Mit Zapatismus gegen Sarrazin
Der Soziologe Jens Kastner beschreibt die Wirkungen des Zapatismus auf die Sozialtheorie
Der Zapatismus vereinnahmt jedes gesprochene, gesungene oder geschriebene Wort über ihn als Teil eines globalen Diskurses. Für die „Diskursguerilla“ aus dem lakandonischen Urwald ist dieses Verhältnis von Theorie und Praxis eine konstituierende Strategie. Selbst diese Zeilen stehen in einem solchen Verhältnis zu dem Aufstand im mexikanischen Chiapas, der 1994 als indigener Protest gegen das Freihandelsabkommen NAFTA begann und mit seiner neuartigen Rhetorik mehr als nur eine Projektionsfläche linker Weltanschauungen wurde. Er ist immer schon mehr als ein Kampf um indigene Rechte gewesen, denn die Aufständischen suchen stets den Dialog mit der Zivilgesellschaft, weit über Mexiko hinaus. So inspirierten die Zapatistas eine ganze Generation zu Alternativen jenseits des Neoliberalismus und prägten die globalisierungskritische Bewegung.
„Aus Gründen der weltweiten Aufmerksamkeitsökonomie“ scheint der globale Zapatismus in letzter Zeit an Momentum verloren zu haben. Dies nimmt der Wiener Soziologe und Kunsthistoriker Jens Kastner zum Anlass, seine bisherigen Aufsätze zu dem Thema zu überarbeiten, zu erweitern und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Anhand des zapatistischen Mottos „Alles für alle – für uns nichts!“ skizziert der Autor den diskursiven Zapatismus als Vereinigung zweier ambivalenter emanzipatorischer Forderungen: Anerkennung kultureller Differenzen und soziale Gleichheit. Während Identität und Differenz den Ausgangspunkt zapatistischer Theorie bilden würden, bleibe das Ziel der sozialen Gleichheit fest im Blick. Diese „post-differenzialistische Perspektive“ des Zapatismus zeige exemplarisch, dass „partikularistische und universalistische Ansprüche keinesfalls so unvereinbar gegenüber stehen, wie die Begriffe im akademischen Diskurs oft gehandelt werden.“ Somit entsage der Zapatismus statischen, primär auf Identitäten rekurrierenden Konzeptionen von Kultur. Er lasse sich instruktiv gegen das ausgrenzende Gerede über „Wir“ und „die anderen“ des Rechtspopulismus anführen.
Kastner bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf die Anfang 2011 in der Jungle World geführte Debatte um den Geltungsanspruch eines linken Universalismus vor dem Hintergrund von Identität und Multikulturalismus. Die Diskussion hatte sich am Slogan „Alles für alle“ entzündet. Somit kann das Buch als Reaktion darauf gelesen werden, aber nicht ausschließlich. Kastner offenbart in den inhaltlich ineinanderfließenden Kapiteln ein fundiertes Wissen über die vielfältige Rezeption des Zapatismus, konzentriert sich dabei aber in erster Linie auf den akademischen Bereich und die Sozialtheorie. Hier habe, so die Kernthese des Buches, der Zapatismus neue Impulse für emanzipatorische Konzepte geliefert.
Die Denkanstöße für Pop und Pentagon werden vergleichsweise vernachlässigend behandelt, sodass eventuell durch den Titel geweckte Erwartungshaltungen nicht erfüllt werden. Mit analytischer Schärfe stellt Kastner dafür die bekannten Dimensionen des Zapatismus vor. So erfüllt das Buch auch die Funktion einer einsteigerfreundlichen Übersicht über den zapatistischen Diskurs. Es ist dem Autor zugutezuhalten, dass er in seinen Ausführungen verschiedene Forschungsansätze kritisch reflektiert, ohne dabei in wissenschaftstheoretische Problemstellungen fernab des eigentlichen Themas abzuschweifen.
Ob es Kastner gelingt, den Zapatismus wieder ins Gespräch zu bringen? Ein Anfang ist gemacht.
Jens Kastner // Alles für alle! Zapatismus zwischen Sozialtheorie, Pop und Pentagon // edition assemblage // Münster 2011 // 120 Seiten // 12,80 Euro