Film | Nummer 428 - Februar 2010

Kung-Fu-Film auf Brasilianisch

Der Film Besouro versucht, ein sozial-historisches Drama mit einem Capoeira-Actionfilm zu kombinieren

Thilo F. Papacek

„Besouro Manganá war ein Mann mit versiegeltem Körper / Eine Kugel tötete ihn nicht, ein Messer konnte ihn nicht verwunden / Er saß am Fuß des Kreuzes, wenn die Polizei ihn verfolgte / Er verschwand, und der Leutnant sagte / Wo ist nur Besouro?“
Viel ist über Manuel Henrique Pereira, genannt Besouro Manganá, nicht bekannt. Er wurde in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts in Santo Amaro, im heutigen Bundesstaat Bahia, Brasilien, geboren. Obwohl die Sklaverei 1888 abgeschafft wurde, hatten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seitdem kaum verändert. Besouros Eltern waren aller Wahrscheinlichkeit nach noch Sklaven, seine Großeltern aber mit Sicherheit. Er lebte von Gelegenheitsarbeiten, ohne je einen festen Wohnsitz zu haben. Dennoch wurde er berühmt und jedeR, die/der heute Capoeira praktiziert, hat sicher mal ein Lied über ihn gehört oder gar mitgesungen. Denn Besouro war einer der besten capoeiristas seiner Zeit, damals, als die afro-brasilianische Kampfkunst noch verboten war. So bekam er häufig Ärger mit den Autoritäten. Doch obwohl er ein Nachfahre von Sklaven war, wollte Besouro sich nicht der rassistischen Herrschaft seiner Zeit beugen. Er beanspruchte Respekt und konnte ihn sich durch seine Kampfkunst auch verschaffen – notfalls mit Gewalt. So wurde er zu einem Sozialrebellen, der die Verbrechen der Eliten an der armen Bevölkerung rächte: ein Unruhestifter in den Augen der Polizei, ein Held der immer noch unterdrückten schwarzen Bevölkerung im Nordosten Brasiliens. Unzählige Legenden, die in den Liedern der Capoeira überliefert werden, ranken sich um ihn. Er soll einen corpo fechado gehabt haben, einen von einer Priesterin der afro-brasilianischen Religion Candomblé „versiegelten Körper“: Er soll unverwundbar gewesen sein. Außerdem konnte er angeblich fliegen und einfach so verschwinden – wie der Käfer Besouro Manganá, nach dem er sich nannte. Doch im Jahr 1924 wurde er an die Polizei verraten und ermordet.
Nun hat sich der brasilianische Filmemacher João Daniel Tikhomiroff der Geschichte Besouros angenommen. Ausgehend von einem Buch über Besouro, Feijoada no Paraíso von Marco Carvalho, führte er etliche isolierte Legenden zu einem Film zusammen. „Mir ging es nicht darum, ein historisches Drama zu drehen“, sagte Tikhomiroff in einem Interview. Für ihn sei Besouro „ein authentischer, brasilianischer Superheld“. Und so ist Besouro vor allem ein Fantasy- und Actionfilm.
Erzählt wird die Geschichte, wie Besouro den Mord an seinem Capoeira-Lehrer, Mestre Alípio, rächt. Dieses Verbrechen wird vom Coronel Venâncio in Auftrag gegeben, der eine Zuckerfabrik besitzt und die ganze Stadt Santo Amaro beherrscht. Er verhält sich noch ganz wie ein Sklavenhalter und nimmt sich was er will, und dazu gehören die Frauen der Stadt. Besouro organisiert den Widerstand gegen den Großgrundbesitzer und gewinnt einige Schlachten in diesem Kampf. Doch er wird verraten und stirbt, so wie es die Legende will. Trotzdem ist der Kampf nicht zu Ende, denn die Capoeira wird an die nächste Generation weitergegeben.
Der Film besticht durch seine hervorragende Machart. Man merkt, dass Tikhomiroff ein routinierter Regisseur aus der Werbebranche ist. Sehr überzeugend wird ein nordostbrasilianisches Städtchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts dargestellt. Die zahlreichen Naturaufnahmen sind großartig und reißen die ZuschauerInnen mit.
Für die Kampfszenen engagierte Tikhomiroff aber Huen Chiu Ku aus Hong Kong, der für etliche Kung Fu-Filme die Kameraregie der Actionszenen übernommen hatte. So wirkt Besouro streckenweise wie ein klassischer Eastern auf brasilianisch. Die Capoeira, die im Film zu sehen ist, entspricht deshalb auch nicht der traditionellen Capoeira, sondern eher den moderneren Varianten – das mag zwar historisch nicht korrekt sein, ist aber actionreicher. Und das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen!
Sehr glaubwürdig wird auch dargestellt, wie die Gesellschaft im Nordosten Brasiliens während der 1920er Jahre funktionierte. Coronel Venâncio wird nicht als das absolut Böse dargestellt. Er versucht mit Gefälligkeiten die BewohnerInnen der Stadt auf seine Seite zu ziehen. So müssen die capoeiristas ihren Kampf gegen den Coronel auch vor den eigenen Leuten rechtfertigen.
Die enge Beziehung zwischen Capoeira und Candomblé wird ebenfalls thematisiert. So zieht sich Besouro, von der Polizei gesucht, in den Wald zurück, um sich für den Kampf gegen Venâncio vorzubereiten. Dabei kommt er in Kontakt mit Exu, dem Götterboten des Candomblé, der ihn stärkt und spirituell vorbereitet.
Dabei wird die Grenze zwischen realer und mystischer Sphäre zusehends schwammiger. Dies hat Tikhomiroff auch so gewollt. „Die Grenze zwischen Mystik und Realität soll verschwimmen, damit Besouro auch als mythischer Held deutlich wird“, erklärte er in einem Interview. Doch hier liegt leider die Schwachstelle des Films: Einerseits lebt er von sehr wahrscheinlichen Darstellungen der Gesellschaft, andererseits zeigt er eine mystische Traumwelt. So wirken die Übergänge von einer Szene zur nächsten oft sehr abrupt. Die ZuschauerInnen werden nicht optimal geleitet. Immer muss man kurz überlegen, wo und wann sich nun diese Szene abspielt. Auf die Dauer einer Filmlänge kann dies ermüden.
So versucht Besouro zuviel: ein Drama zu sein, unterhaltsames Actionkino und dann noch ein Kunstfilm über den Candomblé. Diese Genres zusammenzubringen gelingt nur bedingt. Es hätte dem Film besser getan, wenn sich Tikhomiroff nicht zu viel vorgenommen hätte. Dennoch bleibt Besouro ein durchaus unterhaltsamer Film, und für jede AnhängerIn der Capoeira gehört er zum cineastischen Pflichtprogramm.

Besouro // Regie: João Daniel Tikhomiroff // Brasilien 2009 // 95 min. // Portugiesisch, engl. UT // Berlinale Sektion Panorama

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