Memo der Chase Manhattan’s Emerging Markets Group
Verfasser: Riordan Roett, Abteilung für Markterschließung Mexiko: Politische Zustandsbeschreibung, 13. Januar 1995
Zusammenfassung:
Die größte Bedrohung für die politische Stabilität Mexikos ist unseres Erachtens nach die augenblickliche Finanzkrise. So- lange die Regierung von Staatspräsident Ernesto Zedillo nicht geeignete Maßnahmen ergreift, den Peso zu stabilisieren und eine unkontrollierte Inflation zu vermeiden, wird es fast unmöglich sein, sich Themen wie Chiapas oder der Justiz- und Wahlreform zu widmen. Eine Verlängerung der Krise mit ihren negativen Auswirkungen auf den allgemeinen Lebensstandard wird vielmehr Arbeitskämpfe und soziale Unzufriedenheit provozieren.
Die Regierung Zedillo
Als Zedillo am 1. Dezember 1994 das Amt des mexikanischen Präsidenten antrat, schien dies ein neues Kapitel auf dem Weg zur Modernisierung der mexikanischen Politik einzuläuten… Der neue Präsident forderte eine Reform des Justiz- und Wahlrecht und eine friedliche Lösung des ein Jahr alten Aufstandes im südlichen Bundesstaat Chiapas. Er betonte, wie wichtig die Transparenz von Regierungsgeschäften und die Erziehung und Ausbildung der mexikanischen Bevölkerung sei. Zedillos Kabinett, das sich aus denselben Kreisen zusammensetzt wie das seines Vorgängers Salinas de Gortari, vermittelte den Eindruck von Kompetenz und Engagement… ( Chronologie der Peso-Krise) … Nur wenn die Regierung erfolgreich den Peso stabilisiert, ein sprunghaftes Ansteigen der Inflation verhindert und das Vertrauen der Investoren zurückgewinnt, wird es unserer Meinung nach für Zedillo möglich sein, sich der Agenda von Reformen zu widmen, die er am 1. Dezember aufgestellt hatte. Es gibt drei Felder auf denen die augenblickliche Währungskrise die politische Stabilität in Mexiko untergraben kann. Das erste ist Chiapas, das zweite sind die kommenden Wahlen in den Bundesstaaten und das dritte die Gewerkschaften, ihr Verhältnis zur Regierung und zur PRI.
1. Chiapas
Der Aufstand im südlichen Bundesstaat Chiapas ist jetzt ein Jahr alt und offensichtlich ist man noch immer keiner Lösung näher gekommen … Zwar neigt Zedillo zu einer friedlichen Lösung des Patts in Chiapas auf dem diplomatischen Weg, aber es ist schwer vorstellbar, daß die augenblicklichen Umstände eine friedliche Lösung zulassen. Mehr noch: je mehr die Währungskrise die Regierung in ihren Vorhaben sozio-ökonomischer Reformen beschränkt, desto schwieriger wird es für sie werden, breite Unterstützung für ihre Vorhaben in Chiapas zu gewinnen. Noch wichtiger: Marcos und seine Anhänger könnten beschließen, die Regierung mit einem Anstieg lokal begrenzter, gewalttätiger Aktionen in Verlegenheit zu bringen und die Regierung zu zwingen, den zapatistischen Forderungen nachzugeben, die eine politische Niederlage, die sie völlig bloßstellen würde mit, sich brächte.
Die Alternative ist eine militärische Offensive zur Niederschlagung des Aufstands. Das hätte einen internationalen Aufschrei zur Folge: Protest gegen den Einsatz von Gewalt und die Unterdrückung indígener Rechte. Während unserer Meinung nach Chiapas keine fundamentale Bedrohung der politischen Stabilität in Mexiko darstellt, wird es als eben solche von einer Vielzahl von Investoren wahrgenommen.
Die Regierung wird die Zapatisten ausschalten (eliminate) müssen, um zu demonstrieren, wie wirksam ihre Kontrolle über nationales Territorium und nationale Sicherheit ist.
2. Wahlen in den Bundesstaaten
Präsident Zedillo bekannte sich in seiner Ansprache zur Amtseinführung noch einmal zur Öffnung des parlamentarischen Systems auch für Oppositionsparteien. Das war in den vergangenen Jahren eines der Hauptthemen zwischen der PRI-dominierten Regierung einerseits und der PAN und der PRD andererseits. Der konservative Flügel der PRI bezog gegen eine politische Liberalisierung Position, während der Flügel um Zedillo die Öffnung als unvermeidlich und auch gerechtfertigt betrachtete. Die augenblickliche Währungskrise wirft die Frage auf, ob Zedillo und die Reformer die Stärke haben werden, die Ergebnisse der Wahlen von 1995 zu respektieren. Die Konservativen werden behaupten, die Krise rechtfertige eine Fortsetzung der Einparteienherrschaft, selbst wenn dies nur durch Wahlbetrug möglich sei. Die Opposition, die ohnehin die Wahlsiege der PRI generell anzweifelt, … wird ermutigt werden, dies weiter zu tun. Zedillo wird vor einer schwierigen Situation stehen: Er muß die Konservativen seiner eigenen Partei neutralisieren und gleichzeitig sein Bekenntnis aufrechterhalten, die Opposition auch gewinnen zu lassen, wenn sie das legitim getan hat…
Die Regierung Zedillo muß sorgfältig prüfen, ob sie von der Opposition fair an den Urnen erzielte Wahlsiege zuläßt oder nicht.
Korrekt erzielte Wahlerfolge der Opposition nicht anzuerkennen, wäre zwar ein ernsthafter Rückschlag in Zedillos Strategie der Wahlrechtsreform. Ein Verlust der PRI-Kontrolle würde aber das Risiko einer Spaltung der Partei in sich bergen.
Wir glauben, daß die Fähigkeit der Regierung Zedillo, die inhärenten Konflikte in der Agenda der Wahlen von 1995 zu lösen, letztendlich entscheidend sein wird. Nämlich, ob es der Regierung gelingt, ihr Versprechen zu halten, die mexikanische Politik zu liberalisieren.
3. Die Arbeiterbewegung
Die Arbeiterbewegung war über Jahrzehnte das Rückgrat der PRI. Die Bereitschaft der Arbeiterführung sich nach der PRI zu richten, war ein fundamentaler Bestandteil der Stabilität in Mexiko seit den 30er Jahren. Die augenblickliche Währungskrise droht diese Unterstützung wegen den negativen Auswirkungen auf Lebensstandard und Löhne zu unterlaufen. Der Wertverfall des Peso macht sich für den durchschnittlichen mexikanischen Arbeiter schon beim Erwerb der Güter für den alltäglichen Bedarf heftig bemerkbar …Die starken, strukturellen Verknüpfungen zwischen Regierung und Gewerkschaften haben sich in den letzten Jahren abgeschwächt. Die Regierung hat zwar noch Einfluß, aber keine völlige Kontrolle mehr. Wenn sich die Krise fortsetzen sollte, wären zwei Optionen für die Regierung denkbar: 1. sie weist die Forderung der Arbeiter nach mehr Lohn zurück – mit der Möglichkeit von Demonstrationen oder 2. sie gibt den Forderungen der Arbeiter nach und verschärft damit die ökonomische Krisensituation.
Schlußfolgerungen
Die mexikanische Währungskrise hat das Bekenntnis der Regierung Zedillos zu einer neuen Welle von Reformen überschattet – Reformen, die politische Verhandlungen zur Lösung der Chiapas-Krise und die Garantie fairer Wahlen auf Bundesstaats- und Gemeindeebene einschlossen. Offen bleibt, ob die mexikanische Arbeiterklasse eine länger anhaltende Periode von Lohnverlust und sinkendem Lebensstandard akzeptieren wird. Diese sozialen und politischen Fragen, die für den Präsidenten eine hohe Priorität haben, werden unvermeidlich zurückgestellt werden, solange bis die ökonomische Situation geklärt ist. Solange die Regierung Zedillos unfähig ist, den Peso zu stabilisieren und Inflation zu vermeiden, läuft sie Gefahr mit sozialen und politischen Unruhen konfrontiert zu werden.