LEBENSRAUM UND KOSMOVISION
Interview mit Dayuma Nango, Norma Ene Nenquimo und Manaí Prado zur Zukunft des historischen Yasuní-Volksentscheids gegen die Erdölförderung

Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, mit uns zu sprechen. Könnt ihr uns ein wenig über euch erzählen?
Dayuma: Mein Name ist Dayuma Nango. Als Vizepräsidentin der Vereinigung der Waorani-Frauen von Ecuador, AMWAE, verteidige ich die Frauen und unseren Regenwald.
Ene: Mein Name ist Ene Nemquimo, Vizepräsidentin der Waorani-Nationalität Ecuadors (NAWE) und Verteidigerin unserer gemeinsamen Heimat. Im Moment bin ich eine politische Führungsperson, obwohl ich die Politik nicht mag. Aber um das Leben der Menschen und das Leben von Yasuní zu garantieren, muss ich mich positionieren, damit mich niemand mit Füßen treten kann.
Manaí: Mein Name ist Manaí Prado und ich komme aus Quito. Ich beschäftige mich seit etwa 11 Jahren mit dem Thema Yasuní, mehr oder weniger seit dem ersten Versuch des Volksentscheids im Jahr 2013. Zurzeit bin ich Teil der NGO Acción Ecológica (Ökologische Aktion) und arbeite auch an anderen Projekten in Zusammenarbeit mit Indigenen Organisationen im Regenwald und in den Anden. Ich bin Historikerin und studiere Soziologie.
Was bedeutet Yasuní für euch?
Ene: Yasuní ist für mich unsere gemeinsame Heimat, meine Welt, meine Kosmovision, er ist unser gemeinsames Zuhause.
Dayuma: Für mich ist Yasuní unser Leben, die Lunge der Welt. Der Ort mit der größten Artenvielfalt auf der Welt. Und genau dafür kämpfen wir.
Manaí: Yasuní steht für mich für das Leben und für einen jahrelangen Kampf. Er ist etwas sehr Wichtiges in meiner Geschichte, auch persönlich. Er steht für diesen ganzen Widerstand, aber vor allem für die Hoffnung.
Wie ist die Situation im Yasuní nach der Volksbefragung?
Ene: Die Menschen mit Interessen im Ölsektor sind diejenigen, die verlieren, wenn die Ölförderung im Yasuní gestoppt wird. Die westliche Welt, die Welt der Interessen, verliert. Deshalb drängen die Investoren und Maschinenbesitzer darauf, weiterzumachen. Wir haben aber auch eine interne Situation unter den Waoranis. Einige wollen, dass die Erdölförderung fortgesetzt wird. Sie sind sich nicht bewusst, welche Folgen das für ihren Lebensraum hat. Es gibt keinen angemessenen Wohnraum, keine Gesundheitsversorgung, keine gute Bildung. So kommen viele schon in jungen Jahren zum Alkohol, und dann wird alles nach und nach zerstört.
Wie sieht die Situation besonders für Kinder und Frauen aus?
Dayuma: Die Lage ist wirklich sehr schwer für die Frauen. Als AMWAE wollen wir sie unterstützen, damit sie sich selbst versorgen können. Wir haben jetzt einen Laden für unser Kunsthandwerk eröffnet, aber wir müssen diesen Laden weltweit sichtbar machen, damit es mehr wirtschaftliche Ressourcen für die Frauen gibt. Wir bringen Lebensmittelpakete und Medizinpakete in die Gemeinden, die lebensnotwendig sind, denn wir haben einige Anführerinnen, die an Krebs sterben, und die Kinder in unserem Gebiet leiden unter akuter Mangelernährung.
Was hat die ecuadorianische Regierung getan, seitdem ihr den Volksentscheid gewonnen habt?
Ene: Die Regierung hat mit den Ministern, sogar mit Petroecuador (staatliches Erdölunternehmen), eine Kommission gegründet, aber sie haben uns nicht eingeladen.
Wer ist Teil dieser Kommission?
Manaí: Das Komitee für die Ausführung des Volksentscheides zu Yasuní ITT besteht aus dem Ministerium für Umwelt, Wasser und Ökologische Transition, dem Ministerium für Energie und Bergbau, dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, dem Ministerium für Frauen und Menschenrechte und Petroecuador.
Mit anderen Worten, es gibt nur Mitglieder, die den Staat vertreten. Gibt es jemanden aus der Privatwirtschaft?
Manaí: Nein, auch keine Wissenschaftler*innen und keine Indigenen sozialen Organisationen.
Deshalb habt ihr im August 2024 den Internationalen Gipfel für den Yasuní organisiert?
Ene: Ja, und als wir gerade dabei waren, den Gipfel zu organisieren, rief uns der Geschäftsführer von Petroecuador an. Er sagte: „Wir wissen, dass ihr jetzt eure Stimme auf internationaler Ebene erhebt und den Gipfel abhalten werdet. Stattdessen schlage ich vor: Wir geben 50 Millionen an NAWE als Organisation. Ihr müsst nur unterschreiben. Aber bitte machen Sie diesen Gipfel nicht.“ Daraufhin sagte der Präsident der NAWE: „Vielen Dank, aber ich werde nicht alleine entscheiden. Wir sind ein Rat in der NAWE, in dem wir Entscheidungen im Konsens treffen.” Nach unserer Besprechung ging er dann nach Quito, um den Vertrag zu unterschreiben, den Petroecuador vorbereitet hatte.
Haben sie euch das Dokument vorher gegeben, damit ihr es sehen könnt?
Ene: Nein, sie haben ihm, wie auch in vorherigen Fällen, nur das letzte Unterschriftenblatt gegeben. Aber wir waren clever. Der Präsident der NAWE sagte: „Geben Sie mir den Entwurf. Wir werden ihn Absatz für Absatz mit unseren Anwälten lesen. Und dann werde ich ihn unterschreiben.“ Aber am Ende entschied er: „Wenn ich das unterschreibe, verkaufe ich das Leben von mehr als 4.000 Waorani. Ich beende unseren historischen Kampf. Viele von uns haben Verträge mit staatlichen Unternehmen unterzeichnet, die nicht erfüllt worden sind. Bis jetzt haben sie uns in Armut gelassen. Ich werde nicht unterschreiben.”
Daraufhin habt ihr dann den Gipfel organisiert. Wie ist es dort gelaufen?
Ene: Das Gipfeltreffen wurde von den Waorani mit dem Ziel organisiert, einen gemeinsamen Vorschlag auszuarbeiten. In diesem Rahmen haben wir sieben Thementische zusammengestellt: Einhaltung des Volksentscheids, nachhaltige Wirtschaft, territoriale Selbstbestimmung, Indigene Gemeinschaften in freiwilliger Isolation, Waorani Frauen und Jugend sowie strategische internationale Allianzen für Yasuní. Es kamen viele Verbündete. Jeder wählte einen Thementisch, und wir erarbeiteten verschiedene Vorschläge. Jetzt liegt die Zusammenfassung im Entwurf vor, und wir hoffen, sie bis Ende Januar fertig zu stellen, damit wir einen Aktionsplan haben. Welche Organisationen können mitarbeiten? Wie sollen die Mittel aufgebracht werden? Das Wichtigste ist, ein gutes Team zusammenzustellen.
Wie ist es für euch als Frauen, in Führungspositionen zu sein?
Dayuma: Wir sagen, genug mit dieser Art von Herablassung! Als meine Großmutter − Dayuma Kento − ihre Unterschrift vor 30 Jahren bei Repsol hinterließ, dachte sie, dass wir eine gute Gesundheitsversorgung, eine gute Bildung und ein Zuhause haben würden. Ich glaube, ich war acht Jahre alt, als meine Großmutter unterschrieb. Ich erinnere mich sehr gut daran: Sie sagte zu mir, „Liebling, ich habe unterschrieben und wir werden gut leben.” Ich glaube, dass wir Frauen heute sehen, wie sich die Ölgesellschaft über uns lustig gemacht hat. Jetzt haben wir unsere Stimme, um ihnen die Stirn zu bieten, um diese Dinge zu stoppen, diesen Schaden, den sie uns zugefügt haben.
Ene: Meine Amtszeit beträgt vier Jahre, es bleiben noch zwei Jahre. Danach möchte ich, so Gott will, Präsidentin der NAWE werden und zeigen, dass wir Frauen dazu fähig sind. Es geht auch darum, dass unsere Position und unsere Haltung respektiert wird. Wir können nicht von Gleichberechtigung sprechen, wenn eine Frau die Position der Präsidentin nicht erreicht, sondern Männer weiterhin dominieren. Die Tatsache, dass eine Frau Stellung bezieht, bedeutet nicht, dass die Männer außen vor bleiben, sondern, dass wir zusammen gehen. Aber wir sind auch in Gefahr. Trotzdem, bevor wir schweigen, ist es besser, die Stimme zu erheben.
Dayuma: Wir erhalten direkte Morddrohungen, weil wir gegen die Ölgesellschaft sind: „Wir werden dich zum Schweigen bringen, wir werden dich töten.” Aber ich werde nicht schweigen. Ich stamme aus einer Familie, die für ihr Territorium und für ein gutes Leben gekämpft hat. Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen, wir werden uns zusammenschließen und kämpfen, um voranzukommen.
Wie können wir von hier aus unterstützen?
Manaí: Ich denke, dass die konkretesten und dringendsten Bedürfnisse in Bezug auf die technischen Fragen bestehen, wie die Ölfelder geschlossen, wie sie gewartet werden, wie der Reparationsprozess durchgeführt werden soll. Und davon ausgehend brauchen wir natürlich auch Mechanismen, um die Einhaltung des Volksentscheides zu überwachen. Ich glaube nicht, dass es dafür notwendig ist, vor Ort präsent zu sein, sondern wachsam zu sein, um Druck auf den Staat auszuüben, also eher eine mediale und virtuelle Funktion. Es geht nicht darum, ob die Regierung ihn einhält oder nicht, denn sie müssen ihn einhalten, sondern wie sie es tun und wer daran beteiligt ist.
Was ist eure Vision für die Zukunft des Yasuní?
Ene: Meine Vision ist, dass Yasuní ein Ort des Friedens und der Harmonie wird. Dass Yasuní ein Beispiel auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene ist, dass ein Volk nach so vielen Kämpfen den eigenen Lebensraum genießen kann. Wir wurden mehrmals geschlagen, vergewaltigt und misshandelt. Es ist Zeit, dass wir uns ausruhen.
Manaí: Ich sehe Yasuní in der Zukunft als einen Ort, an dem diese Ungleichheit nicht existiert, an dem es eine staatliche Präsenz gibt, um die Rechte der Gemeinschaften zu garantieren, an dem das Leben der Indigenen Gemeinschaften von Yasuní angemessener und würdiger ist. Und ich sehe einen Yasuní, der wiederhergestellt wird.
Dayuma: Ecuador war im Kampf um den Yasuní geeint und wir haben gewonnen. Wir haben für das „gute Leben” gewonnen (El buen vivir ist ein Leitprinzip in Ecuadors Verfassung, Anm.d.Red.). Für unsere Kinder, für die kommenden Generationen. Und auch für unsere Brüder und Schwestern in freiwilliger Isolation, damit sie in Stille leben können, denn im Moment leiden sie unter viel Lärm. Es wird dieser Tag kommen, ohne Lärm, ohne Verschmutzung, ohne dergleichen und ihr unsere Heimat besuchen könnt, unser Land, die Lunge der Welt.