Macri auf dem dünnen Ast
Fortwährende Skandale bei der neuen Hauptstadtpolizei und ein Verfahren wegen Korruption gegen mauricio Macri, Bürgermeister von Buenos Aires
Am Anfang des Korruptionsfalls stand ein anonymer Anruf bei Sergio Burstein. „Du wirst von ‚Fino‘ Palacios abgehört“, teilte ihm eine unbekannte Stimme am 22. September letzten Jahres mit. Die illegale Telefonüberwachung sowie der damit verbundene Skandal um Bürgermeister Mauricio Macri und das Korruptionsverfahren wegen „Gründung einer verbotenen Organisation im Staat“, füllt in Argentinien nun schon seit Monaten die Zeitungsseiten. Erst 10 Tage später wurde die Angelegenheit der Presse offenbart, da Burstein zu dieser Zeit auf einer Delegationsreise mit Präsidentin Cristina Kirchner de Fernández bei den Vereinten Nationen in New York war und seine Tochter den Anruf des unbekannten Mannes entgegennahm.
Das Thema hat besondere Brisanz, da Burstein ein engagiertes Mitglied einer Gruppe von Familienangehörigen der Opfer des AMIA-Attentats ist und nur jener seiner sieben Anschlüsse abgehört wurde, den er für sein AMIA-Engagement nutzte. Bei dem Autobomben-Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires im Juli 1994 wurden 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt. Heute, 16 Jahre später, ist weiterhin vieles im Unklaren. Die genauen Hintergründe des Anschlags, der der Hisbollah zugeschrieben wird, sind nicht aufgeklärt, die Verantwortlichen wurden nie gefasst. Zu schnell wurde von oberster Stelle angeordnet, den Fall ad acta zu legen, so dass kaum verlässliche Aussagen über die Tat zu treffen sind. Durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen im Oktober letzten Jahres gelang den Angehörigen schließlich ein wichtiger Zwischenerfolg auf ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Ermittlungen richten sich vor allem gegen einen Freund des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem, aber auch gegen Menem selbst wird ein angegliedertes Verfahren wegen „Verschleppung der Ermittlungen“ geführt. Die Spuren der Beweisverschleierung führen direkt in den Präsidentenpalast, wo der Vater des Verdächtigen wenige Wochen nach dem Anschlag zu Gast war. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die Ermittlungen groteske Züge an: Beschuldigte wurden vor Hausdurchsuchungen telefonisch gewarnt, Telefonüberwachungen wurden abgebrochen, Abhöraufnahmen sowie -protokolle verschwanden und der Ermittlungsdruck sank auf ein Minimum.
Dass die massive Korruption aus der menemistischen Ära in den 1990er heute nicht überwunden ist, zeigen nicht zuletzt die personellen Kontinuitäten im Staatsapparat. Hauptangeklagter in beiden Gerichtsprozessen ist ein guter Freund vom ehemaligen Präsidenten wie auch vom Oberbürgermeister von Buenos Aires: Jorge „Fino“ Palacios warnte persönlich 1994 Verdächtigte im AMIA-Verfahren und ließ Tonbänder verschwinden. Seit November 2009 sitzt er wegen der illegalen Abhör-Aktionen in Untersuchungshaft. Sein Abstieg kam plötzlich, aber er verlief rasant: Mitte 2009 wurde Palacios noch zum Chef der neuen Hauptstadtpolizei designiert, was postwendend massive Kritik hervorrief und einen schnellen Rücktritt zur Folge hatte (siehe LN 425). Wenige Monate danach wurde er festgenommen – ein wesentlicher Verdienst von Sergio Burstein und dem anonymen Anrufer.
Spätestens seit dieser Angelegenheit ist von Mauricio Macris Idee einer „modernen, sauberen und effektiven Hauptstadtpolizei“ nicht viel mehr als ein frommer Wunsch geblieben. Zu oft mussten seit dem kurzen Bestehen der sogenannten Metropolitana, die im Februar diesen Jahres ihren Dienst auf den Straßen von Buenos Aires leistet, Führungspositionen neu besetzt werden. Der Polizeipräsident wurde bereits zweimal ersetzt. Und auch der Posten des Chefermittlers ist neu zu vergeben, nachdem bekannt wurde, dass gegen den Amtsinhaber seit neun Monaten Ermittlungen wegen „Bestechlichkeit und Unterstützungen von illegalen Bordellen“ laufen. Die hohe Zahl von unehrenhaft aus dem Dienst enthobenen Geheimdienst- und BundespolizeibeamtInnen in den Reihen der Hauptstadtpolizei, belegt eine überaus problematische Berufungspraxis.
Aktuell sorgt das Erbe Palacios für nachhaltige Imageschäden. „Fino“ steht für einen Polizeiapparat, in dem Korruption, Vetternwirtschaft und Selbstjustiz zum Alltag gehören. Dass problematische Berufungen kein Einzelfall sind, hat ein Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus herausgearbeitet. „Vier Fünftel der Führungspersonen, die Macri benannt hat, stammen aus der Zeit der Diktatur und waren am Staatsterrorismus beteiligt“, sagt Marcelo Parrilli, einer der oppositionellen Abgeordneten, die die Kommission ins Leben riefen.
Der für den Abhör-Fall zuständige Richter Norberto Oyarbide lässt keinen Zweifel daran, dass Palacios und sein Vertrauter Ciro James für die illegale Telefonüberwachung von mindestens zehn Personen verantwortlich sind. Ebenso angeklagt sind Mauricio Macri, sein ehemaliger Bildungsminister und der Justizminister der Hauptstadt. Das Schema, nach welchem die Abhör-Aktionen durchgeführt wurden, wirft lange Schatten auf die argentinische Justiz und die Sicherheitsbehörden: Ciro James nutzte als früherer Geheimdienstagent seine Kontakte, um Namen von Personen, deren Telefone abgehört werden sollten, zu einer Liste von Verdächtigen im Fall eines erdachten Raubmordfalls hinzuzufügen. Die lokale Polizei in der argentinischen Provinz Misiones war eingeweiht und zwei Richter unterzeichneten die Anordnungen. Später holte James die Tonbänder dort höchstpersönlich ab. In dieser Zeit telefonierte er jeden Tag mehrmals mit Palacios, um ihn über die mitgeschnittenen Gesprächsinhalte zu informieren.
Die Liste der Abgehörten ist illuster: Bespitzelt wurden neben Burstein mehrere wichtige argentinische Unternehmer, deren Ehefrauen, ein Anwalt, zwei Supermarkt-Manager und auch Néstor Daniel Leonardo, Macris Schwager. Ein eindeutiges Muster für die Auswahl der Lauschangriff-Opfer ist nicht erkennbar, zu verschieden sind die Betroffenen. Die Unterschiedlichkeit legt lediglich nahe, dass es sich um eine individuelle Auftragserfüllung durch das Gespann Palacios-James handelte. Womöglich konnte wer Kontakte und/oder Geld besaß, seine private Wanze installieren lassen. Folgt man dieser Hypothese, drängt sich das Engagement Sergio Bursteins gegen Palacios Berufung als Motiv für die Überwachung auf.
Innerhalb der Familie Macri scheint die Begründung ähnlich wie bei anderen Fällen persönlicher Natur zu sein: Leonardo sagte aus, er sei vom Familienpatriarchen Franco Macri nicht akzeptiert worden, obwohl er bereits mehrere Jahre mit dessen Tochter Susana verheiratet ist. Die Ablehnung ging sogar bis zu handfesten Drohungen gegen den ungeliebten Schwiegersohn. Erschwerend wirkt in diesem familieninternen Politikum für den regierenden Bürgermeister ein Überfall auf seinen Schwager, bei dem dieser angeschossen wurde. Obwohl das Opfer selbst den Vorfall relativierte, wirft der Fall wegen der zeitlichen Nähe zu Leonardos Aussage und den Drohungen, kein gutes Licht auf die Angelegenheit.
Die Skandale der letzten Monate machen deutlich, dass kriminelle Machenschaften im Staatsapparat keine Ausnahme sind. Für Macri wird der Ast, auf dem er sitzt immer dünner, denn es hat den Anschein als würde Richter Oyarbide ernst machen. Sein erklärtes Ziel ist es, die Hintergründe aufzudecken und auch die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem wird mittlerweile jede neue Benennung für Mauricio Macri zu einem medialen Spießrutenlauf: Die Nachfolge im Bildungsministerium sorgte für heftige Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass der Anwärter in Zeitungskolumnen regelmäßig dafür plädiert hatte, die Verantwortlichen der letzten Militärdiktatur zu verschonen und endlich einen Schlussstrich zu setzen. Die überlebenden Verfolgten dieser Epoche bezeichnete er als “subversive Überreste“ – eine diskursive Anleihe an die Militärdiktatur-Terminologie, die nicht gesellschaftsfähig ist und so dem Bildungsminister eine äußerst kurze Amtszeit verschaffte. Zum Alltag der Hauptstadtregierung gehören neben derart handfesten Personalskandalen, ständige Haushaltskürzungen des sozialen und kulturellen Etats zugunsten der Sicherheits- und Ordnungspolitik sowie andauernde soziale Proteste gegen diesen neoliberalen Kurs.
Die Strategie des regierenden Parteienbündnisses PRO angesichts des massiven Drucks auf ihren Vorsitzenden und seiner tagtäglich sinkenden Popularität folgt dennoch dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Zum Beispiel wurde eine Kampagne gegen Oyarbide angezettelt, mit der versucht wurde, den Richter wegen Befangenheit vom Fall zu entbinden. Das Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Nachdem die Absetzung kürzlich zum zweiten Mal abgelehnt wurde, kann der Richter nun seine Ermittlungen mit Rückendeckung der Ersten Bundeskammer weiterführen.
Des Weiteren wird mit dem Ruf von Macris Regierungslager nach Sicherheit und Ordnung versucht, polarisierend auf die Gesellschaft einzuwirken und die öffentliche Debatte auf sicherheitspolitische Belange zu konzentrieren. So wurde wieder einmal eine Erweiterung des seit Jahren kontrovers diskutierten Sonderverordnungskatalogs in einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses eingebracht. Ziel dieser Erweiterung ist die Umsetzung einer Reihe ordnungspolitischer Maßnahmen, welche zugleich einige Betätigungsfelder der Metropolitana definieren: Verbot von informeller Arbeit in den Straßen der Stadt, zum Beispiel von AutofensterputzerInnen oder ParkwächterInnen, Verhinderung der Vermummung auf Demonstrationen und die Reglementierung von Erscheinung und Verhalten der Motorradkuriere, die oftmals per se als Diebe stigmatisiert werden. Außerdem sollen die bereits angeschafften, aber richterlich verbotenen Elektroschock-Waffen „Taser X26“ wieder zur polizeilichen Nutzung zugelassen werden.
Die Opposition im Stadtparlament nutzt diese Situation, um – in erstaunlicher Einigkeit – den Druck auf die Regierung zu verschärfen. So wurde ein Untersuchungsausschuss wegen der illegalen Telefonüberwachungen geschaffen. In diesem Zusammenhang wurde der städtische Justizminister Guillermo Montenegro vorgeladen, um vor dem Parlament eine öffentliche Stellungnahme zu den Korruptionsvorwürfen im Polizeiapparat zu geben.
Außerdem wird immer lauter über die Möglichkeiten einer Absetzung Macris nachgedacht. Amtsenthebungsverfahren sind keine Seltenheit in der argentinischen Metropole: Schon Vorgänger Aníbal Ibarra musste nach dem Brand in der Diskothek Cromañón, bei dem 190 Menschen ums Leben kamen, die Segel streichen. Geschützt wird der regierende Bürgermeister momentan durch seine parlamentarische Immunität, welche nur durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament aufgehoben werden kann. Gleiches gilt für ein erfolgreiches Misstrauensvotum. Zur Zeit kann die Opposition, trotz eines Überläufers aus Macris Reihen, jedoch nicht auf die notwendigen 40 Abgeordnete zählen. Auch ein Rücktritt scheint derzeit ausgeschlossen, da der Bürgermeister seine Präsidentschaftskandidatur 2011 anvisiert und selbst von ParteifreundInnen nicht davon abzubringen ist, sich zum obersten Politiker des Landes wählen zu lassen.
Auch die öffentlich ausgetragenen Zwistigkeiten mit seinem politischem Weggefährten, dem Multimilliardär und Gouverneur der Provinz Buenos Aires Francisco De Narváez, wirken sich negativ auf Macris Popularität aus. Jener bezeichnete Macri kürzlich als „rechtslastig und polarisierend“. Selbst die folgende schriftliche Entschuldigung konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass De Narváez versucht, sich von dem unpopulären Parteifreund zu distanzieren, schließlich werden im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr mögliche Koalitionen ausgelotet. Und die Begründung des Medienmoguls, er als Peronist habe ein anderes Selbstverständnis als Macri, deutet momentan eher auf eine mögliche oppositionelle Allianz hin. Ein aussichtsreicher Kandidat gegen Néstor Kirchner, der nach seiner Abstinenz während der aktuellen Amtszeit beim nächsten Mal wieder antreten darf, scheint momentan Eduardo Duhalde zu sein. Duhalde, auch ein ehemaliger Präsident, gehört dem sogenannten dissidenten Peronismus an, der sich rechts vom kirchneristischen Modell verortet. Er hat reale Chancen, die Basis in der bevölkerungsreichen Provinz Buenos Aires und die Gewerkschaftsapparate für sich zu gewinnen, was die Voraussetzung für jede erfolgreiche Präsidentschaftskandidatur ist. Eine Allianz mit De Narváez brächte seinen peronistischen Apparat mit der Medienmacht von De Narváez zusammen – eine Kombination, die den Kirchners gefährlich werden könnte.
Doch bis zu den Wahlen ist noch sehr viel Zeit. Ob die Administration Macris in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin Skandale wie am Fließband produziert, wird ausschlaggebend für den Verbleib des Bürgermeisters in seinem Amt sein. An Macris Dickkopf wird dieses Unterfangen sicherlich nicht scheitern. Eher schon an seinen verhängnisvollen Seilschaften.