Fotografie | Mexiko | Nummer 529/530 - Juli/August 2018

MITGEGANGEN, UM HINZUSEHEN

Ein Fotoband zeichnet ein bleibendes, unaufdringliches Abbild zapatistischer Lebensrealitäten

MExico – ist ein Fotoband der in Berlin lebenden und arbeitenden Fotografin Samantha Dietmar. Zwölf Jahre nach dem Projekt, welches als Fotoreportage über die „Otra Campaña“ der EZLN begann und später mit der illegitimen Ausweisung der Fotografin endete, ist nun eine Art Reisetagebuch entstanden, in dessen Mittelpunkt vielleicht weniger die Geschichte des zapatistischen Widerstandes als das Festhalten des alltäglich Erlebten, des Beiläufigen und Momentanen steht.

Von Nicolai Raphael Pfaff

In Eigenregie geplant und über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter finanziert, veröffentlicht Samantha Dietmar hier einen kleinen Ausschnitt aus den über 4.000 Negativen, welche sie während ihres Aufenthaltes sammeln konnte. Das Ergebnis ist eine sehr persönliche, sehr subjektive Arbeit, welche sicherlich auch als Aufarbeitung der eigenen Erfahrungen und Abschluss des Projektes verstanden werden kann.

Der Fotoband zeigt vielschichtige Eindrücke auf dem Weg der „Otra“, der außerparlamentarischen und unbewaffneten Offensive der EZLN, im Vorwahlkampf 2006, durch Chiapas, über Yucatán und Veracruz, Oaxaca und Puebla bis in die Hauptstadt.

Zu sehen sind die Straßen und Menschen des Landes. Gefüllte Bühnen und Publikum wechseln sich ab mit Porträits, Wandbildern und Straßenhändler*innen. Dietmar zeigt das Umfeld der „Otra“, wo sie isst, wo sie schläft, und in welcher Welt sie sich bewegt.

Eingebettet ist die Dokumentation dieser außerparlamentarischen Mobilisation in den größeren Kontext des mexikanischen Wahlkampfs im Jahr 2006, und wird von Fotografien des 4. Weltwasserforum und den „1. Mai“-Demonstrationen in Mexico D.F. ergänzt.

Wie Dietmar schreibt, hat sie in dieser Zeit die Fotografie gelebt, – und versucht dieses Leben fotografisch einzufangen. Die Bilder, durchweg in Schwarz-Weiß und Grautönen gehalten, sind teilweise in Bewegung, leicht verwischt oder unscharf, und nicht immer auf das scheinbar Offensichtliche fokussiert. Durchaus ästhetisch ansprechend zeichnet Dietmar eine Aufnahme des Mexikos, welches ihr auf dieser Reise begegnete und versucht diesen Kontrast in Auswahl und Arrangement der Bilder wieder­zugeben.

Nicht zuletzt ist der Fotoband eine Momentaufnahme der zapatistischen Bewegung zu dieser Zeit. So ist der Delegado Cero – Sub Marcos sehr präsent. Auf Fotos wie auch im hinten angestellten Essay Der Mann hinter der Maske von John Berger. Allerdings gilt es nicht zu vergessen, dass das Gesicht der Zapatistas heute ein anderes ist. Da steht nicht mehr Marcos hoch aufgewachsen, stark und männlich, mit Sturmhaube und Pfeife, als zentrale Figur im Mittelpunkt der Weltaufmerksamkeit. Heute setzten die Zapatistas andere Themenschwerpunkte, wie die Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur von Marichuy oder die Organisation des überaus erfolgreichen, internationalen Frauentreffen im März dieses Jahres gezeigt haben.

Auch wenn eine bestimmte Distanz zu den abgebildeten Menschen oft nicht ganz aufgelöst werden kann, zeichnen die Fotos doch ein bleibendes, unaufdringliches Abbild der Lebensrealität und nehmen Menschen ins Bild, welche sonst kaum abgebildet werden. Vielleicht liegt genau darin die Stärke des Buches, denn dies ist immerhin eine zapatistische Praxis. Wo die Otra campaña hinging, um zuzuhören, ging Dietmar mit, um hinzusehen.

Samantha Dietmar & Sabine Schmid // MExico // Mit einem Essay von John Berger in D, ES und E // Kehrer Verlag Heidelberg Berlin // 2018 // 144 Seiten // 39,90€

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