Marcos, Herr der Spiegel
Der katalanische Krimi-Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán erweist sich als außerordentlich guter Kenner der Diskussion über den Chiapas-Konflikt
Verzeihen Sie die Störung, aber das ist eine Revolution“, soll Subcomandante Marcos zu einem Touristenführer gesagt haben, der seine Reisegruppe am 2. Januar 1994 unbedingt von San Cristóbal de las Casas zu der Maya-Ruinenstadt Palenque bringen wollte. Damals hielt das zapatistische Befreiungsheer EZLN die Stadt Ocosingo besetzt, und es gab kein Durchkommen nach Palenque. Es ist eben jener ironische Unterton, die Abkehr von der verbalen Unerbittlichkeit herkömmlicher bewaffneter Befreiungsbewegungen, die unter den linken Intellektuellen einen pro-zapatistischen Enthusiasmus ausgelöst hat. Auch bei Vázquez Montalbán. Aber er bemerkt selbstkritisch: „Ich finde, man wirft uns aufgeklärten linken Intellektuellen zu Recht vor, uns an fernen Revolutionen zu ergötzen, … deren Darsteller wir nicht selbst sein wollen. Ist jedoch erst einmal diese perverse Kombination von schlechtem Gewissen und falschem Bewusstsein unter Kontrolle, fühlen wir uns sehr wohl in der Lage, uns mit einer Revolution zu solidarisieren, die wir nicht hervorgerufen haben.“ Falsches Bewusstsein hin oder her, Vázquez Montalbán versucht es dadurch unter Kontrolle zu bringen, dass er den innovativen Charakter des Zapatismus herauszustellen sucht. Und der liegt zuerst einmal in dessen Verhältnis zu Gewalt und Macht: „Es interessiert mich besonders herauszufinden, an welchen Stellen die gewaltsame Antwort des zapatistischen Aufstandes die provozierende strukturelle Gewalt aus den Angeln heben wollte.“
Mit chorizos in den Urwald
Also tritt Vázquez Montalbán über die Medien in Kontakt zu Marcos, bekommt von diesem auch prompt eine Einladung und macht sich auf nach Chiapas, nicht ohne zu versprechen, jede Menge spanischer chorizo-Würste mit in den Urwald zu bringen. Also treffen sich die beiden, Marcos hat für alle Fälle ein eigenes Aufnahmegerät mitgebracht, und unterhalten sich über Ethnizität, Neoliberalismus, Politik, Literatur, Sprache, Musik und Kultur.
Marcos’ Antworten auf die Fragen sind bestimmt nicht neu, aber deswegen nicht weniger treffend. Es gehe den Zapatisten nicht darum, die Macht zu erlangen, sondern zuerst die Beziehung zwischen Regierenden und Regierten, also die Form wie diese Macht ausgeübt wird, zu reformieren. Die von den Zapatisten proklamierte Formel des gehorchenden Befehlens zielt darauf ab, die Politik nicht einer Klasse von Berufspolitikern zu überlassen, sondern den Einfluss der Zivilgesellschaft auf politische Entscheidungen über eine Art imperatives Mandat aufrecht zu erhalten.
Dass Marcos mit seiner Sprache den politischen Diskurs in Mexiko revolutioniert hat, ist ja mittlerweile ein alter Hut. Dennoch kann gar nicht genug betont werden, welche politischen Ziele die Zapatisten mit ihrer diskursiven Strategie verfolgen: „Wir wollen dem Wort einen anderen Gebrauch geben, nicht über den hinaus, den es bereits hat, sondern den verlorenen Gebrauch wiedergewinnen. Die Sprache ist in der Politik zum leeren Gerede verkommen. Begriffe wie Vaterland, Nation, Revolution, Wandel, soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie sind nur noch Worthülsen.“ Mit diesen Worten erteilt Marcos all jenen Postlinken eine Absage, die sich mit solchen Begriffen lieber nicht mehr den Mund schmutzig machen, oder die Marcos’ Wortgefechte als manieristisches Spiel mit Bedeutungen begreifen wollen.
Gerade die globalophile Politik der mexikanischen Regierung steht in diametralem Gegensatz zu ihrem national-revolutionären Diskurs. Und eben dieser Widerspruch wird von den Zapatisten konsequent aufgegriffen. Die Beschwörung des Nationalstaates, eben jenes Staatsgebilde, das die Moderne hervorgebracht hat, stellt den zutiefst modernen – und eben nicht postmodernen – Charakter des Zapatismus unter Beweis.
Als außerordentlich guter Mexiko-Kenner erweist sich Vázquez Montalbán in den beiden essayistisch gehaltenen Kapiteln zu Anfang des Buches, in denen er eine Einschätzung der mexikanischen und internationalen Diskussion um den Chiapas-Konflikt liefert. Hier positioniert er sich nochmals eindeutig auf der Seite von Marcos und der zapatistischen Bewegung. Deren Kritiker, wie den 1998 verstorbenen Literaturnobelpreisträger Octavio Paz, den Historiker Enrique Krauze oder auch das spanisch/französische Journalistenduo Maite Rico und Bertrand de la Grange, beschuldigt Vázquez Montalbán, sie redeten der mexikanischen Regierung nach dem Munde und machten für sie Propaganda.
Alice im Wunderland – der Spiegel als Metapher
Etwas feuilletonistisch werden die Passagen in denen von Literatur und Metaphern die Rede ist. Hier kommen vor allem die Kulturwissenschaftler auf ihre Kosten. Große Bedeutung kommt hier dem Spiegel, einer Metapher aus Alice im Wunderland, zu. Vázquez Montalbán begreift ihn als „Schlüssel zum Verständnis der zapatistischen Strategie“. „Der Spiegel erfüllt die Funktion, ein Angebot der Wirklichkeit, die in ihm betrachtet wird, zu sein. Gleichzeitig ist er aber auch eine Grenze der Wirklichkeit, eine Aufforderung sie zu überschreiten.“ Die zapatistische Bewegung ist eben jenes Angebot, das gesehen und gleichzeitig überwunden werden will.
Schließlich kommen Vázquez Montalbán und Marcos auf die Rolle des Subcomandante selbst zu sprechen. Dem wurde ja seine medienwirksame Selbstinszenierung immer wieder vorgeworfen. Marcos versucht diesen Vorwurf mit der gleichen Metapher zu entkräften, wie auch beim Einzug in Mexiko-Stadt am 11. März. Er begreift sich als Bilderrahmen, durch den hindurch Mexiko auf die indianische Realität schauen könne. Wenn diese Metapher, wie jeder sprachliche Kunstgriff auch, von der Sache, die sie bezeichnet ablenkt und die Aufmerksamkeit auf sich selbst und damit auf ihren Schöpfer – Marcos – zieht, so hat dieser vollkommen Recht, wenn er meint: „Wenn einige immer noch nur den Rahmen anstarren, dann entzieht sich das unserem Willen.“ Letztendlich geht es um eine Frage des guten Willens. Entweder man glaubt Marcos in diesem Punkt, oder man glaubt ihm eben nicht. Manuel Vázquez Montalbán zumindest erteilt dem Sup die Absolution: „Wer die Rolle des Mediums übernimmt, kommt ohne Theatralisierung gar nicht aus.“
Was die Einschätzung des gesamten Buches angeht, könnte man Vázquez Montalbán sicherlich vorhalten, er habe halt auch sein persönliches Chiapas Buch schreiben müssen, um sich als kritischer Intellektueller, dessen Verschwinden ja allenthalben beklagt wird, hervortun zu können. Und in der Tat bringt dieses Buch für Leute, die sich bereits ausführlich mit dem Zapatismus beschäftigt haben, sicherlich nicht viel Neues. Diejenigen, die in das Thema einsteigen wollen, bekommen hier jedoch eine anspruchsvolle Einführung in die intellektuelle Diskussion um den Zapatismus geliefert. Dass all jene, die sowieso jedes Buch von Vázquez Montalbán lesen, auf diesem Weg auch etwas über die indigene Bewegung in Südostmexiko erfahren, ist noch ein erfreulicher Nebeneffekt.