Comic | Nummer 610 - April 2025 | Umwelt & Klima

„Lithium, das Brot für heute, der Hunger von morgen“

Interview mit der Comic-Künstlerin und Aktivistin Azul Blaseotto über die Proteste gegen den Lithiumabbau in Argentinien

In ihrem Comic Vida de Litio („Lithium-Leben“) macht Azul Blaseotto, Comic-Zeichnerin, Professorin und Künstlerin, auf die Repressionen des argentinischen Staats gegen die Proteste der Indigenen Bevölkerung in der Region Jujuy aufmerksam. Diese wehrt sich gegen den Lithiumabbau und kämpft für das Recht auf ihr Land. Als Reaktion seitens der Regierung erfahren die Menschen Gewalt und Unterdrückung. Doch die Proteste beschränken sich längst nicht mehr auf den grüner Extraktivismus in Argentinien. Im Interview berichtet sie von den Zusammenhängen unterschiedlicher Kämpfe in Jujuy und den aktuellen Herausforderungen im argentinischen Bildungssystem.

Interview: Mara Kuth
Foto: Martin Nieva

Was war deine Motivation für den Comic Vida de Litio?
Es war eine sehr komplizierte politische Situation in Argentinien, die in den Medien nicht gezeigt wurde. Nachrichten über die Straßensperren und die Proteste in Jujuy und über die gerichtliche Einschüchterung wurden spät veröffentlicht, einige Nachrichten erschienen erst nach drei bis vier Wochen. Zuerst bekam ich Bilder von Nachbar*innen, die von Handy zu Handy Videos weiterreichten. Es gab jeden Tag mehr Gewalt und Ignoranz und das hat mich im Grunde dazu gebracht, Zeichnungen anzufertigen, um darüber zu berichten, was passiert.

Warum denkst du, hat es so lange gedauert, bis medial über die Proteste in Jujuy berichtet wurde?
Man darf nicht vergessen, dass der politische Anführer der Repression der Gouverneur von Jujuy ist. Es gab eine Art mediales Schweigen und nichts wurde veröffentlicht, bis es so schrecklich war, dass die Leute in Jujuy begannen, Nachrichten und Videos zu schicken, bis sie in den Nachrichten erschienen.

Gibt es einen persönlichen Bezug für dich zu dem Thema?
Was mich betroffen gemacht hat, ist, dass die Proteste und Straßenblockaden eigentlich von Lehrer*innen des öffentlichen Bildungswesens in Jujuy begonnen wurden, erst dann schlossen sich ihnen auch Zivilist*innen und die Indigene Bevölkerung an. Aber am Anfang waren es die Lehrer*innen, weil ihre Gehälter in Jujuy zu den niedrigsten im ganzen Land gehören. Das betrifft mich als Dozentin persönlich. Das öffentliche Bildungswesen wurde von den Regierungen in Argentinien sehr stark in Mitleidenschaft gezogen. Ich erhalte seit zwei Jahren das gleiche Gehalt, sie passen das Gehalt nicht an das an, was man zum Leben braucht. Das Lehrer*innengehalt hat 60 % der Kaufkraft verloren. Wir sind unter der Armutsgrenze. Wir sind natürlich nicht die Einzigen, auch die Rentner*innen leiden.

Warum wird das argentinische Bildungssystem von der Regierung deiner Meinung nach so heruntergewirtschaftet?
In Argentinien ist die öffentliche Bildung sehr wichtig, sie ist eine Art sozialer Ausgleich. Da sie öffentlich, säkular und kostenlos ist, hat jeder Zugang dazu, auch die Kinder und Enkelkinder der Arbeiter*innen. Im Grunde genommen gibt es eine Mittelschicht in Argentinien, weil es immer öffentliche Bildung gab, aber jetzt wird sie sehr stark angegriffen. Für mich ist der Angriff auf die öffentliche Bildung das Erste, was die Ultra-Rechte in Argentinien tut, um das politische Verständnis der Bürger*innen zu senken und sie dazu zu bringen, sie wiederzuwählen.

Was war deine Reaktion auf die Angriffe auf das Bildungssystem?
Erst haben wir gestreikt, aber dann musste der Unterricht weitergehen. Durch die Finanzkürzungen gab es einen Moment, in dem die Universitäten den Strom und das Wasser nicht mehr zahlen konnten. Die Toiletten in der Universität funktionierten nicht. Ich habe also Vorlesungen auf der Straße gehalten, als eine Form des Protests. Öffentliche Bildung ist in Argentinien aber auch eng mit dem Gesundheitssystem verbunden – es gibt auch Krankenhäuser und Universitätskliniken, die sehr wichtig sind in Argentinien und die geschlossen werden sollten.

Wie siehst du die Zukunft Argentiniens?
Es macht mir große Angst. Es ist nicht nur eine finanzielle Frage, auch die Qualität von allem sinkt, die Qualität der Bildung, der Gesundheitsversorgung und der Ernährung. Das sind alles Dinge, die miteinander verbunden sind, auch mit dem Thema Lithium. Die Regierung siedelt Industrien an, die keine Arbeitsplätze bieten. Der Lithiumabbau verschmutzt die Erde und das Wasser und trocknet fruchtbares Land aus, auf dem Lebensmittel angebaut werden. Es gibt einen täglichen Stress, der sich durch alle sozialen Schichten zieht, aber am stärksten betroffen sind die unteren und mittleren Schichten. Es ist unmöglich, so zu leben und Gewalt ist zum Alltag geworden. Es gibt eine Mentalität in der politischen und wirtschaftlichen Führung Argentiniens, die Zukunft als eine Frage der Ausbeutung der sogenannten „natürlichen“ Ressource sehen. Was es nicht gibt, ist eine Vision für die Zukunft, eine Vision der industriellen Integration, eine Vision der Bereitstellung echter und menschenwürdiger Arbeit für die gesamte Bevölkerung. Und die Indigene Bevölkerung, die um die Salinen herum lebt, weiß das ganz genau. Sie sagen, dass Lithium das Brot für heute und der Hunger von morgen ist. Es ist eine rein extraktive Industrie.


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