Colonia Dignidad | Nummer 380 - Februar 2006 | Sachbuch

Lederhosen, Dutt und Giftgas

Ein neues Buch über die Colonia Dignidad zeigt, dass die Sektenanhänger auch Waffenhändler waren.

Paul Heller bringt in seinem dritten Buch über die chilenische Colonia Dignidad neue Fakten über die illegalen Machenschaften Paul Schäfers und seiner Anhänger. Sogar Giftgas soll auf dem Gut produziert worden sein.

Jürgen Karwelat

Die Colonia Dignidad löst sich auf. Nach der Verhaftung des Sektenführers Paul Schäfer am 10. März 2005 in Argentinien fällt die Gruppe auseinander. Ein guter Zeitpunkt für eine Bilanz.
Die zieht Paul Helller unter dem Titel „Lederhosen, Dutt und Giftgas“. Er resümiert die Geschichte der Sekte um Paul Schäfer und gewährt Einblicke in das brutale und freudlose Leben der Sektenmitglieder.
Während in der Sekte Geschlechtlichkeit verteufelt und zum Beispiel Biologiebücher zensiert wurden, schaffte es Schäfer, den sexuellen Missbrauch durch ihn als eine Gabe Gottes darzustellen. Der Autor zeichnet das erschreckende Bild einer Gruppe, die durch weitgehende Isolation von der Außenwelt eigene, von Paul Schäfer gesteuerte Moralvorstellungen entwickelte. Kindesmissbrauch, Psychoterror, gegenseitige Bespitzelung und Zwangsmedikation für die Abweichler gehörten zum Alltag der Gruppe.

Pinochets Helfer

Heller zeigt außerdem auf, wie die Colonia Dignidad mit der chilenischen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet zusammenarbeitete. Das Gut diente als Folterlager und Zentrale des Geheimdienstes DINA, und auch Sektenmitglieder haben sich an Folterungen von politischen Gefangenen beteiligt. Besonders eindrücklich gelingt es dem Autor, in Portraits der Peiniger von Regimegegnern der Frage nachzugehen, wie ein Mensch zum Folterer wird.

Neue Fakten

Was die Brisanz des Buches ausmacht, sind die Ausführungen über die weiteren Verstrickungen der Colonia Dignidad in Massenmorde, Waffenschmuggel und die Produktion von B- und C-Waffen. Zwischen 1978 und 1980 wurden erhebliche Mengen des Giftgases Sarin produziert. Die Anlagen dazu wurden als Missionsgut deklariert aus Deutschland geliefert. Einzelheiten über Menge und Umstände der Chemieproduktion beschreibt Heller leider nicht. Eine Schlüsselrolle bei den Schmuggelgeschäften spielte der deutsche Waffenhändler Gerhard Mertins, der zeitweise der Sprecher des deutschen Freundeskreises der Colonia Dignidad war. Im Juni 2005 fand die Polizei auf dem Gelände der Colonia Dignidad größere Mengen von Waffen. Über Mertins soll es eine Zusammenarbeit der Colonia Dignidad mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) gegeben haben. Auch hier geht Heller aber nicht auf weitere Einzelheiten einer Zusammenarbeit mit deutschen Stellen ein.

Und was kommt noch?

In Chile wird derweil Paul Schäfer und der Führungsclique der Sekte der Prozess wegen sexuellem Missbrauchs von Kindern, der Beihilfe zu diesen Taten und wegen der Folterung und Ermordung von politischen Gefangenen gemacht.

Friedrich Paul Heller: Lederhosen, Dutt und Giftgas. Die Hintergründe der Colonia Dignidad. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2006, 136 Seiten, Euro 12,80.

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