“Man muß zwischen Sandinismus und FSLN unterscheiden”
Interview mit Sergio Ramírez über seinen Austritt aus der FSLN und die Perspektiven der “Sandinistsichen Erneuerungsbewegung”
LN: Hat Ihre Entscheidung, aus der FSLN auszutreten, tatsächlich rein persönlichen Charakter, oder ist sie als Aufruf zu einem massiven Austritt aus der FSLN zu verstehen?
Ramírez: Es war eine persönliche Entscheidung. Ich habe mir auch nicht vorgenommen, zu einem massiven Parteiaustritt aufzurufen. Dennoch gibt es eine Reihe von Menschen, die sich auf Grund der gegen mich gerichteten Verleumdungen von der FSLN getrennt haben.
Die Medien der FSLN, die nun von der “orthodoxen Linie” um den Ex-Präsidenten Daniel Ortega und den Comandanten Tomas Borge kontrolliert werden, werfen Ihnen offen Verrat vor. Fühlen Sie oder Ihre Familie sich bedroht?
Nicht direkt. Sicher, die “Leidenschaft”, mit der mein Austritt von gewissen Personen aufgenommen wurde, macht nachdenklich. Der Verratsvorwurf bedeutet ein Risiko. Aber wer der Gesellschaft ein Projekt vorschlägt, das soviele Feinde hat, der muß ein gewisses Risiko auf sich nehmen.
Die FSLN steht nun direkt vor der Spaltung. Ist der Sandinismus gescheitert?
Man muß unterscheiden zwischen dem Sandinismus und der FSLN. Unser Versuch, die FSLN in einen Ort der Verständigung und des Konsenses zu verwandeln, ist gescheitert. Stattdessen kommt nun die Gegenreaktion, die zu solch ungeheuren Extremen fähig ist. Die Leute, die in der FSLN derzeit das Sagen haben, sind überhaupt nicht bereit, ihre Macht zu teilen. Seit einiger Zeit gibt es innerhalb der Partei überhaupt keinen Raum mehr für Diskussionen. Das ist schlecht für die Partei – sie verliert ständig an Kraft und wird bald für die NicaraguanerInnen keine Option mehr darstellen. Der Sandinismus hingegen lebt weiter.
Werden denn die Strömungskämpfe innerhalb der Strukturen der FSLN weitergehen oder wird Ihr Movimiento de Renovación Sandinista (MRS) sich in eine eigene Partei verwandeln?
Unsere Möglichkeiten waren sicherlich dadurch eingeschränkt, daß wir uns noch immer innerhalb der Strukturen einer existierenden Partei bewegt haben. Auf einem Treffen von 120 Delegierten der sandinistischen Basis hier in Managua sind wir gestern zu dem Schluß gekommen, daß wir mit der Organisationsarbeit wahrscheinlich erheblich besser vorankommen, wenn sich die Bewegung von den Strukturen der Partei befreit. Es ist nicht mehr möglich, den offiziellen Sandinismus zu verändern.
Haben Sie es denn wirklich versucht?
Wir hatten zunächst den sandinistischen Gremien und dann dem nicaraguanischen Volk klare Vorschläge für einen grundlegenden Wandel gemacht. Diese Vorschläge waren nicht nur für den Sandinismus gedacht, wir wollten vielmehr eine wirtschaftliche und politische Erneuerung der ganzen nicaraguanischen Gesellschaft. Wir wollten einen neuen, glaubwürdigen Sandinismus, der sich von den alten Konzepten unterscheidet.
Eine der wenigen sichtbaren inhaltlichen Auseinandersetzungen zwischen dem MRS und der FSLN ist die Frage der Verfassungsreform. Welche Bedeutung messen Sie der anstehenden Reform zu?
Die Frage der Verfassungsreform ist im Grunde die Frage zwischen Demokratie und Caudillismo. Die gegenwärtige Verfassung stärkt den Caudillismo, den Vertikalismus und den Autoritarismus. Es ist das historische Übel dieses Landes: Die Personen werden wichtiger als die Institutionen. In diesem Sinne verwandeln sich die Reformen in eine Bedrohung für diejenigen, deren Macht nun eingeschränkt werden soll.
Stimmen deshalb heute die FSLN, die Regierung und der rechtsradikale Bürgermeister Arnoldo Aleman gemeinsam gegen die Reform?
Alle drei wollen ein autoritäres Gesellschaftsprojekt. Regierungschef Antonio Lacayo ist völlig zufrieden mit der jetzigen Verfassung. Ohne das Parlament zu fragen, legt die Regierung die Steuern fest, nimmt neue Kredite auf, verhandelt die Auslandsschulden und privatisiert die Staatsbetriebe. Die orthodoxen Sandinisten ihrerseits haben auch einen manischen Hang zu solcher Politik. Einmal wieder an der Macht, glauben sie erneut von oben herab regieren zu können. Das ist natürlich absurd. Die achtziger Jahre sind vorbei.
Wird das MRS eine neue politische Allianz für die Wahlen 1996 anführen und sich mit Teilen der ehemaligen UNO verbünden?
Es ist noch überhaupt nicht abzusehen, welche Allianzen sich bilden werden. Es ist noch völlig unklar, ob der liberale Block geeint antreten wird, und ebenso große Spannungen gibt es innerhalb des konservativen Lagers. Und auch wir müssen Allianzen suchen. Klar scheint mir nur, daß die Regierung mit den Orthodoxen der FSLN zusammen ins Rennen gehen wird. Das ist dann allerdings auch der gemeinsame Gnadenschuß. Wenn die Regierung sich mit den Orthodoxen vereint und die Orthodoxen jetzt ihrer Basis erklären müssen, daß sie plötzlich die Regierung und all die verteufelte neoliberale Politik stützen – das ist doch völlig unglaubwürdig. Es gibt Orthodoxe, die nennen das dann Pragmatismus. Aber Pragmatismus hat nichts mit Glaubwürdigkeit zu tun.
Wird Arnoldo Aleman letztlich der Gewinner sein?
Auch er hat ein Eigentor geschossen. Als seine Abgeordneten im Parlament gemeinsam mit der Regierung und den Orthodoxen der Frente stimmten, machte er sich bei seinen Leuten völlig unglaubwürdig. Die Menschen merken, wenn einer nicht das macht, was er sagt.