Film | Nummer 390 - Dezember 2006

Latino Couch-Kino

Lateinamerikanisches Kino kommt auf DVDs in die deutschenWohnzimmer

Bewegende Filme aus dem letzten Jahrzehnt, mit deutschen Untertiteln und viel Bonusmaterial: das bietet eine neue Reihe, die von der Initiative kinolatino.de gemeinsam mit Flaxfilm veröffentlicht wird. Mit vier Filmen aus Argentinien und Chile startet die Reihe – voll von Lebenslust, Träumen, Tragik und Komik.

Leonie Görting

Víctor rennt mitten in Santiago de Chile vollkommen nackt den Bürgersteig hinunter. Mit einem Handtuch versucht er krampfhaft sich wenigstens ein bisschen zu bedecken, seine Haare sind voller Shampoo. Er verfolgt seine Verlobte Blanca. Diese hat ihn gerade während der morgendlichen Dusche verlassen. Bereits im weißen Hochzeitskleid, hat sie erfahren, dass Victor sie jahrelang betrogen hat, die Hochzeit wird nicht stattfinden und der Bräutigam ist verzweifelt. All das filmt der angehende Filmstudent Gabriel als eine Art Homevideo. Blanca möchte diesen „sábado“ nämlich auf keinen Fall vergessen.
Der Film des jungen chilenischen Regisseurs Matías Bize bedient sich einer guten Idee und verzichtet im Stil des „cinema verité“ auf Effekte und professionelle Kameraführung. Der Kameramann ist auch gleichzeitig Darsteller. Zuweilen ist es ein wenig anstrengend, den eher wackeligen Bildern zu folgen, aber der Film ist schnell und temperamentvoll und besticht durch die exzellente schauspielerische Leistung der Protagonisten.
„Sábado – Das Hochzeitstape“ ist einer der vier lateinamerikanischen Filme, die die Flaxfilm GmbH gemeinsam mit kinolatino.de zwischen Juli und September 2006 auf DVD veröffentlichte, um endlich auch dem deutschsprachige Publikum das junge, südamerikanische Kinos zugänglich zu machen.
Der italo-argentinische Regisseur Marco Bechis schlägt in „Junta“ sehr viel dunklere Töne an. Der Film spielt im Buenos Aires’ der siebziger Jahre und berichtet von der Folter einer jungen Frau im Konzentrationslager „Garage Olimpo“, dessen berüchtigter Name ist auch der Originaltitel des Films. Die Hauptdarstellerin wird aufgrund ihres sozialen Engagements und ihrer Arbeit bei einer oppositionellen Organisation von der Geheimpolizei verschleppt. Ausgerechnet ihr in sie verliebter Nachbar Felix wird zu einem ihrer Peiniger. Marco Bechis hat hier zu großen Teilen eigene Erfahrung aufgearbeitet. In dem beigelegten Booklet schildert er die erlebten Folterungen während der argentinischen Militärdiktatur.
Der mehrfach ausgezeichnete Film „Junta“ zeigt ebenso Szenen, wovor viele lieber die Augen verschließen würden: Doch auch diese sehr drastischen, grausamen Bilder dürfen bei einer umfassenden Auswahl lateinamerikanischer Filme nicht fehlen.
Den jungen argentinischen Film vertritt der Regisseurs Ariel Rotter mit seinem Spielfilmdebüt: „B. Aires – Solo por hoy“. Er berichtet von den Schicksalen von fünf jungen Menschen aus einer Wohngemeinschaft in Buenos Aires. Da sind zum Einen die Brüder Fer und Morón, von denen der eine schwermütig und unfähig ist und der andere in die Mitbewohnerin Ailí verliebt ist – und dabei unsicher, ob diese seine Gefühle erwidert. Ailí, die junge chinesische Einwanderin, wiederum ist zwar künstlerisch begabt, sucht aber vergeblich nach Inspiration. Equis ist Koch und träumt von Paris und Toro hält sich für den geborenen Schauspieler, reinigt aber bisher nur Hotelzimmer. So entstehen liebenswerte Dialoge über das Leben und seine alltäglichen Enttäuschungen in einer unsicheren Zeit.
Mit dem bereits 1998 gedrehten: „Das letzte Kino der Welt“ reiht sich fast schon ein Klassiker des argentinischen Films in die Riege der DVD-Veröffentlichungen. Im Argentinien der frühen siebziger Jahre flüchtet die Taxifahrerin Soledad aus der erdrückenden Metropole Buenos Aires und findet sich nach einem Unfall in dem patagonischen Dorf Río Pico wieder. Ohne Fernsehen und Radio ist die einzige und absolute Attraktion des Dorfes das Kino. Hier werden Filme gezeigt, die bereits um die ganze Welt gereist sind und einige Male neu zusammengeflickt werden mussten. So werden die Sequenzen größtenteils zusammenhangslos aneinandergereiht. Dies führt besonders bei dem jungen Kinopublikum zu Verständigungsschwierigkeiten im Alltag und beim Zuschauer zu Tränen – vor lachen. Dennoch ist dieser Film mehr als eine Komödie, denn er wagt sich auch auf eine subtile Art an die argentinischen Realität heran, die er – symbolisiert durch das aufkommende Fernsehen – in Río Pico hereinbrechen lässt.

Preisgekrönt mit Bonus

Flaxfilm und kinolatino.de ist mit dem ersten Teil der DVD-Reihe ein sehr guter Start gelungen. Alle vier Filme sind mehrfach ausgezeichnet worden und extrem sehenswert. Ein „Schmankerl“ ist außerdem das umfangreiche Bonusmaterial das auf den DVDs zu finden ist. „Sábado – Das Hochzeitstape“ bietet beispielsweise drei verschiedene Versionen des Films, der in einem einzigen Take gedreht wurde und ein langes Interview mit dem Regisseur Matías Bize. Zu „B.Aires – Solo por hoy“ gibt es einen weiteren (Kurz-)Film des 33-jährigen Regisseurs Ariel Rotter und diverse andere Bonusmaterialien. Die Filme erscheinen in der Originalversion, sind aber mit Untertiteln versehen. So bleibt ihr Charme, der nicht zuletzt auf den Dialogen und deren regionalen sprachlichen Eigenheiten beruht, erhalten.

Mehr bitte

Das alles macht Lust auf mehr und die Zuschauerin und der Zuschauer dürfen sich freuen. Weitere lateinamerikanische Filme wie „Bombón“ von Carlos Sorín, der brasilianische Klassiker „Orfeu Negro“ aus dem Jahr 1959 oder das viel beachtete argentinische Drama „Die Nachtschwärmer – Ronda Nocturna“ sind ebenso erhältlich. Das lateinamerikanische Programmkino ist endlich auch Hierzulande angekommen.
Alle Informationen dazu finden sich auf der offiziellen Homepage www.kinolatino.de, die als erstes Portal des lateinamerikanischen Films in Deutschland gilt. Ein Forum zum Austausch und die neuesten, regelmäßig aktualisierten Nachrichten zum Thema finden sich dort ebenso, wie die Möglichkeit über den Online-Shop die genannten Filme zu bestellen. Außerdem gibt es eine nach Städten sortierte Liste aller aktuell in Deutschland gezeigten lateinamerikanischen Filme. Das Projekt präsentiert sich als offene Initiative und „freut sich nicht nur über, sondern bittet sogar ausdrücklich um Engagement und Breiträge.“

„Das letzte Kino der Welt“ (Arg/Sp/Fr/NL 1998) 19,90. „B. Aires – Solo por hoy“ (Arg 2001) 19,90. „Junta“ (Arg/It 1999) 15,90. „Sábado – Das Hochzeitstape“ (Chi 2003) 19,90. Erhältlich unter www.kinolatino.de oder kinolatino.de, Redaktion, Ohmstr. 38, 50677 Köln

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