Kolumbien | Nummer 529/530 - Juli/August 2018 | Wahlen

KURSKORREKTUR IN KOLUMBIEN

Die gut organisierte kolumbianische Opposition hält den designierten Präsidenten Iván Duque auf Trab

Der zukünftige Präsident Iván Duque ruft zur Einigung auf während die Opposition an ihrer Wahlkampfstrategie anknüpft und eine breite gesellschaftliche Basis mobilisiert.

Von Madlen Haarbach

Nur eine Stunde nach Schließung der Wahllokale am 17. Juni stand fest: Der Rechtsaußenkandidat Iván Duque wird der neue Präsident Kolumbiens. Mit rund 54 Prozent der Stimmen setzte der 41-jährige Anwalt sich gegen seinen Kontrahenten Gustavo Petro durch. Der 58-jährige Ökonom Petro konnte mit rund 42 Prozent der Stimmen allerdings ein historisches Ergebnis erzielen: Zum ersten Mal in der kolumbianischen Geschichte erreichte ein linker Kandidat lebend die Stichwahlen und konnte auf Anhieb mehr als acht Millionen Kolumbianer*innen hinter sich vereinen.

Petro, der sich als Mann des Volkes inszeniert, wurde in den vergangenen Wochen zu einer Art Messias der kolumbianischen Linken. Und so verkündete der Präsidentschaftskandidat, dass „der Kampf für ein besseres und menschlicheres Kolumbien“ weitergehen müsse. Das Wahlergebnis sei keine Niederlage, sondern im Gegenteil der Beweis für eine lebendige Opposition. Fortan wolle er die „Opposition der alternativen Kräfte“ als Abgeordneter im Kongress anführen – vor allem aber auf der Straße. Gemeinsam mit Politiker*innen anderer Parteien und einer breiten gesellschaftlichen Basis wolle er nun die Kampagnen für das im August geplante Referendum gegen die Korruption und die Kommunalwahlen im kommenden Jahr angehen. „Ich heiße Gustavo Petro, und ich will euer Anführer sein!“ schreit Petro den jubelnden Massen zu.

Besondere Kopfschmerzen bereiten der Opposition mögliche Änderungen am Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla. Duque revidierte zwar seine Aussage, wonach er das 2016 unterzeichnete Abkommen „zerreißen“ wolle. Er will jedoch signifikante „Korrekturen“ an dem Vertrag vornehmen. Insbesondere die Übergangsjustiz, die der Mehrheit der ehemaligen Rebell*innen eine Amnestie garantiert, und die politische Beteiligung der mittlerweile gegründeten FARC-Partei sind Duque ein Dorn im Auge. Bereits kurz nach der Wahl setzte Duques konservative Partei Centro Democratico (PCD) durch, dass das Gesetz für die Sonderjustiz für den Frieden (JEP) nur mit Änderungen umgesetzt wird. Auch die Friedensverhandlungen mit der kleineren ELN-Guerilla will er aussetzen, sofern die Rebell*innen nicht eine Vielzahl unrealistischer Bedingungen erfüllen.

Dabei muss Duque sich mit der gut organisierten Opposition auseinandersetzen. Bereits während seiner Wahlkampagne hatte Petro eine breite gesellschaftliche Basis um sich geschart. Vorwiegend junge Menschen warben mit Fahrradtouren, Flyern und Ampel-Flashmobs für sein „Menschliches Kolumbien“. Die Kollektive setzen nun ihre Arbeit fort – und haben schon einmal die Kommunalwahlen im kommenden Jahr im Blick.

„Wir wurden unser ganzes Leben lang von Politiker*innen regiert, die unsere politischen Werte nicht teilten“, sagt Esteban Guerrero von der Initiative Ojo a la Paz (Augenmerk auf den Frieden). Im Grunde sei die Situation nun die gleiche wie immer. „Es ist sogar möglich, dass Duques Wahl die sozialen Bewegungen stärkt, die seit Beginn des Friedensprozesses schwächer geworden sind“, sagt Guerrero. Die Angst vor einer Rückkehr des Uribismus, der Politik des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, könnte weitere Teile der Bevölkerung vereinen.

Auch María Fernanda Carrascal, Gründerin der Basisinitiative #ElPaisPrimero, betont: „Wir geben nicht auf, wir leisten Widerstand und wir träumen weiter.“ Der Aufstieg Petros habe gezeigt, dass eine andere Politik möglich sei, sagt die Aktivistin. Noch nie war ein Kandidat, der nicht von der traditionellen Politikmaschinerie gestützt wurde, der Präsidentschaft so nah.

Duque hingegen gilt seinen Kritiker*innen als Rückkehr in dunkle Zeiten: Er sei die Marionette des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und umfangreiche Verbindungen zu paramilitärischen Vereinigungen vorgeworfen werden. Fakt ist: Ohne die Unterstützung Uribes hätte es der politisch unerfahrene Anwalt Iván Duque niemals zur Präsidentschaft geschafft. Dementsprechend hoch ist die Sorge vieler Aktivist*innen vor einer Rückkehr des Uribismus. „Duque hat so viele Schulden bei der politischen und wirtschaftlichen Elite dieses Landes, dass sie ihn nicht unabhängig regieren lassen werden“, sagt Carrascal. Viele Aktivist*innen hätten Angst, dass die unter Uribe übliche Stigmatisierung und Verfolgung Oppositioneller wieder alltäglich werden könnte. In den vergangenen Monaten häuften sich Morde an Menschenrechtsaktivist*innen, auch Unterstützer*innen der Kampagne Petros erhielten wiederholt Drohungen. Wenige Wochen nach der Wahl wurde Frank Dairo Rincón, Leiter der Kampagne Petros in der südkolumbianischen Stadt Pitalito, ermordet. Der Sieg Duques könnte das Klima der Angst und Gewalt noch verstärken. Ein mögliches Scheitern des Friedens­prozesses mit den beiden Guerillagruppen könnte dazu führen, dass diese wieder in die Illegalität abtauchen.

Auch Humberto de la Calle, Chef-Unterhändler im Friedensprozess mit den FARC und unterlegener Präsidentschaftskandidat, warnte in einem offenen Brief, dass die Positionen Duques „ein enormes Risiko für das Land bedeuten“ würden. „Es wäre ein gravierender Fehler, das Abkommen aufzukündigen oder zu verändern“, schrieb er vor der Wahl. Die Ankündigung Duques, zu den „erfolgreichen“ militärischen Strategien seines politischen Ziehvaters Uribe zurückkehren zu wollen, besorgt viele. Die Auswirkungen der militärischen Strategien Uribes sind noch lebendig. „Die Täter haben gewonnen, wir, die Mütter aus Soacha, haben verloren“, verkündete etwa die Organisation der Mütter der im falsos positivos Skandal getöteten Jugendlichen (Fälle, in denen Zivilist*innen wahllos von staatlichen Sicherheitskräften getötet und im Nachhinein als Gueriller@s ausgegeben wurden). Die Bewegung der Opfer staatlicher Verbrechen, Movice, hatte bereits einige Tage zuvor ihre Sorge vor einer Rückkehr des Uribismus erklärt. In einer feierlichen Zeremonie im Herzen Bogotás verteilten die Menschen Bilder getöteter und verschwundener Angehöriger auf Treppenstufen und forderten eine Politik, die sich für die Opfer des Konfliktes einsetzt.

Duque verspricht hingegen, das Land zu einen: „Wir müssen alle gemeinsam zum Wohle Kolumbiens arbeiten“, forderte er in seiner Antrittsrede und betonte: „Ich habe keinen einzigen Kolumbianer zum Feind.“ Er sprach sich gegen einen aggressiven Tonfall und die Polarisierung der Gesellschaft aus – delegitimierte jedoch zugleich oppositionelle Stimmen als Versuch, das Land zu spalten. Die Aktivistin Carrascal kündigte jedoch an, dass die Opposition „sich nicht als Brandstifter stigmatisieren” lassen würde.
Dabei ignoriert Duque, dass ein bedeutender Anteil der Stimmen für ihn wohl eine Stimme gegen Petro war. Die Kampagne Duques beruhte wesentlich auf der Angst vor der Angst, der Ex-Guerillero Petro würde Kolumbien in eine Art zweites Venezuela oder Kuba verwandeln.

Auch in der Drogenpolitik bleibt Duque der Linie Uribes treu: Kokaplantagen sollen radikal vernichtet, Drogenhandel härter bestraft und der Konsum selbst kleiner Mengen sanktioniert werden. Die Militarisierung der betroffenen Gebiete soll parallel für Sicherheit sorgen.

Ein besonderes Anliegen ist Duque laut eigener Aussage zudem der Kampf gegen die Korruption. In den Reihen seiner Unterstützer*innen befinden sich allerdings viele ehemalige Politiker*innen, die wegen verschiedener Korruptionsdelikte vor Gericht stehen.

Bei seinen Reformplänen hat Duque künftig leichtes Spiel: Bei den Kongresswahlen im März konnte seine Partei die Mehrheit der Sitze erringen. Die Opposition wird dennoch versuchen, ihm die Reformen zu erschweren – und dabei die öffentliche Meinung womöglich noch stärker polarisieren. Eine gespaltene Gesellschaft in den Frieden zu führen wird daher die eigentliche Herausforderung für Duque sein.

Der Wandel sei nicht mehr aufzuhalten, sagt der Aktivist Guerrero. „Wir haben keine Angst vor der Angst – und sind noch viel zu jung, um die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel zu verlieren.“ Das soll heißen: Dann gewinnen wir eben in vier Jahren.

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