Lebendig begraben
Zu den Haftbedingungen der MRTA-Gefangenen in den Gefängnissen von Peru
Zwei Bücher wurden MRTA-Chef Víctor Polay Campos von den Gefängnisaufsehern nicht ausgehändigt: Die Memoiren von Winston Churchill und die peruanische Verfassung. Denn politische Bücher dürfen die Gefangenen der MRTA ebensowenig lesen wie Zeitungen und Magazine. Auch bei Besuchen von Verwandten müssen politische Themen ausgeklammert werden, ansonsten wird das Gespräch sofort von den mithörenden Wärtern abgebrochen.
Insgesamt gibt es in Peru 4.000 Gefangene, denen Terrorismus-Delikte vorgeworfen werden. Mehr als 400 von ihnen sind Mitglieder der MRTA. Eine genaue Zahl, wieviele als Terroristen einsitzen, allerdings mit der Guerilla nichts am Hut haben, existiert nicht. In einigen Gefängnissen, wie dem Marinegefängnis von Callao bei Lima, wird den MRTA-Gefangenen eine Sonderbehandlung zuteil. Die Gefangenen von Sendero Luminoso leben in Callao unter weitaus besseren Bedingungen als die MRTA-Mitglieder. Sendero-Chef Abimael Guzmán hatte mit der Regierung von Präsident Alberto Fujimori ein Friedensabkommen unterzeichnet. Seither kann er tagsüber soviel Zeit im Hof verbringen wie er will, auch ist seine Zelle größer.
Die MRTA-Gefangenen hingegen sind in Zellen, die für zehn Gefangene gebaut wurden, mit bis zu 30 anderen Häftlingen eingepfercht. Andere, so berichten Familienangehörige, leben zu dritt auf vier Quadratmetern Gefängniszelle. „Sie können nur überleben, weil sie zusammen sind“, kommentiert eine Mutter. Sie will – wie die meisten Angehörigen – aus Furcht vor Repressalien nicht mit Namen genannt werden.
Keine Arbeit, kein Sport
Zudem können die Gefangenen nur eine halbe Stunde am Tag auf den Hof, um sich zu bewegen und Luft zu schnappen. UNO-Richtlinien sehen ein bis zwei Stunden Hofgang am Tag vor. Viele der Inhaftierten leiden an Tuberkulose und sind unterernährt. „Denjenigen, die wegen Terrorismusdelikten angeklagt sind, wird außerdem jede Art von Arbeit verweigert. Sie dürfen nicht in den Gefängniswerkstätten arbeiten, auch sind sie von Sportveranstaltungen ausgeschlossen“, weiß Francisco Soberón Garrido von der peruanischen Menschenrechtsorganisation Pro Derechos Humanos (APRODEH).
Im Gegensatz zu gewöhnlichen Gefangenen, die dreimal in der Woche Besuch empfangen können, ist dies den „terroristischen Gefangenen“ nur einmal im Monat gestattet. Die einzigen, die dann Zugang zu ihnen erhalten, sind enge Verwandte. Die gesetzlich auf eine halbe Stunde festgelegte Besuchszeit wird außerdem auf zwanzig Minuten verkürzt. Freunde haben keine Möglichkeit, eine Besuchserlaubnis zu bekommen. Und den Kindern der Inhaftierten ist es nur alle drei Monate gestattet, ihren Vater oder ihre Mutter zu besuchen. Auf beiden Seiten der Glastrennscheibe passen Wärter auf, was bei den Besuchen gesprochen wird.
Verschärfte Bedingungen seit der Geiselnahme
In Reaktion auf die Geiselnahme in Lima hat die Regierung die Haftbedingungen der MRTA-Gefangenen für unbestimmte Zeit verschärft und die Besuchsprogramme „in allen ihren Formen“ außer Kraft gesetzt, wie der Regierungsbeauftragte für die Geiselnahme, Erziehungsminister Domingo Palermo, mitteilte. Das bedeutet, daß die betreffenden Häftlinge überhaupt keinen Besuch mehr empfangen können. Auch dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes wurde der Zutritt verwehrt. Das Rote Kreuz ist die einzige Organisation, die sonst zu den Gefangenen Zugang hat. Die Regierung fürchtet, daß die Familienangehörigen Nachrichten über die Residenzbesetzung zu den Gefangenen tragen könnten, was bei dem enormen Sicherheitsaufwand nicht möglich ist. Die Repressionsmaßnahme der Regierung macht den Angehörigen Angst. Denn die MRTA-Gefangenen sind dadurch von jedem Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten worden. Niemand weiß, was in den Gefängnissen passiert.
Die Aussetzung des Besuchsrechts gilt auch für den MRTA-Kommandanten Víctor Polay Campos. Er wird auch sonst in dem berüchtigten Marinegefängnis von Callao einer“ Sonderbehandlung“ unterzogen, „wie sie außer ihm nur noch zwei anderen MRTA-Gefangenen zuteil wird“, sagt seine Mutter Otilia Campos de Polay im Gespräch mit den LN. Zusammen mit anderen türmte Victor Polay 1990, nur ein Jahr nach seiner Verhaftung, durch einen Tunnel aus dem Gefängnis. Nach zwei Jahren wurde er allerdings erneut festgenommen.
Inhaftiert bei minus 15 Grad
Nach dieser zweiten Verhaftung saß Polay zuerst in dem Hochsicherheitsgefängnis Yanamayo in der Provinz Puno. Yanamayo liegt 4.000 Meter über dem Meeresspiegel, die Temperatur kann nachts bis auf minus 15 Grad sinken. „Es gibt dort große Probleme mit der Heizung“, erzählt Francisco Soberón. Außer Polay sind dort noch andere MRTA-Angehörige untergebracht. „Das Gefängnis liegt sehr weit weg von Lima. Um dahin zu kommen, muß man ein Flugzeug nehmen, was sich viele Verwandte nicht leisten können“, erzählt Otilia Campos de Polay.
Als das Marinegefängnis in Lima fertiggebaut war, wurde Victor Polay dorthin verlegt. Doch zuvor wurde er, so seine Mutter, zusammen mit einem weiteren MRTA-Kommandanten, Peter Cárdenas, gefoltert. Beide bekamen Elektroschocks an Kopf und Geschlechtsorganen. Polay wurde außerdem die linke Schulter gebrochen. Im Flugzeug von Yanamayo nach Lima „öffneten ihre Bewacher eine Türe und drohten beide lebendig aus dem Flieger zu werfen“, schildert Otilia Campos. Hinterher prahlten die Militärs, einer der beiden hätte sich vor Angst in die Hose gepinkelt. Am Flughafen in Lima angekommen, präsentierten sie die Gefangenen, wie es in Peru üblich ist, in einer Art Raubtierkäfig der Presse.
Ein Loch für Licht und Luft
Im peruanischen Fernsehen wurde später das frisch eingeweihte Marinegefängnis gezeigt: Die Zellenwände sind 60 Zentimeter dick. Die Zelle Polays mißt zwei mal vier Meter, darin befinden sich Latrine und Bett. An der Decke soll ein 15 Quadratzentimeter großes Loch Licht und Luft in die Zelle lassen. In der Zelle gibt es kein Wasser, so daß Polay, nachdem er auf dem Klo war, einen Wärter bitten muß, von außen auf den Spülknopf zu drücken.
„In dieser Zelle verbringt Victor dreiundzwanzigeinhalb Stunden seines Tages“, so seine Mutter. Eine halbe Stunde Hofgang wird ihm täglich gewährt. Von den anderen Gefangenen wird er abgeschirmt, auch die Wärter sprechen kein Wort mit ihm, sie sehen ihn noch nicht mal an. „Wenn man ein Tier so behandeln würde, würde es bald sterben“, meint Otilia Campos de Polay. „Nur Menschen können das überleben, da sie nicht sterben wollen.“
Lückenlose Überwachung
Ganze 14 Monate hat es gedauert, bis Otilia Campos de Polay, ihren Sohn im Gefängnis von Lima besuchen durfte. Seither werden ihr jeden Monat 30 Minuten Besuchszeit gestattet. Die Besuche finden hinter einer Trennscheibe statt, die Stimmen sind nur über Lautsprecher zu hören. Die ganze Zeit stehen Wärter auf beiden Seiten und passen auf, daß die beiden nicht mit Gesten geheime Informationen austauschen.
Wie andere Mütter bringt Otilia Campos de Polay ihrem Sohn bei jedem Besuch ein Essenspaket mit ins Gefängnis. Oft dauert es recht lange, bis die Pakete die Wachen passieren und den Gefangenen ausgehändigt werden. „Im Durchschnitt gibt die Regierung einen Sol (zirka 45 Pfennige) bis anderthalb Soles am Tag für das Essen der Gefangenen aus“, schildert Francisco Soberón. Dementsprechend fällt das Menü aus: Am Morgen gibt es Kräutertee, zum Mittagessen eine Suppe, meist Kartoffelsuppe, und zum Abendessen einen heißen Tee. Ohne Essenspakete von Angehörigen ist so kaum zu überleben.
Auch die medizinische Behandlung läßt zu wünschen übrig. Die Behörden sperren sich regelmäßig gegen Behandlungen, die außerhalb des Gefängnisses vorgenommen werden müssen. Es gibt Streitereien über die Termine, die die Ärzte den gefangenen Patienten setzen. In den Krankenhäusern kommt es schon mal vor, daß die politischen Gefangenen an ihr Bett gekettet werden.
Eine Besserung der Haftbedingungen ist nicht in Sicht. Präsident Alberto Fujimori präsentierte die verhafteten MRTA-Mitglieder auf dem Silbertablett der Öffentlichkeit, um seine Wiederwahl zu sichern. Gebetsmühlenartig wiederholen er und sein Beauftragter für die Geiselnahme in der Residenz der japanischen Botschaft, daß eine Freilassung der MRTA-Gefangenen auf keinen Fall in Frage komme. Beschwerden der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der UNO und verschiedener Menschenrechtsorganisationen ließen Fujimori unbeeindruckt. Forderungen nach Verbesserung der Haftbedingungen hat er stets ignoriert.