Kurzerhand abgewickelt
Jesuiten schließen das CRIES
Das CRIES hatte sich in den letzten zehn Jahren einen Namen geschaffen, und wer sich für Wirtschafts- und Sozialforschung in und über Zentralamerika interessierte, für den war das CRIES die Anlaufstelle in Nicaragua. Bekannt wurde es außerdem durch die dem Zentrum angegliederten Medien. Die Zeitschrift “Pensamiento Propio” und der elektronische Knoten “Nicarao”, der aus Managua die alternative e-mail aus und in ganz Zentralamerika weiterleitete, waren für die internationalen Debatten wichtige Informationsquellen.
“Pensamiento Propio” hat mittlerweile ihr Erscheinen eingestellt, “Nicarao” funktioniert nach kurzer Unterbrechung mit neuer Belegschaft weiter. Komplett geschlossen ist das Dokumentationszentrum (CEDOC) innerhalb des CRIES, das durch Austauschabonnements aus dem ganzen amerikanischen Kontinent über viele sonst nicht in Nicaragua erhältliche sehr gute Zeitschriften verfügte. Geschlossen wurde auch der Verlag. Das Bitterste von allem aber: Im Juni wurden die knapp siebzig Angestellten entlassen, nach wochenlangem Arbeitskampf inklusive Aussperrung. Ein Großteil der Forschungsvorhaben sind eingestellt und die Zukunft ist ungewiß. Passend zur politischen Krise in Nicaragua und der allgemeinen Konfliktunfähigkeit, leisteten sich Direktorium und Gewerkschaft in den vergangenen Monaten eine öffentliche Schlammschlacht, die ihresgleichen sucht.
In den 80er Jahren enstand das CRIES als eine Regionalkoordination für zuletzt fast vierzig sozial- und wirtschaftswissenschafliche Forschungsinstitute in Zentralamerika und der Karibik. Straff unter jesuitischer Leitung organisiert, zuletzt mit einem der führenden zentralamerikanischen Intellektuellen, Pater Xavier Gorostiaga, als Präsident, finanzierte es sich in erster Linie durch ausländische Geldgeber. Es war das sandinistennahe Wirtschaftsforschungsinstitut schlechthin, auch wenn die dort entwickelten Wirtschaftsprogramme regelmäßig auf den Parteitagen der FSLN verworfen wurden.
Anlaufstelle für Gewerkschaften und Basisgruppen
Die kreativsten Zeiten erlebte das CRIES kurz vor und nach der großen “Wende” in Nicaragua, also zwischen 1989 und 1992. In dieser Zeit war die Regionalkoordination selbstverständlicher Referenzpunkt für Gewerkschaften und Basisgruppen, die sich dort theoretische und praktische Ratschläge holten, wie mit der neuen Regierung und der harten neoliberalen Anpassungspolitik umgegangen werden konnte. Ausländisches Geld zur Förderung floß reichlich. In dieser Zeit des Umbruchs entstanden die Forschungsprojekte aus der gemeinsamen Diskussion zwischen den WissenschaftlerInnen und den Basisgruppen im Land. Eine wahre Blütezeit, verglichen mit den Anfängen des Instituts, die von Forschungsvorgaben durch die jesuitische Direktion gekennzeichnet waren.
Die Krise, die letztlich mit der Schließung des Institutes endete, begann bereits 1993. Der Tod des damaligen geschäftsführenden Direktors Arturo Gallese, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, und der Weggang des zweiten geschäftsführenden Direktors Gerado Timossi nach Mexiko hinterließen große Lücken. Die an deren Stelle berufene Direktion mit Katherina Grisby und Salvador Arías zeigte wenig Geschick mit dem Management des CRIES. Unter ihrer Leitung kam es zu einer bis dahin nie gekannten personellen Ausdehnung auf rund siebzig Angestellte, von denen aber “nur” vierzehn wissenschaftliche MitarbeiterInnen waren. Die anderen waren in der Verwaltung, als Sicherheits-, Fahr- oder Putzpersonal beschäftigt. Da sich das CRIES in erster Linie über Finanzmittel für konkrete Forschungsprojekte finanzierte und wenig direkte institutionelle Förderung erhielt, erwies sich diese Aufblähung bald als fatal. Ebenso wurden mehrere WissenschaftlerInnen weiterbeschäftigt, obwohl ihre Projekte bereits ausgelaufen waren. Die elektronische Post, eigentlich eine Abteilung des CRIES die schwarze Zahlen schreibt, mahnte ihre Kundschaft nicht genügend und hatte so tausende Dollar Außenstände angehäuft, anstatt Gewinn zu erwirtschaften. Das Dokumentationszentrum produzierte teure Zusammenfassungen der Tageszeitungen, die aber niemand kaufte, außer den Archiven der Tageszeitungen selbst.
Heute hier, morgen dort
Obwohl das Institut sehr rasch unter Finanzdruck geriet, eröffnete der CRIES-Präsident Xavier Gorostiaga kurzerhand im März 1994 ein neues CRIES in El Salvador. Die Mittel dafür nahm er aus dem Haushalt des CRIES/Managua mit, ohne dies jedoch mit dem Großteil der MitarbeiterInnen abgesprochen zu haben. Nicht verwunderlich ist es deshalb, daß dies in Managua eindeutig als geplante Aushöhlung von CRIES/Nicaragua gewertet wurde. Mutmaßungen, daß Gorostiaga in San Salvador den bisherigen Interimsrektor der katholischen Universität ablösen und damit die Nachfolge des im November 1989 vom salvadorianischen Militär ermordeten Ignacio Ellacuría antreten wollte, steigerten in Managua zusätzlich das Mißtrauen gegenüber Gorostiaga. Ein weiteres Argument, das für einen taktischen Coup spricht, ist, daß ein Forschungsinstitut in San Salvador heutzutage mehr internationale Reputation und damit auch Geld und Macht verspricht, als ein Institut in einem Land, das international aus der Mode gekommen ist und dessen wissenschaftlicher Standard, unter geänderten politischen Vorzeichen, keinen besonderen Ruf mehr genießt. Gorostiagas Rolle beim Management der finanziellen Krise und insbesondere während der Austragung des sich verschärfenden Arbeitskonfliktes, war mehr als unglücklich.
Als Rektor der ebenfalls krisengeschüttelten katholischen Universität ständig überlastet, konnte er seiner Verantwortung gegenüber CRIES und anderen Instituten nicht genügend nachkommen. Statt geduldig und konstruktiv nach einer akzeptablen Lösung aus der Krise zu suchen, gab es im Juni den Holzhammer: Schließung, Entlassung und Aussperrung aller Angestellten und ArbeiterInnen.
Derzeit tourt Gorostiaga wieder durch Europa, auf der Suche nach Finanziers für ein stark reduziertes CRIES in Managua und ein schickes Neues in San Salvador. Sicher wäre es allen dienlich, würden die Geldgeber für ein neues CRIES-Projekt etwas genauer nach den Statuten dieser Institute fragen. Denn Regionalforschung über Demokratisierungsprozesse, Strukturanpassungspolitik und Weltbank innerhalb einer autoritär bestimmten Institution ist ein Projekt, das auch in Zentralamerika nur wenig Zukunft verspricht.
“Was ist der Unterschied zwischen Gott und Gorostiaga? – Gott ist mit uns, Gorostiaga auf Reisen.”