Brasilien | Nummer 197 - November 1990

Militärs drohen mit Krieg

Thomas W. Fatheuer

Nach einem Dokument der obersten Kriegsschule (Escola Superior da Guerra/ESG) kann die Wahrung der “nationalen Interessen” in Amazo­nien im Extremfall zu einem Krieg führen. Mögliche Gegener der Streitkräfte wären Schmuggler, Drogenhändler und die Nicht-Regie­rungsorganisationen (NROs), die sich in die Angelegenheiten Amazo­niens einmischen.
Wieder einmal wird von den Militärs das Gespenst an die Wand ge­malt, die NROs förderten die Internationalisierung Amazoniens, verlangsamten die Entwicklung der Region und betrieben die “Denationalisierung”, indem sie “Indio-Enklaven” einrichten woll­ten. Das Dokument dere ESG führt aus, daß die Idee “einer eigenen Regierung in Indio-Gebieten ein permanenter Versuch von außen (sei), Teile Amazoniens zu internationalisieren.” Dabei handelten die NROs zumindest mit der Billigung der Regierungen der Länder, in denen sie angesiedelt sind, USA, Japan und Europa. Das Konzept der Bewahrung, das Umweltgruppen prpagieren wolle das ökonomische Potential Amazoniens ruhen lassen, es wolle praktisch die Unberührnbarkeit der Ressourcen.
Weiter wird ausgeführt, daß es sich bei der “Denationalisierung des Brasilianischen” um eine diffuse internationale Bewegung zur Internationalisierung Amazoniens handele “beginnend mit der Einrichtung von Gebieten, in denen die Einwohner aufhören, der Kontrolle und den Eingriffen des brasilianischen Staates unterworfen zu sein und die so als Bürger des Vaterlandes denationalisiert werden – ein erster Schritt zur allgemeinen Akzeptierung von Gebieten, die mit internationaler Unterstützung praktisch von Brasilien befreit sind.” Über Forderungen der “angewandten Anthropologie”, die die internationalen Interessen über die nationalen stelle, würde versucht, globale Sanktionen gegen Brasilien zu verhängen. Insgesamt dreimal erwähnt das Dokument die Möglichkeit eines Krieges in Amazonien.
Das Papier trägt den netten Namen “Struktur der nationalen Macht für das Jahr 2001 – 1990 bis 2000: Die entscheidende Dekade für ein modernes und demokratisches Brasilien.” Die ESG ist nicht irgendwer sondern der traditionelle Think-Tank der Militärs. Das Papier kann als eine halboffizielle Stellungnahme der Militärs zur Amazonienpolitik angesehen werden (vgl. Kasten).
Die vorliegende Version stammt vom 15. März dieses Jahres, an die Öffentlichkeit drang sie zum ersten Mal durch einen Artikel der “Folha de Sao Paulo” vom 29. Mai. Das Papier knüpft an alte Stellungnahmen aus der Zeit der Sarney-Regierung an, radikallisiert sie teilweise. Die Militärs wagen sich nicht auf ein Gebiet vor, das sie nichts angeht: Amazonienpolitik war und ist in Brasilien Sache der Militärs. Ein Großteil Amazoniens ist durch das Projekt “Calha Norte” unmittelbar der Obhut der Militärs unterstellt. Erschreckend an dem Dokument ist, mit welcher Deutlichkeit Grundforderungen der Indigenas (abgegrenzte Reservate in autonomer Kontrolle) und der Organisation, die sie unterstützen, kriminalisiert werden.
Ein internationales Echo auf die Veröffentlichung gab es bisher kaum. Zusehr richteten sich die Augen auf den Altökologen und Neuminister Lutzenberger. Der hat aber gerade zu der bisherigen und zukünftigen Rolle der Militärs geschwiegen oder sich hinter allgemein gehaltenen Formulierungen zurückgezogen. Nach Einschätzung vieler brasilianischer “ecologistas” dürfte hier der eigentliche Knackpunkt für die politische Zukunft Lutzenbergers liegen. Collor wird sich mit den Militärs nicht anlegen, eine alternative Amazonienpolitik ist aber mit diesen Militärs wie das Dokument noch einmal nur allzu deutlich zeigt, nicht einmal denkbar.

Kasten:

Stellungnahmen von Severo Gomes und Fabio Feldmann

Am Rande des Pariser Basso-Tribunals sprachen die LN mit zwei brasilianischen Parlamentsmitgliedern, die sich durch ihren Einsatz für Umweltfragen einen Namen gemacht haben über ihre Einschätztung des Papiers der ESG.

Severo Gomes: Nein, das ist keine sektiererische Position, es kommt aus der langen Tradition, wie die Militärs über das Land denken, es hat System so zu denken. Aber mit einer zivilen Gesellschaft, die sich organisiert und der öffentlichen Meinung dürften diese veralteten Positionen der Militärs nicht zum Zuge kommen.

Fabio Feldmann: Ich glaube es ist ein wichtiges Papier, in der Weise wie es eine entscheidende Strömung des militärischen denkens über Amazonien präsentiert. Es steht im Zusammenhang eines Denkens, das äußerst gefährlich ist, insbesondere durch die Forderung nach der territorialen Besitzergreifung Amazoniens. Desshalb glaube ich, daß dieses Papier ein wichtiges Element in jeder Analyse der zukünftigen Perspektiven Amazoniens ist.
Wichtige Aufgabe in der Amazonienpolitik bleiben unter der Verantwortung des “Sekretariats für strategische Angelegenheiten”, ein von den Militärs dominierte Bundesbehörde. Und ich glaube es gibt einen widerspruch in der Regierung Collor. Auf der einen Seite ein fortschrittlicher Diskurs, vor allem seitens Lutzenbergers, und eine interne Politik, die diesem Diskurs nicht entspricht.

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