Marienverehrung und Witwenkult
White Dresses von Ana Coyne Alonso
Greise Señoras durchschreiten weißbeschirmt verfallene Anwesen, “Bräute Christi” huschen durch Klöster, Marienprozessionen schaukeln durch dörfliche Gassen. Violeta Chamorro thront ganz in Weiß im offenen Wagen, der fast zum “Mamamobil” wird, und winkt den Massen zu. Weiß gegen Rot, die Oberschichtsdame Chamorro gegen den sandinistischen Ex-Guerillero Ortega, die Illusion der Unbeflecktheit und statuarischen Unschuld gegen die Blutspritzer auf den Hemden derjenigen, die für eine andere Zukunft gekämpft haben. Die aus Nicaragua stammende Regisseurin Ana Coyne Alonso nähert sich ihrem postrevolutionären Heimatland über Chiffren und Symbole. White Dresses, ihre neueste Produktion, verbindet Dokumentaraufnahmen, Archivmaterial und Inszeniertes zu experimentellen Essays. Verknüpft wird dieses Bilderpatchwork durch einen Textfaden, der eine Mischung aus Reflektion und Meditation ist: “Mythen entstehen aus dem Schlafzyklus eines Volkes” heißt es in White Dresses. Der Kult um Maria, um die “perfekte Frau”, vor einem halben Jahrtausend von den Conquistadoren nach Amerika gebracht, entfaltet auch heute noch seine Wirkung. White Dresses, den die in den USA aufgewachsene Coyne Alonso wie fast alle ihre anderen Filme auf englisch kommentiert, hat zwar nicht viel Neues zum katholischen Frauenbild zu sagen, tut dies aber auf eine für einen politisch engagierten Film ungewöhnliche Weise: Ihre in schwarz-weiß gedrehten Assoziationsketten haben eine visuelle Dichte, karge Poesie.
Ihren Videos merkt man an, daß hier eine Person am Werk ist, die die Realität durch das Auge begreift. Von 1986 bis 1992 arbeitete Ana Coyne Alonso als Fotografin in Nicaragua und als Pressefotografin in Moskau. 1992 begann sie in der Radio-, Film- und Fernsehabteilung von Unicef zu arbeiten. Während ihres Filmstudiums an der Universität von San Diego, Kalifornien, begann sie, experimentell angehauchte Dokumentarfilme über ihr Geburtsland Nicaragua zu drehen. Anfang Dezember war eine Werkschau ihrer Videos in verschiedenen deutschen Städten zu sehen.
La Caminata von 1994 zeigt eine ähnliche visuelle Kraft wie White Dresses, weist aber einige Plattheiten in der Dramaturgie auf: Während der Off-Text refrainförmig die Geschichte einer Frau wiederholt, die auf der Suche nach ihrem verschwundenen Mann jahrelang denselben Weg beschreitet, durchschreiten eine alte und eine junge Frau in langen Gewändern eine unwirtliche Landschaft. Ihnen nähert sich bibelschwenkend ein Priester, der mit seinen hysterischen Zuckungen wie eine Mischung aus Mephisto und harmlos-nerviger Übelkrähe wirkt. Die Kolonisierung der Frauenseelen als historisches Gleichnis, dramaturgisch streckenweise überinszeniert. Beim Dokumentarvideo When God doesn`t hear (1992), das eine Frau erzählen läßt, deren Tochter 1987 bei einem Contra-Überfall ums Leben kam, sind die Bilder dagegen streng und schlicht, werfen einen melancholischen Blick auf das ländliche Nicaragua, auf das Leben von Frauen, deren Lebensrhythmus ungeachtet der gesellschaftlichen Umwälzungen nach wie vor durch Dinge wie Kühemelken und Kirchgang strukturiert ist.
Ganz anders dagegen Streetgirls (1993), eine Auftragsarbeit für Unicef über Jugendliche, die auf den Straßen von Managua leben. Sie hausen in verfallenen Gebäuden, gehen anschaffen und scheinen teilweise schon mit dem Leben fertig zu sein. Für Mädchen wie Carmen ist die einzige Zuflucht aus der Misere der Klebstoff. Als ihr Vater sie aufstöbert und mit ins Ausland nehmen will, bricht sie in Schluchzen aus. Sie sieht die Reisepässe in seiner Hand und scheint keine Kraft zu haben, um zuzugreifen. Eine abgrundtief traurige und anrührende Szene. Da es sich um einen Unicef-Film handelt, spielt natürlich auch die Hoffnung eine Rolle: Frauen werden interviewt, die mit Hilfe von Rehabilitationsmaßnahmen den Absprung aus der Misere geschafft haben.
Von einem Sprung auf die andere Seite, der mindestens genauso schwer zu schaffen ist, handelt Ana Coyne Alonsos kürzestes und witzigstes Video Border Stretch (1995). Die Grenzanlagen zwischen Mittelamerika und den USA, ein Mann, eine Frau. Sie können zusammen nicht kommen, aber wenigstens ein Kaugummi paßt durch die Maschen des Tortillavorhangs.