Musik | Nummer 281 - November 1997

Margareth Menezes unplugged

Die Queen des Samba-Reggae geht zwei Wege

Margareth Menezes ist die ungekrönte Königin des Samba-Reggae. Wer schon einmal live erlebt hat, wie sie vor ihrer relaxt groovenden Band frenetisch über die Bühne fegt und das Publikum zum Mitsingen und vor allem zum Tanzen animiert, hat sie nicht vergessen. Aber Margareth Menezes mit einem akustischen Konzert, lediglich begleitet von Gitarre und Percussion?

Enno Witfeld

Saul Barbosa, der Gitarrist, betritt die Bühne. Ein langes Intro, mal klassisch anmutend, dann wieder die Folklore des brasilianischen Nordostens zitierend. Mit seiner enormen stilistischen Bandbreite ersetzt der superbe Musiker allein ein ganzes Orchester: treibende Sambarhythmen, schräge Jazzharmonien, swingende walkingbass-Linien i la Joe Pass wechseln sich ab. Gitarrenkunst auf sehr hohem Niveau, in der langen Tradition brasilianischer Gitarrenvirtuosen. Dann steigt Margareth Menezes ein. Sie wirkt noch etwas verkrampft, ihre Bewegungen wie einstudiert, der perkussive Gesangsstil will nicht so recht zu dem lyrischen Luz do Sol, einem Klassiker von Caetano Veloso, passen. Will Margareth Menezes weg vom Samba-Reggae? „Dieses Projekt ist ein Aspekt meiner Arbeit, den das Publikum hier -und sogar in einigen Orten Brasiliens -noch nicht kennt. Ich habe immer beide Wege parallel verfolgt: die Arbeit mit der Gruppe genauso wie die akustische Formation, mit der meine Karriere begann. Ich kenne Saul Barbosa seit 1987. Aber die Sache mit der Gruppe ist größer geworden, es gibt Plattenveröffentlichungen, es lief einfach schneller. Das ist Afro-Pop-Musik, mit der ich mich auch sehr identifiziere. Von meiner Generation bin ich die einzige, die beides macht. Aber es ist wirklich sehr verschieden.”
“Ich will tanzbare Musik mit einer message”
Ist sie nicht auch der Meinung, daß in der brasilianischen Musik der letzten Jahre die Poesie, die Bot-schaft, das politische Statement etwas zu kurz kommen? „Ja, ich glaube daß dieser Aspekt etwas verlorengegangen ist. Es gab einmal eine Epoche, in der die brasilianische Musik nicht nur zur Entspannung, sondern auch zur Übermittlung von Botschaften diente. Heute ist alles sehr verarmt: entweder Tanzmusik oder romantische Schnulzen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Natürlich möchte der Künstler die Platte machen, damit sie im Radio gespielt wird, aber man muß die Musik nicht dermaßen reduzieren. Ich habe meine Arbeit nie ausschließlich unter Marktaspekten gesehen. Ich möchte Musik machen, die tanzbar ist aber gleichzeitig eine Message hat. Die brasilianische Musikwurde immer sehr für ihre Poesie, für die Schönheit der Texte gelobt und ich finde, das darf nicht verlorengehen. Es ist ja nicht so, daß es diese Art von Musik nicht mehr gibt, das Problem ist nur, daß sie nicht im Radio gespielt wird. Daher ist es jetzt wichtig, dieser Musik etwas mehr Raum zu geben.”

“Ich wähle Lieder, die meine Gefühle berühren”
Auf dem weiteren Programm stehen Klassiker von Gilberto Gil, Cartola, eigene Hits, ein wunderschönes Thema von Saul Barbosa.
Wie wählt Margareth Menezes ihr Repertoire aus? „Es hängt ausschließlich davon ab, ob mir ein Lied gefällt oder nicht. Es kann bekannt sein oder nicht, älter, wie die Sambas von Baden Powell oder Joao Bosco, oder neueren Datums, wie die Titel von Carlinhos Brown. Es ist nicht so, daß jemand sagt ‘Hey, wir sollten noch einen Titel von Tom Jobim aufnehmen’ oder so, nein; ich sage, daß ich ein bestimmtes Lied singen möchte. Manchmal schlägt auch Saul einen Titel vor und wir probieren es aus, es ist eine sehr spontane Sache. Eigentlich ist mein Repertoire ein Mosaik der Lieder, die mich beeinflußt haben, die meine Gefühle berühren.”
Die beiden Percussionisten Jorge Santana dos Santos und Osmar Menezes (der Bruder von Margareth) sind auf der Bühne inzwischen auch dazugestoßen, nun herrschen Funk-und afrobrasilianische Rhythmen vor. Es ist beeindruckend, wie druckvoll und doch entspannt diese drei Virtuosen spielen. Man kommt gar nicht erst auf den Gedanken, daß Baß oder Schlagzeug fehlen könnten. Dabei drängen sie sich nie in den Vordergrund, sondern umspielen den Gesang, kommentieren einander, begleiten im besten Sinne des Wortes. Margareth Menezes wird zusehends lockerer und ist sichtlich in ihrem Element.
Inspiriert vom Groove aus Bahia
Vor über I0 Jahren nahm sie mit Faraó den ersten Samba-Reggae überhaupt auf, der Startpunkt einer steilen Karriere. Auch diesmal singt sie diesen Titel, gefolgt von Tieta, Titelsong des gleichnamigen Kinofilms und vorerst der letzte Samba-Reggae-Megahit Brasiliens. Hatte sie es damals für möglich gehalten, daß dieser Rhythmus so erfolgreich sein würde? „Nein das hatte ich nicht gedacht. Mein erster Kontakt mit dem Samba-Reggae war während einer Probe von Olodum auf einem Platz in Salvador. Ich kam zufällig vorbei und als ich den Rhythmus des Samba-Reggae fühlte überlief es mich, es war ein gewaltiges Gefühl. Wenn ich heute Samba-Reggae singe, dann fühle ich, daß es etwas sehr starkes ist, und dabei gleichzeitig tanzbar und frei. In Bahia wird sehr viel mit Rhythmen variiert, die Leute denken sich jedes Jahr etwas neu- es aus, aber ich bleibe beim Samba-Reggae, weil ich finde, daß es ein sehr originärer Rhythmus ist, auf eine gewisse Weise ist er sogar das Original. Er ist stark wie der Samba, aber es ist kein Samba. Diesen Groove gibt es nur in Bahia, wie Ijexa oder Samba de Roda. Man kann ihn auf verschiedene Weise verwenden: langsam, schnell, er verträgt sich gut mit Funk, es gibt viele Möglichkeiten. Ich glaube nicht, daß er jemals sterben wird.” Wie ist Margareth Menezes überhaupt zur Musik gekommen, gab es eine bestimmte Musik die sie geprägt hat? ,,In Bahia ist der Kontakt zur Musik sehr leicht. Es gibt immer irgendwo ein Straßenfest, ein spontanes kulturelles Ereignis und die Musik ist ständig präsent. Es ist et-was sehr Natürliches. Mein Großvater spielte Gitar-re, mein Onkel kaufte die Platten der Jovem Guarda (von Roberto Carlos angeführte Rockbewegung ab
1965) und mein Vater liebte Forró (ein Rhythmus und Volkstanz aus dem Nordosten). Meine Mutter brachte uns bei, den Samba de Roda zu singen und zu tanzen. Ihr Vater lebte auf einer Insel und jedes Jahr wurde in seinem Haus das Sao-Joao-Fest gefeiert, drei Tage lang. Meine Familie war also sehr offen und ich hatte ein natürliches Interesse an der Musik, was meine Mutter bemerkte und mir mit 15 Jahren eine Gitarre schenkte. Gleichzeitigtrat ich in den Kirchenchor ein. Ich kann also nicht sagen, daß es eine bestimmte Musik gibt, die ich in meiner Jugend gehört habe, es war immer sehr vielfältig.”
Obwohl das gediegene Ambiente des Konzertsaals im Berliner Haus der Kulturen der Welt nun wahrlich nicht zum Bewegen einlädt, hat sich spätestens bei der Zugabe das halbe Publikum vor der Bühne zum Tanzen versammelt. Der Sängerin und ihren Musikern hat der Abend sichtlich Spaß gemacht. Spätestens nächstes Jahr wird es ein neues Album geben von der Königin des Samba-Reggae. .

Enno Witfeld

CD-Tips
Der Klassiker: Ellegibo, 1990, Poligram, 843556-2.
Die Aktuelle: Gente da Festa, 1996, Warner Music,
C0630 1 1 109-2.


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