Nicaragua | Nummer 248 - Februar 1995

“Man muß zwischen Sandinismus und FSLN unterscheiden”

Interview mit Sergio Ramírez über seinen Austritt aus der FSLN und die Perspektiven der “Sandinistsichen Erneuerungsbewegung”

Interview: Robert Große und Ingrid Lebherz

LN: Hat Ihre Entscheidung, aus der FSLN auszutreten, tatsäch­lich rein per­sönlichen Charak­ter, oder ist sie als Auf­ruf zu einem massiven Austritt aus der FSLN zu verstehen?
Ramírez: Es war eine persönli­che Ent­scheidung. Ich habe mir auch nicht vorge­nommen, zu ei­nem massiven Parteiaustritt aufzurufen. Dennoch gibt es eine Reihe von Menschen, die sich auf Grund der ge­gen mich gerichteten Verleumdungen von der FSLN getrennt haben.
Die Medien der FSLN, die nun von der “orthodoxen Linie” um den Ex-Präsi­denten Daniel Or­tega und den Coman­danten Tomas Borge kontrolliert werden, wer­fen Ihnen offen Verrat vor. Fühlen Sie oder Ihre Familie sich bedroht?
Nicht direkt. Sicher, die “Leidenschaft”, mit der mein Austritt von gewissen Perso­nen aufgenommen wurde, macht nach­denklich. Der Verratsvorwurf be­deu­tet ein Risiko. Aber wer der Gesellschaft ein Projekt vorschlägt, das soviele Feinde hat, der muß ein gewisses Ri­siko auf sich neh­men.
Die FSLN steht nun direkt vor der Spaltung. Ist der Sandinis­mus ge­schei­tert?
Man muß unterscheiden zwischen dem Sandinismus und der FSLN. Unser Ver­such, die FSLN in einen Ort der Ver­ständigung und des Konsenses zu ver­wandeln, ist gescheitert. Stattdessen kommt nun die Gegenreaktion, die zu solch ungeheuren Extremen fähig ist. Die Leute, die in der FSLN derzeit das Sagen haben, sind überhaupt nicht bereit, ihre Macht zu teilen. Seit einiger Zeit gibt es innerhalb der Par­tei überhaupt keinen Raum mehr für Diskussionen. Das ist schlecht für die Partei – sie verliert ständig an Kraft und wird bald für die Nica­raguane­rInnen keine Option mehr dar­stel­len. Der Sandinismus hinge­gen lebt wei­ter.
Werden denn die Strömungs­kämpfe inner­halb der Strukturen der FSLN weiter­gehen oder wird Ihr Movimiento de Renovación Sandinista (MRS) sich in eine eigene Partei verwandeln?
Unsere Möglichkeiten waren si­cherlich da­durch eingeschränkt, daß wir uns noch im­mer inner­halb der Strukturen einer exi­stierenden Partei bewegt haben. Auf ei­nem Treffen von 120 Dele­gierten der san­dinistischen Ba­sis hier in Managua sind wir gestern zu dem Schluß ge­kommen, daß wir mit der Organisations­arbeit wahr­scheinlich erheblich besser vor­ankommen, wenn sich die Bewegung von den Struk­turen der Partei befreit. Es ist nicht mehr möglich, den offi­ziellen San­dinismus zu verän­dern.
Haben Sie es denn wirklich versucht?
Wir hatten zunächst den sandi­nistischen Gremien und dann dem nicaraguanischen Volk klare Vorschläge für einen grundle­gen­den Wandel gemacht. Diese Vor­schläge waren nicht nur für den San­dinismus gedacht, wir wollten vielmehr eine wirt­schaftliche und politische Er­neu­erung der ganzen nicaragua­nischen Ge­sell­schaft. Wir woll­ten einen neuen, glaub­würdigen Sandinismus, der sich von den alten Konzepten unterschei­det.
Eine der wenigen sichtbaren inhalt­lichen Auseinandersetzun­gen zwischen dem MRS und der FSLN ist die Frage der Ver­fas­sungsreform. Welche Be­deu­tung messen Sie der anstehenden Re­form zu?
Die Frage der Verfassungsre­form ist im Grunde die Frage zwischen Demokratie und Caudil­lismo. Die gegenwärtige Ver­fas­sung stärkt den Caudillismo, den Ver­tikalismus und den Auto­ritarismus. Es ist das histori­sche Übel dieses Landes: Die Personen werden wichtiger als die In­stitutionen. In diesem Sinne verwandeln sich die Re­formen in eine Bedrohung für die­jenigen, deren Macht nun einge­schränkt werden soll.
Stimmen deshalb heute die FSLN, die Regierung und der rechtsradikale Bürger­meister Arnoldo Aleman gemein­sam gegen die Reform?
Alle drei wollen ein autoritä­res Ge­sellschaftsprojekt. Regierungschef Anto­nio Lacayo ist völlig zufrieden mit der jetzi­gen Verfassung. Ohne das Parla­ment zu fragen, legt die Regierung die Steuern fest, nimmt neue Kredite auf, verhan­delt die Auslandsschulden und privatisiert die Staatsbe­triebe. Die orthodoxen Sandini­sten ihrerseits haben auch einen mani­schen Hang zu solcher Politik. Einmal wieder an der Macht, glauben sie erneut von oben herab regieren zu können. Das ist natürlich absurd. Die achtziger Jahre sind vorbei.
Wird das MRS eine neue politi­sche Al­lianz für die Wahlen 1996 anführen und sich mit Tei­len der ehemaligen UNO verbün­den?
Es ist noch überhaupt nicht abzusehen, welche Allianzen sich bilden werden. Es ist noch völlig unklar, ob der liberale Block geeint antreten wird, und ebenso große Spannungen gibt es innerhalb des konservativen La­gers. Und auch wir müs­sen Alli­anzen suchen. Klar scheint mir nur, daß die Regierung mit den Orthodo­xen der FSLN zusammen ins Rennen ge­hen wird. Das ist dann allerdings auch der ge­meinsame Gnadenschuß. Wenn die Re­gierung sich mit den Orthodo­xen vereint und die Orthodoxen jetzt ihrer Basis erklä­ren müs­sen, daß sie plötzlich die Re­gierung und all die verteufelte neoliberale Politik stützen – das ist doch völlig unglaubwür­dig. Es gibt Orthodoxe, die nennen das dann Pragmatismus. Aber Pragmatismus hat nichts mit Glaubwür­digkeit zu tun.
Wird Arnoldo Aleman letztlich der Ge­winner sein?
Auch er hat ein Eigentor ge­schossen. Als seine Abgeordne­ten im Parlament gemeinsam mit der Regierung und den Orthodo­xen der Frente stimmten, machte er sich bei seinen Leuten völ­lig unglaub­würdig. Die Menschen merken, wenn ei­ner nicht das macht, was er sagt.

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