubanerInnen sein – und nur die KubanerInnen, ohne dass irgend jemand von außen eingreift – die sich neue demokratische Räume öffnen und die fehlenden Freiheiten erobern müssen. Im Rahmen der Revolution, die sie gemacht haben und aus der Tiefe ihres Landes – das solidarischste Land, das ich kenne.

Der Autor ist uruguayischer Schriftsteller und Journalist, Verfasser von „Die offenen Adern Lateinamerikas“ und „Erinnerungen ans Feuer“.

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