Nummer 272 - Februar 1997 | Peru

Lebendig begraben

Zu den Haftbedingungen der MRTA-Gefangenen in den Gefängnissen von Peru

Die Freilassung aller ihrer Gefangenen, das hat der Kommandant Nestor Cerpa Cartolini mehrfach unterstrichen, ist die Hauptforderung des Kommandos der Gue­rillaorganisation ‘Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (MRTA)’, das die Resi­denz des japanischen Botschafters in Lima seit dem 17. Dezember besetzt hält. Die Haftbedingungen der politischen Gefangenen in Peru stehen regelmäßig weit oben auf der Beschwerdeliste von Menschenrechtsorganisationen.

Ingo Malcher

Zwei Bücher wurden MRTA-Chef Víctor Polay Campos von den Gefängnisaufse­hern nicht ausgehändigt: Die Memoiren von Winston Chur­chill und die peruanische Verfas­sung. Denn politische Bücher dürfen die Ge­fangenen der MRTA ebensowe­nig lesen wie Zeitungen und Magazine. Auch bei Besuchen von Verwandten müssen politi­sche Themen aus­geklammert werden, ansonsten wird das Ge­spräch sofort von den mithören­den Wärtern abge­brochen.
Insgesamt gibt es in Peru 4.000 Gefangene, denen Terro­rismus-Delikte vorgeworfen wer­den. Mehr als 400 von ihnen sind Mitglieder der MRTA. Eine ge­naue Zahl, wieviele als Terro­risten einsitzen, allerdings mit der Guerilla nichts am Hut ha­ben, existiert nicht. In einigen Gefängnissen, wie dem Ma­rine­ge­fängnis von Callao bei Lima, wird den MRTA-Gefang­enen ei­ne Sonderbehandlung zuteil. Die Gefangenen von Sen­dero Lumi­no­so leben in Callao unter weitaus besseren Bedin­gungen als die MRTA-Mitglie­der. Sen­dero-Chef Abimael Guzmán hatte mit der Regierung von Prä­sident Alberto Fujimori ein Frie­densabkommen unterzeichnet. Seit­her kann er tagsüber soviel Zeit im Hof verbringen wie er will, auch ist seine Zelle größer.
Die MRTA-Gefangenen hin­gegen sind in Zellen, die für zehn Gefangene gebaut wurden, mit bis zu 30 anderen Häftlingen eingepfercht. Andere, so berich­ten Familienangehörige, leben zu dritt auf vier Quadratmetern Ge­fängniszelle. “Sie können nur überleben, weil sie zusammen sind”, kommentiert eine Mutter. Sie will – wie die meisten Ange­hörigen – aus Furcht vor Re­pressalien nicht mit Namen ge­nannt werden.

Keine Arbeit, kein Sport

Zudem können die Gefange­nen nur eine halbe Stunde am Tag auf den Hof, um sich zu be­wegen und Luft zu schnappen. UNO-Richtlinien sehen ein bis zwei Stunden Hofgang am Tag vor. Viele der Inhaftierten leiden an Tuberkulose und sind unter­ernährt. “Denjenigen, die wegen Terrorismusdelikten angeklagt sind, wird außerdem jede Art von Arbeit verweigert. Sie dür­fen nicht in den Gefängniswerk­stätten arbeiten, auch sind sie von Sportveranstaltungen ausge­schlossen”, weiß Francisco Soberón Garrido von der perua­nischen Menschenrechtsorgani­sa­tion Pro Derechos Humanos (APRODEH).
Im Gegensatz zu gewöhnli­chen Gefangenen, die dreimal in der Woche Besuch empfangen kön­nen, ist dies den “terro­ristischen Gefangenen” nur ein­mal im Monat gestattet. Die ein­zigen, die dann Zugang zu ih­nen erhalten, sind enge Ver­wandte. Die gesetzlich auf eine halbe Stunde festgelegte Be­suchszeit wird außerdem auf zwanzig Mi­nuten verkürzt. Freun­de haben keine Möglich­keit, eine Besuchs­erlaubnis zu bekommen. Und den Kindern der Inhaftierten ist es nur alle drei Monate gestattet, ihren Va­ter oder ihre Mutter zu besuchen. Auf beiden Seiten der Glastrenn­scheibe passen Wärter auf, was bei den Besuchen ge­sprochen wird.

Verschärfte Bedingungen seit der Geiselnahme

In Reaktion auf die Geisel­nahme in Lima hat die Regie­rung die Haftbedingungen der MRTA-Gefangenen für unbe­stimm­te Zeit verschärft und die Besuchsprogramme “in allen ih­ren Formen” außer Kraft gesetzt, wie der Regierungsbeauftragte für die Geiselnahme, Erzie­hungsminister Domingo Pa­lermo, mitteilte. Das bedeutet, daß die betreffenden Häftlinge überhaupt keinen Besuch mehr empfangen können. Auch dem In­ter­nationalen Komitee des Roten Kreuzes wurde der Zutritt verwehrt. Das Rote Kreuz ist die einzige Organisation, die sonst zu den Gefangenen Zugang hat. Die Regierung fürchtet, daß die Familienangehörigen Nachrich­ten über die Residenzbesetzung zu den Gefangenen tragen könn­ten, was bei dem enormen Si­cher­heitsaufwand nicht mög­lich ist. Die Repressionsmaß­nahme der Regierung macht den An­ge­hö­rigen Angst. Denn die MRTA-Gefangenen sind da­durch von jedem Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten wor­den. Niemand weiß, was in den Gefängnissen passiert.
Die Aussetzung des Besuchs­rechts gilt auch für den MRTA-Kommandanten Víctor Polay Cam­pos. Er wird auch sonst in dem berüchtigten Marinegefäng­nis von Callao einer” Sonderbe­handlung” unterzogen, “wie sie außer ihm nur noch zwei anderen MRTA-Gefangenen zuteil wird”, sagt seine Mutter Otilia Campos de Polay im Gespräch mit den LN. Zusammen mit anderen türm­te Victor Polay 1990, nur ein Jahr nach seiner Verhaftung, durch einen Tunnel aus dem Ge­fängnis. Nach zwei Jahren wurde er allerdings erneut festgenom­men.

Inhaftiert bei minus 15 Grad

Nach dieser zweiten Verhaf­tung saß Polay zuerst in dem Hochsicherheitsgefängnis Ya­nama­yo in der Provinz Puno. Yanamayo liegt 4.000 Meter über dem Meeresspiegel, die Temperatur kann nachts bis auf minus 15 Grad sinken. “Es gibt dort große Probleme mit der Heizung”, erzählt Francisco Soberón. Außer Polay sind dort noch andere MRTA-Angehörige untergebracht. “Das Gefängnis liegt sehr weit weg von Lima. Um dahin zu kommen, muß man ein Flugzeug nehmen, was sich viele Verwandte nicht leisten können”, erzählt Otilia Campos de Polay.
Als das Marinegefängnis in Lima fertiggebaut war, wurde Victor Polay dorthin verlegt. Doch zuvor wurde er, so seine Mutter, zusammen mit einem weiteren MRTA-Kommandan­ten, Peter Cárdenas, gefoltert. Beide bekamen Elektroschocks an Kopf und Geschlechtsorga­nen. Polay wurde außerdem die linke Schulter gebrochen. Im Flugzeug von Yanamayo nach Lima “öffneten ihre Bewacher eine Türe und drohten beide le­bendig aus dem Flieger zu wer­fen”, schildert Otilia Campos. Hinterher prahlten die Militärs, einer der beiden hätte sich vor Angst in die Hose gepinkelt. Am Flughafen in Lima angekommen, präsentierten sie die Gefangenen, wie es in Peru üblich ist, in einer Art Raubtierkäfig der Presse.

Ein Loch für Licht und Luft

Im peruanischen Fernsehen wurde später das frisch einge­weihte Marinegefängnis gezeigt: Die Zellenwände sind 60 Zenti­meter dick. Die Zelle Polays mißt zwei mal vier Meter, darin befinden sich Latrine und Bett. An der Decke soll ein 15 Qua­dratzentimeter großes Loch Licht und Luft in die Zelle lassen. In der Zelle gibt es kein Wasser, so daß Polay, nachdem er auf dem Klo war, einen Wärter bitten muß, von außen auf den Spül­knopf zu drücken.
“In dieser Zelle verbringt Victor dreiundzwanzigeinhalb Stun­den seines Tages”, so seine Mutter. Eine halbe Stunde Hof­gang wird ihm täglich gewährt. Von den anderen Gefangenen wird er abgeschirmt, auch die Wärter sprechen kein Wort mit ihm, sie sehen ihn noch nicht mal an. “Wenn man ein Tier so behandeln würde, würde es bald sterben”, meint Otilia Campos de Polay. “Nur Menschen können das überleben, da sie nicht ster­ben wollen.”

Lückenlose Überwachung

Ganze 14 Monate hat es ge­dauert, bis Otilia Campos de Polay, ihren Sohn im Gefängnis von Lima besuchen durfte. Seit­her werden ihr jeden Monat 30 Minuten Besuchszeit gestattet. Die Besuche finden hinter einer Trennscheibe statt, die Stimmen sind nur über Lautsprecher zu hören. Die ganze Zeit stehen Wärter auf beiden Seiten und passen auf, daß die beiden nicht mit Gesten geheime Informatio­nen austauschen.
Wie andere Mütter bringt Otilia Campos de Polay ihrem Sohn bei jedem Besuch ein Es­senspaket mit ins Gefängnis. Oft dauert es recht lange, bis die Pa­kete die Wachen passieren und den Gefangenen ausgehändigt werden. “Im Durchschnitt gibt die Regierung einen Sol (zirka 45 Pfennige) bis anderthalb So­les am Tag für das Essen der Ge­fangenen aus”, schildert Fran­cisco Soberón. Dementsprechend fällt das Menü aus: Am Morgen gibt es Kräutertee, zum Mit­tagessen eine Suppe, meist Kar­toffelsuppe, und zum Abendes­sen einen heißen Tee. Ohne Es­senspakete von Angehörigen ist so kaum zu überleben.
Auch die medizinische Be­handlung läßt zu wünschen üb­rig. Die Behörden sperren sich regelmäßig gegen Behandlun­gen, die außerhalb des Gefäng­nisses vorgenommen werden müssen. Es gibt Streitereien über die Termine, die die Ärzte den gefangenen Patienten setzen. In den Krankenhäusern kommt es schon mal vor, daß die politi­schen Gefangenen an ihr Bett gekettet werden.
Eine Besserung der Haftbe­dingungen ist nicht in Sicht. Prä­sident Alberto Fujimori präsen­tierte die verhafteten MRTA-Mitglieder auf dem Silbertablett der Öffentlichkeit, um seine Wiederwahl zu sichern. Gebets­mühlenartig wiederholen er und sein Beauftragter für die Geisel­nahme in der Residenz der japa­nischen Botschaft, daß eine Freilassung der MRTA-Gefan­genen auf keinen Fall in Frage komme. Beschwerden der Orga­nisation Amerikanischer Staaten (OAS), der UNO und verschie­dener Menschenrechtsorganisa­tio­nen ließen Fujimori unbeein­druckt. Forderungen nach Ver­besserung der Haftbedingungen hat er stets ignoriert.

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