Berlinale | Nummer 609 - März 2025

Magisch und realistisch

Die lateinamerikanischen Filme der Berlinale 2025 bestachen mit
 Stil und Storys

Von Dominik Zimmer

© Aline Arruda

Drei Filme aus Lateinamerika im Wettbewerb der Berlinale – das ist selten. Aber selten war es auch so verdient wie 2025, denn alle drei Beiträge konnten vollends überzeugen. Als Außenseiter ins Rennen gegangen, verließen sowohl O Último Azul (Der Blaue Pfad) aus Brasilien (Großer Preis der Jury) als auch El Mensaje (Die Nachricht) aus Argentinien (Preis der Jury) mit je einem Silbernen Bären das Festival. Die Preise, die auch als zweiter bzw. dritter Platz des Wettbewerbs bezeichnet werden können, gingen an zwei vor allem stilistisch mutige Filme, die ohne große Budgets mit Leichtigkeit und einer gewissen Magie die Geschichten von Aussteiger*innen aus dem vorgezeichneten Leben erzählten. Etwas zugänglicher ist Regisseur Gabriel Mascaros sanfte Dystopie O Último Azul. In dieser gar nicht so unrealistischen Zukunftsvision nimmt der Staat alten Menschen die Selbstbestimmung.

Dagegen rebelliert die 75-jährige Tereza (Denize Weinberg) und flieht in einem Boot ins Herz des Amazonasgebiets (siehe Rezension auf Seite 46). Während hier wunderschöne Bilder fast zu erwarten waren, hat Iván Fund mit El Mensaje das Kunststück geschafft, selbst der rauen und spröden Landschaft Nordargentiniens durch eindrucksvolle und warme Schwarz-Weiß-Bilder einen Zauber zu verleihen. Manche Zuschauer*innen erinnerte das Roadmovie über ein Mädchen, das mit Tieren sprechen kann und damit Geld für seine Familie verdienen soll, sogar an Werke des italienischen Großmeisters Federico Fellini. Durch seine langen Einstellungen und seine eher assoziative als lineare Erzählweise ist der Film aber sperriger, als es zunächst scheint. Mit Michel Francos Dreams (Mexiko) ging der dritte lateinamerikanische Wettbewerbsbeitrag zwar leider ohne Preis nach Hause. Die radikale Abrechnung mit dem mexikanisch-amerikanischen Traum am Beispiel einer toxischen Abhängigkeitsbeziehung von Personen aus beiden Ländern konnte aber trotzdem auf vielen Ebenen überzeugen und bereicherte das Festival.

Der dritte große Erfolg für das Cine Latino war El diablo fuma (y guarda las cabezas de los cerillos quemados en la misma caja) („Der Teufel raucht – und bewahrt die verbrannten Streichholzköpfe in derselben Schachtel auf“) aus Mexiko. Der Film mit dem längsten Titel der Berlinale 2025 gewann den ersten Preis in der neuen Sektion Perspectives, die den besten Debütant*innenfilm auszeichnet. In der kammerspielartig erzählten Geschichte aus den 1990er Jahren werden fünf Kinder von ihren Eltern verlassen und müssen versuchen, zu Hause mit ihrer schizophrenen Großmutter ihr Leben weiterzuführen. Auch hier mischt sich die harte Realität mit magischen Elementen, denn nicht nur die Großmutter hat das Gefühl, dass der Teufel dem Haus regelmäßige Besuche abstattet.

In weiteren Sektionen gab es Lobende Erwähnungen für lateinamerikanische Filme. So wurde die peruanische Dokumentation La memoria de las mariposas („Die Erinnerung an die Schmetterlinge“), die aus dekolonialer Perspektive die brutalen Verbrechen des Kautschukhandels im 20. Jahrhundert aufarbeitet, verdientermaßen von der Jury des Dokumentarfilmpreises gewürdigt. In der Jugendfilmsektion Generation konnten besonders die Kurzfilme überzeugen: Die Internationale Jury erwähnte lobend den Kinderkurzfilm Akababuru: Expresión de asombro („Akababuru: Ausdruck des Erstaunens“, Kolumbien), in der ein Indigenes Mädchen mit magischer Unterstützung lernt, sich zu behaupten. Die Jugendjury belohnte außerdem die poetische chilenische Reflexion Atardecer en América („Dämmerung über Amerika“) über die gefährliche Migrationsroute durch die Anden und Lucia Murats brasilianische Dokumentation Hora do recreio („Playtime“), in der Schüler*innen durch Diskussion und Theaterspiel ihre Diskriminierungserfahrungen austauschen, mit einer Würdigung.

Erfreulicherweise bleibt das Niveau im lateinamerikanischen Film also weiter erstaunlich hoch, und das über alle Genregrenzen hinweg. Denn auch andere Beiträge wie zum Beispiel der wilde peruanische Horror-Stilmix Punku (das Quechua-Wort für Tor), der einfühlsame Familienfilm A natureza das coisas invisíveis (Das Wesen unsichtbarer Dinge“, Brasilien) oder die persönlich-politische Aktivist*innendoku Colosal aus der Dominikanischen Republik konnten die LN-Redaktion überzeugen. Auf unserer Website gibt es Kritiken dieser und vieler weiterer lateinamerikanischer Filme der 75. Berlinale zu lesen. Viel Spaß dabei!


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren