Musik | Nummer 381 - März 2006

Leben und Sterben in B.A.

Astor Piazzollas Tangooper María de Buenos Aires in Berlin

Katharina Wieland

Se habla español. Die Komische Oper, welche sonst ihre Stücke ausschließlich in deutscher Sprache präsentiert, greift aufgrund der komplexen, poetischen, von der Buenos Aires-Sprache lunfardo durchtränkten Sprache hier auf das spanische Original zurück. Doch das ist nicht das einzige, was das Publikum beim Besuch der ‚Operita’ María de Buenos Aires erstaunen oder verwirren wird.
Die Titelgestalt María (Julia Zenko) ist nicht nur ein armes Mädchen, das ihr Glück im Großstadtdschungel von Buenos Aires versucht, zur Prostituierten wird und kläglich scheitert. Ihr Leben, Sterben und Wiederauferstehen, dem man in den anderthalb Stunden der Aufführung zuhört, ist der Tango selbst. Diese Hauptrolle wird vom Orchester wunderbar interpretiert.Die Inspiration zu seiner ‚Operita’ – und wohl auch für den Namen der Protagonistin – erhielt Piazzolla durch Bernsteins „West Side Story“, welche er in New York besuchte. Unter der Mitarbeit des berühmten Tango-Dichters Horacio Ferrer entstand 1968 Piazzollas musikalische Widmung an seine argentinische Heimatstadt – ein Weltmusiktheater, in dessen Mittelpunkt der Tango steht. Doch nicht etwa der Tango des Klischees. Das tritt nur einmal in Erscheinung, in Form eines tanzenden Paares (Tanzduo Stravaganza), das nach Marías Tod das Weiterleben, das Rebellieren des Tangos gegen die Bedrohungen durch El duende, den Geist der Unterwelt (Daniel Bonilla-Torres), der Buenos Aires fest im Griff hält, zelebriert. Der Tango widersetzt sich seinem eigenen Untergang. Und dieses Aufbegehren, diese Lebenskraft kommt aus einem Winkel der Gesellschaft, von ganz unten, vom einfachen Volk, wie die Kleidung des Paares und seine anmutigen Bewegungen inmitten der Todesszenerie deutlich machen. Tango ist für Piazzolla eben nicht nur der großartig stilisierte Gesellschaftstanz, sondern die Seele der sozial Unterdrückten und Schwachen. Dies ist einer der Gründe, weshalb Piazzolla-Fans den 1992 verstorbenen Komponisten gern als einen Linken sehen und seinen „Tango Nuevo“ manchmal mit der Poesie Pablo Nerudas vergleichen. Dass Piazzolla aber selbst in Künstlerkreisen als Faschist galt, weil er sich von Jorge Videla hofieren ließ und auch Augusto Pinochet zugetan war, hört man nicht gern. Doch politische Aussagen sind auch nicht Thema des Stücks, dessen ansatzweise vorhandene Handlung die Regisseurin Katja Czellnik völlig abstrahiert hat.

Eine von vielen?

María ist die Frau von der Straße, sie verkörpert viele gescheiterte Existenzen. In Argentinien – oder auch in Berlin. Doch im Gegensatz zu den unzähligen stummen Gestalten um sie herum rebelliert sie gegen die Unterdrückung von El duende. María bewegt sich in der Masse, ohne je wirklich ein Teil von ihr zu werden, auch wenn sich hin und wieder jemand (El cantor – Matthias Klein) ihr zuwendet. Diese Masse – ein Bewegungschor interpretiert von LaienschauspielerInnen – ist selbst nicht homogen. Im quadratischen Straßendickicht von Buenos Aires ist mal jeder allein, dann finden sich wieder Paare oder Gruppen, doch immer wieder ist die Zwei- oder Mehrsamkeit nur eine vorübergehende Erholung. Schon geht es wieder weiter, gefangen in einem hellen Raum ohne Ausweg, meistens verängstigt durch die Anwesenheit des Geistes El duende, immer im Rhythmus des Bandoneons.
Für Piazzolla war das Bandoneon „sein Psychiater, seine Lunge, sein Lebensatem und Motor“, so die Regisseurin. Und das ist es auch für die gesamte Oper, angefangen beim Dirigenten, der selbst die Bandoneonstimme im Orchester spielt, bis hin zu jedem Darsteller des Chores. Das Bandoneon wird zum Kernstück der Choreographie, es ist die Lunge des Stücks und der Stadt, es atmet und verleiht seinen Protagonisten Atem. Und so ist es nur logisch, dass die Oper erst enden kann, wenn El duende schließlich den letzten Luftzug aus dem Bandoneon gepresst hat.

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