Migrieren um zu dienen?
Wie Migrantische Arbeiter*innen in Deutschland auf die Straße gehen

Deutschland braucht Migrant*innen. Nicht aus Nächstenliebe oder Solidarität, sondern aus reiner, harter wirtschaftlicher Notwendigkeit. Die niedrige Geburtenrate, das Altern der Bevölkerung und der wachsende Bedarf an Arbeitskräften in Bereichen wie Pflege, Technologie, Logistik und Gastronomie veranlassen den deutschen Staat dazu, Strategien zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte zu entwickeln. Programme wie Make it in Germany und Skills Experts präsentieren sich als Versprechen der Möglichkeiten und Chancen, dienen aber letztendlich dazu billige, disziplinierte und ersetzbare Arbeitskräfte zu garantieren. Von bilateralen Abkommen, die Pflegekräfte aus den Philippinen oder Peru anwerben bis hin zu Rekrutierungskampagnen für IT-Fachkräfte: Deutschland finanziert die Ausbildung von Arbeitnehmenden in ihren Heimatländern, um sie an inländische Bedürfnisse anzupassen. Es handelt sich um einen regelrechten Raub an Wissen und Arbeitskräften, der die zahlreichen Krisen in den Herkunftsländern verschärft und die kapitalistische globale Arbeitsteilung vertieft. Das Ziel besteht nicht einfach darin, die Zahl der Migrant*innen zu erhöhen, sondern die Zahl der fügsamen Migrant*innen: bereit, niedrige Löhne anzunehmen, unter prekären Bedingungen zu arbeiten und eingeschränkte Rechte zu akzeptieren. Die Visa Systeme – mit Visa für Au-pair, Working Holiday, Freelance – sind darauf ausgelegt uns in einer vulnerablen Position zu halten, wo die erzwungene Dankbarkeit der Preis ist, den wir zahlen, um nicht abgeschoben zu werden. Selbst wenn wir für die Aufrechterhaltung der Wirtschaft unverzichtbar sind, sind wir gezwungen unwürdige Löhne und zermürbende Arbeitszeiten zu akzeptieren und unter einer konstanten Abschiebegefahr zu leben. In feminisierten Bereichen, wie der Pflege, Reinigung und Hausarbeit, nimmt die Ausbeutung besonders brutale Züge an. Hinter Au-pair-Visa, getarnt als „kultureller Austausch“, verbergen sich Arbeitsverhältnisse, in denen junge Frauen täglich bis zu 12 Stunden, für weniger als 400 Euro im Monat arbeiten – in fremden Wohnungen und ohne das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten. „Wir erleichtern deutschen Familien die Hausarbeit, bekommen dafür fast kein Geld und leben in Häusern, die sich nicht wie unsere anfühlen (und die es auch nicht sind). Und das sind die, die Glück haben. Viele von uns erleiden Missbrauch. Die Geschichten sind vielfältig und häufen sich. Und das, ohne dass unsere Arbeit als solche anerkannt wird”, erzählt Toni, eine peruanische compañera des Bloque Latinoamerico, die 2020 als Au-pair nach Berlin kam. In Deutschland reicht es nicht aus, als Migrant*in Krankenhäuser, Restaurants und Logistikzentren aufrechtzuerhalten. Es reicht nicht aus, Konzerne mit unserem Blut, unserer Zeit und Energie zu bereichern. Denn wenn wir die Stimme erheben, wenn wir Ausbeutung anprangern oder Würde fordern, werden wir sofort zur Bedrohung. Wir leiden nicht nur unter brutalen Bedingungen, sondern werden auch aktiv unterdrückt, wenn wir versuchen, uns gewerkschaftlich zu organisieren. Das Wirtschaftssystem, das auf uns angewiesen ist, um sich aufrechtzuerhalten, ist dasselbe, das uns verfolgt, kriminalisiert und diffamiert. Und das ist kein Widerspruch: es ist eine Strategie!
Die Repression ist keine neue, aber sie hat sich in den letzten Jahren aufs brutalste verschärft. Heute dreht sich der politische Konsens in Deutschland – von der politischen „Mitte” bis hin zur extremen Rechten – darum, die Migration einzudämmen und zu kriminalisieren. Dabei wird ein Narrativ erschaffen, welches besagt, dass Migrant*innen der Grund allen Übels sind; der Grund für Unsicherheit auf den Straßen, die heiklen Lebensverhältnisse, Arbeitslosigkeit, sogar Antisemitismus. Parteien wie die AfD, die Union und SPD haben einen Diskurs installiert, der uns zu perfekten Sündenböcken macht und von den wahren Ursachen der Krise ablenkt: der Konzentration des Reichtums, der globalen Ausbeutung und dem Abbau von Arbeits- und Sozialrechten. Die aktuelle Migrationspolitik zielt nicht auf eine faire Integration ab. Wir werden akzeptiert, solange wir nützlich, still und dankbar sind. Aber jede Einwanderungsreform, jedes migrant*innenfeindliche Gesetz, jede Hasskampagne in den Medien ist Teil einer Strategie, die nicht nur unser Leben unsicherer macht, sondern das aller Arbeiter*innen. Abschiebungen, rassistische Polizeikontrollen, die Kriminalisierung aller Solidarität mit Palästina und die Zunahme staatlicher Überwachung: All das ist Teil eines autoritären und kapitalistischen Staatsprojektes, das ausbeuten und spalten muss, um weiter zu funktionieren. Heute richten sich die Angriffe gegen Migrant*innen und linke Aktivist*innen, aber morgen werden sie jede*n treffen, derdie die Stimme gegen Ungerechtigkeit erhebt. Diese strukturellen Probleme spiegeln sich in unseren eigenen täglichen Erfahrungen wider. Unsere compañera Alexia aus Argentinien erzählt: „Mich lassen sie für einen Hungerlohn und unter Androhung der Abschiebung arbeiten, während meinem Kollegen erzählt wird, dass ich es sei, die seinen Lohn senke, ihn bestehle, eine Bedrohung für seine Tochter darstelle… Und wenn ich unterdrückt werde, unterstützt er mich nicht, aber wenn sich die Unterdrückung auf ihn ausdehnt, werde ich vielleicht nicht mehr da sein, um ihn zu verteidigen. Deswegen müssen wir uns zusammentun und gemeinsam kämpfen, der Ausweg ist immer kollektiv!” Die Migration ist kein plötzliches Phänomen. Sie ist eine direkte Konsequenz einer kolonialen und neoliberalen Politik, die von Europa vorangetrieben wird: Plünderung von Ressourcen, Kriege, „Freihandels”-Verträge, die lokale Wirtschaften zerstören. Während Europa unsere Territorien des Südens zerstört, beutet es gleichzeitig diejenigen aus, die vor dieser Zerstörung fliehen. Gleichzeitig füttert es in rechtsextreme Bewegungen hinein, die den Hass als Mittel zur Disziplinierung der gesamten Gesellschaft einsetzen. Das Ziel ist klar: die Arbeiter*innenklasse zu spalten, Misstrauen und Rassismus zu säen und jede echte Solidarität zu verhindern. Aber wenn die Arbeiter*innenklasse – ob deutsch, migrantisch oder rassifiziert – gespalten bleibt, gewinnt das Kapital weiterhin. Es ist kein Zufall, dass die deutsche Industrie ihren Waffenexport ausweitet, während sie Bürger*innenrechte innerhalb der eigenen Grenzen mit Füßen tritt. Die faschistischen Stiefel, die Kerzen auf den Mahnwachen für Palästina austreten, sind dieselben, die Arbeitsrechte, Gewerkschaften, Frauen* und die Umwelt niedertrampeln, wenn wir sie nicht jetzt stoppen. Die Prekarisierung unseres migrantischen Lebens ist das Versuchslabor für die allgemeine Prekarisierung.
Ein deutscher Staat, der sich nie wirklich entnazifiziert hat, bewegt sich heute auf eine neue Form des neoliberalen Autoritarismus zu: Brot für wenige, Repression für die Mehrheit! Wenn das politische Establishment mit der Normalisierung des Fremdenhasses spielt, legitimiert und stärkt es die extreme Rechte. Wir müssen über den scheinheiligen Diskurs von „Integration“ und „Sicherheit” hinausschauen. Auf dem Spiel steht die Zukunft der gesamten Arbeiter*innenklasse in Deutschland. Jedes Mal, wenn Migrant*innen kriminalisiert, wenn Abschiebungen begünstigt werden, jedes Mal, wenn Angst geschürt wird, wird der Weg zu mehr Ausbeutung, mehr Gewalt und weniger Rechten für alle geebnet.
Deshalb ist unser Kampf kollektiv, unsere Würde nicht verhandelbar und unser Platz in der Gesellschaft kein Zugeständnis, sondern ein Recht, das wir uns Tag für Tag erarbeiten – mit unserer Arbeit, unseren Kämpfen, unseren Hoffnungen und Träumen für eine bessere Zukunft.





