Nicaragua | Nummer 245 - November 1994

Kurzerhand abgewickelt

Jesuiten schließen das CRIES

Wer die Coordinadora Regional de Investigaciones Economicas y Sociales – CRIES – (Regionalkoordination für Wirtschafts- und Sozialforschung) derzeit in Managua besuchen will hat Pech. Die beiden großen Gebäude, neben dem be­kannten Baseballstadion gelegen, stehen inzwischen fast leer. Abgewickelt – auf ganz besondere Art

Ingrid Lebherz

Das CRIES hatte sich in den letzten zehn Jahren einen Namen geschaffen, und wer sich für Wirtschafts- und So­zialforschung in und über Zentralame­rika interessierte, für den war das CRIES die Anlaufstelle in Nicaragua. Bekannt wurde es außerdem durch die dem Zentrum angegliederten Medien. Die Zeitschrift “Pensamiento Propio” und der elektronische Knoten “Nicarao”, der aus Managua die alterna­tive e-mail aus und in ganz Zentralame­rika weiterleitete, waren für die interna­tionalen Debatten wichtige Informati­onsquellen.
“Pensamiento Propio” hat mittlerweile ihr Erscheinen eingestellt, “Nicarao” funktio­niert nach kurzer Unterbre­chung mit neuer Belegschaft weiter. Komplett geschlossen ist das Doku­mentationszentrum (CEDOC) inner­halb des CRIES, das durch Aus­tauschabonnements aus dem ganzen ame­rikanischen Kontinent über viele sonst nicht in Nicaragua erhältliche sehr gute Zeitschriften verfügte. Ge­schlossen wurde auch der Verlag. Das Bitterste von allem aber: Im Juni wur­den die knapp siebzig Angestellten entlassen, nach wochen­langem Ar­beitskampf inklusive Aussper­rung. Ein Großteil der Forschungsvorha­ben sind eingestellt und die Zukunft ist unge­wiß. Pas­send zur politischen Krise in Nicaragua und der allgemeinen Kon­fliktunfähigkeit, leisteten sich Direkto­rium und Gewerk­schaft in den vergan­genen Monaten eine öffentliche Schlamm­schlacht, die ihres­gleichen sucht.
In den 80er Jahren enstand das CRIES als eine Regionalkoordination für zu­letzt fast vierzig sozial- und wirtschaftswissen­schafliche For­schungsinstitute in Zentral­amerika und der Karibik. Straff unter je­suitischer Leitung organisiert, zuletzt mit einem der führenden zentralamerikani­schen Intellektuellen, Pater Xavier Goro­stiaga, als Präsident, finanzierte es sich in erster Linie durch ausländische Geld­geber. Es war das sandinistennahe Wirt­schaftsforschungsinstitut schlechthin, auch wenn die dort ent­wickelten Wirt­schaftsprogramme re­gelmäßig auf den Parteitagen der FSLN verworfen wurden.
Anlaufstelle für Gewerkschaften und Basisgruppen
Die kreativsten Zeiten erlebte das CRIES kurz vor und nach der großen “Wende” in Nicaragua, also zwischen 1989 und 1992. In dieser Zeit war die Regionalkoordina­tion selbstverständli­cher Referenzpunkt für Gewerkschaf­ten und Basisgruppen, die sich dort theoretische und praktische Ratschläge holten, wie mit der neuen Re­gierung und der harten neoliberalen An­passungspolitik umgegangen werden konnte. Ausländisches Geld zur Förde­rung floß reichlich. In dieser Zeit des Um­bruchs entstanden die For­schungsprojekte aus der gemeinsamen Diskussion zwi­schen den Wissen­schaftlerInnen und den Basisgruppen im Land. Eine wahre Blüte­zeit, vergli­chen mit den Anfängen des In­stituts, die von Forschungsvorgaben durch die jesuitische Direktion gekennzeichnet waren.
Die Krise, die letztlich mit der Schlie­ßung des Institutes endete, begann bereits 1993. Der Tod des damaligen geschäftsführen­den Direktors Arturo Gallese, der bei ei­nem Flugzeugabsturz ums Leben kam, und der Weggang des zweiten geschäfts­führenden Direktors Gerado Timossi nach Mexiko hinter­ließen große Lücken. Die an deren Stelle berufene Direktion mit Kathe­rina Grisby und Salvador Arías zeigte we­nig Geschick mit dem Manage­ment des CRIES. Unter ihrer Leitung kam es zu einer bis dahin nie gekannten perso­nellen Ausdehnung auf rund siebzig An­gestellte, von denen aber “nur” vierzehn wissen­schaftliche Mit­arbeiterInnen waren. Die anderen wa­ren in der Verwaltung, als Si­cherheits-, Fahr- oder Putzpersonal be­schäftigt. Da sich das CRIES in erster Li­nie über Finanzmittel für konkrete For­schungsprojekte finanzierte und wenig di­rekte institutionelle Förderung er­hielt, er­wies sich diese Aufblähung bald als fatal. Ebenso wurden mehrere Wissenschaftle­rInnen weiterbeschäftigt, obwohl ihre Projekte bereits ausgelau­fen waren. Die elektronische Post, ei­gentlich eine Abtei­lung des CRIES die schwarze Zahlen schreibt, mahnte ihre Kundschaft nicht genügend und hatte so tausende Dollar Außenstände ange­häuft, anstatt Gewinn zu erwirtschaf­ten. Das Dokumentations­zen­trum produzierte teure Zusammenfas­sun­gen der Tageszeitungen, die aber niemand kaufte, außer den Archi­ven der Tageszei­tungen selbst.
Heute hier, morgen dort
Obwohl das Institut sehr rasch unter Fi­nanzdruck geriet, eröffnete der CRIES-Präsident Xavier Goro­stiaga kurzerhand im März 1994 ein neues CRIES in El Sal­vador. Die Mittel dafür nahm er aus dem Haushalt des CRIES/Managua mit, ohne dies je­doch mit dem Großteil der Mitarbei­terInnen ab­gesprochen zu haben. Nicht verwunder­lich ist es deshalb, daß dies in Managua eindeutig als geplante Aushöhlung von CRIES/Nicaragua ge­wertet wurde. Mut­maßungen, daß Goro­stiaga in San Salva­dor den bishe­rigen In­terimsrektor der ka­tholischen Universität ablösen und damit die Nachfolge des im November 1989 vom salvadorianischen Militär ermordeten Ignacio Ellacuría an­treten wollte, steiger­ten in Managua zu­sätzlich das Mißtrauen gegenüber Goro­stiaga. Ein weiteres Ar­gument, das für einen tak­tischen Coup spricht, ist, daß ein Forschungsinstitut in San Salvador heut­zutage mehr internatio­nale Repu­tation und damit auch Geld und Macht verspricht, als ein Institut in einem Land, das internatio­nal aus der Mode ge­kommen ist und des­sen wis­senschaftlicher Standard, unter geän­derten politischen Vorzeichen, keinen besonderen Ruf mehr genießt. Goro­stiagas Rolle beim Mana­gement der fi­nanziellen Krise und insbe­sondere während der Aus­tragung des sich ver­schärfenden Arbeits­konfliktes, war mehr als unglücklich.
Als Rektor der ebenfalls krisengeschüt­telten katholischen Uni­versität ständig überlastet, konnte er seiner Verantwortung gegenüber CRIES und anderen Instituten nicht genügend nachkommen. Statt gedul­dig und konstruktiv nach einer akzeptab­len Lösung aus der Krise zu suchen, gab es im Juni den Holzhammer: Schlie­ßung, Entlassung und Aussperrung al­ler Ange­stellten und ArbeiterInnen.
Derzeit tourt Gorostiaga wieder durch Eu­ropa, auf der Suche nach Finanziers für ein stark reduziertes CRIES in Managua und ein schickes Neues in San Salvador. Sicher wäre es allen dienlich, würden die Geldgeber für ein neues CRIES-Projekt etwas genauer nach den Statuten dieser Institute fra­gen. Denn Regionalforschung über Demokratisierungsprozesse, Struk­turanpassungspolitik und Weltbank inner­halb einer autoritär bestimmten Institution ist ein Projekt, das auch in Zentralamerika nur wenig Zukunft verspricht.

“Was ist der Unterschied zwischen Gott und Gorostiaga? – Gott ist mit uns, Gorostiaga auf Reisen.”

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