Mittwochs in Quito
Schon früh am Morgen stehen überall im Zentrum von Quito bis an die Zähne bewaffnete, doppelte Reihen von Polizisten und sperren den Hauptplatz, Plaza de la Independencia, ab. Nur wer seinen Ausweis vorzeigt und einen Grund hat, darf weitergehen. Das Argument, Touristin zu sein, muß erst dem Vorgesetzten zur Beurteilung seiner Stichhaltigkeit vorgetragen werden. Ich vermute einen Staatsbesuch. Oder ein Attentat? Wasserwerfer stehen quer, das ganze Zentrum verwandelt sich im Laufe des Vormittags in eine Fußgängerzone, außerhalb bricht der Verkeher völlig zusammen.
Auf meine Frage antwortet der Polizist, es handle sich um eine Demonstration. Und gegen 11 Uhr sind sie dann da, die furchterregenden Feinde des Systems: ein Häuflein von vielleicht 15 Personen, überwiegend Frauen, haben sich mit Transparenten und Fotos außerhalb der gesperrten Zone aufgestellt, um gegen die Straflosigkeit für Polizisten die gegen das Ermorden, Foltern und Verschwindenlassen ihrer Angehörigen demonstrieren. Unter den Opfern befinden sich auch die Brüder Santiago und Andrés Restrepo, die vor fünf Jahren im Alter von 14 und 16 Jahren wegen einer Dummheit festgenommen worden waren. Sie wurden von der Polizei gefoltert und getötet. Ihre Leichen wurden der Familie nie ausgeliefert. Seit damals fordert die Familie eine Untersuchung des Falles und das Recht, ihre Toten zu begraben.
La verdad está. La justicia? Cuando?
Es wurde eine Untersuchungskomission eingesetzt und der Verantwortliche ins Gefängnis gebracht. Doch dann gab es Wahlen (1992), und die neue Regierung des Sixto Durán Ballén (Wandparole: Qué Suxto, einer Zusammenziehung aus Sixto und susto, der Schreck) löste die Untersuchungskommission auf; der Haupttäter “floh” aus dem Gefängnis. Bis zum Regierungswechsel waren die Demonstrationen der Angehörigen erlaubt; seitdem müssen sie immer damit rechnen, angerempelt und mit Tränengas beschossen zu werden. Sie demonstrieren seit fünf Jahren jeden Mittwoch zwischen 11 und 13 Uhr. Eine Woche später sind sie auch wieder da. Heute ist es der Mutter der Verschwundenen, Luz Elena Arismendi, und ein paar weiteren Personen gelungen, bis zur Plaza de la Independencia vorzudringen. Obgleich sie nur dastehen und sich unterhalten werden sie von Dutzenden von Polizisten bedrängt, gerempelt, gestoßen. Vor wenigen Wochen hatte Luz Elena auf dem Platz ein Transparent mit dem Bild ihrer Söhne entrollt. Dafür bekam sie Tränengas ins Gesicht und wurde über den Platz geschleift. Die Reaktion des Publikums auf die Demonstrantinnen ist einhellig positiv: Man klatscht, redet und zeigt seine Sympathie, soweit man den Mut dazu hat angesichts der Überzahl der Polizisten. Der “Fall Restrepo” ist sei nur einer von vielen, sagt man mir, aber einig die Familie Restrepo und wenige weitere Personen haben den Mut, ihr Recht zu fordern und dafür auf die Straße zu gehen. Im Übrigen ist Ekuador eine Demokratie, ebenso wie Chile, wo seit Januar’ 93 nun schon der dritte junge Mann im Polizeigewahrsam “verstorben” ist.