Nummer 572 - Februar 2022 | Peru | Politik

MOBILISIERUNG BLEIBT AUS

Perus soziale und wirtschaftliche Reformen stocken an vielen Stellen

Der Wahlsieg des linken Dorfschullehrers und Gewerkschafters Pedro Castillo wurde auch international in der Linken bejubelt. Nach einem halben Jahr im Amt fällt die Bilanz trotz vieler Ankündigungen, darunter Steuer- und Agrarreformen sowie einer verfassungsgebenden Versammlung, ernüchternd aus. Der Weg durch das Parlament ist bei vielen Projekten versperrt, außerparlamentarisch gibt es wenig Bewegung.

Von Moritz Aschemeyer & Kiva Drexel

Sucht man nach einem zentralen Erfolg der aktuellen peruanischen Regierung, stößt man schnell auf die erreichte Impfquote. Bis zum Jahresende 2021 haben in Peru über 80 Prozent der Bevölkerung im Alter von über zwölf Jahren zwei Impfdosen erhalten. 22 Prozent wurden bereits dreimal geimpft, wie Gabriela Jiménez, die Leiterin der Impfkampagne im peruanischen Gesundheitsministerium, am 31. Dezember verkündete. In Anbetracht des fragmentierten und trotz jahrelangen Wirtschaftswachstums unterfinanzierten Gesundheitssystems ist dies keine Selbstverständlichkeit. In Peru wurden Intensivbetten und Sauerstoff schnell knapp, das Land verzeichnete mit 6.000 Toten pro 1 Million Einwohner*innen die höchste Todesrate weltweit, bis zu 100.000 Kinder wurden durch die Verheerungen der Pandemie zu Waisen.

Neben diesen Umständen haben auch die Anstrengungen der Regierung zu einer hohen Impfbereitschaft beigetragen. Sie organisierte Veranstal- tungen zur Massenimpfung, die mit Namen wie Vacunatón oder Vacunafest eher nach Volksfest als nach Gesundheitsvorsorge klangen. Gesundheitspersonal kam auch in Gebiete der Anden und des Amazonasgebietes, die von staatlicher Fürsorge häufig nicht erreicht werden. Zudem ist der Zugang zu geschlossenen öffentlichen Räumen seit Mitte Dezember nur Geimpften gestattet. Zwar gibt es auch in Peru Impfgegnerschaft, befeuert unter anderem durch den rechten TV-Sender Willax, Evangelikale, oder Skepsis gegenüber „westlicher“ Medizin. Dennoch ließ sich eine große Mehrheit der Bevölkerung bereitwillig impfen.

Viel beachtet wurde auch die im Oktober 2021 lancierte sogenannte zweite Agrarreform. Im Gegensatz zur ersten Agrarreform unter der Militärdiktatur von Juan Velasco (1968 bis 1975) beinhaltet die jetzige Reform keine Umverteilung von Land. Vielmehr als um eine Landreform, so der Landwirtschaftsexperte Fernando Eguren im Gespräch mit der auf ländliche Regionen spezialisierten peruanischen Nachrichtenseite Noticias SER, handele es sich um eine „Änderung der Prioritäten in der Agrarpolitik”. Diese orientiere sich weg von der Unterstützung exportorientierter Großbetriebe, die in den letzten 30 Jahren im Fokus stand, hin zur familiär betriebenen Landwirtschaft, welche etwa 75 Prozent der in Peru konsumierten Lebensmittel produziere. Unter anderem sieht die Agrarreform eine Stärkung von Kollektiven, technische Unterstützung bei der Industrialisierung, staatliche Ankäufe von Lebensmitteln sowie die Schaffung eines sektorübergreifenden Kabinetts für die ländliche Entwicklung vor. Offene Punkte sind neben der Frage der Landverteilung auch die Zustände in den großen Exportunternehmen, wie Mauricio Espinoza vom Entwicklungsforschungszentrum GRADE gegenüber dem peruanischen Nachrichtenportal Ojo Público anmerkte: „Der positive Aspekt ist, dass sie sich endlich auf die Familienbetriebe konzentrieren, aber es ist auch wichtig, die Exportlandwirtschaft zu betrachten, in der viele der Arbeitsbedingungen prekär sind. Dort müssen bestimmte Grundnormen für die Respektierung von Arbeitnehmern festgelegt werden.“ Zuletzt war es diesbezüglich 2020 in mehreren Küstenregionen des Landes zu Streiks und Protesten von Landarbeiter*innen gekommen.

Eine weitere Hürde für die Umsetzung der Reformversprechen waren die beständigen Wechsel im Regierungskabinett Castillos. Nachdem der umstrittene Premierminister Guido Bellido im Oktober 2021 auf Wunsch des Präsidenten abdankte, übernahm die Anwältin Mirtha Vásquez den Vorsitz. Damit vollzog Castillo den Bruch mit der linksorthodoxen Partei Freies Peru (Perú Libre), der er seine Präsidentschaftskandidatur verdankte. Vásquez, früher für das linke Wahlbündnis Breite Front (Frente Amplio) im Kongress, repräsentiert den moderaten Teil in Castillos Kabinett. Unter Castillos Vorgänger, dem Interimspräsidenten Francisco Sagasti, sorgte Vásquez außerdem als Vizepräsidentin des Kongresses für Stabilität in Zeiten der politischen Krise – eine Aufgabe, die auch unter der Regierung Castillo von Nöten ist. Seine zerstrittene Regierungskoalition sieht sich einer starken, überwiegend rechten Opposition gegenüber und verfügt nur über 37 der 130 Sitze im Kongress, davon 32 für Freies Peru. Diese reichten im November noch, um ein Antrag auf Amtsenthebung abzuschmettern, der von Abgeordneten dreier Oppositionsparteien gestellt worden war. Dieser Versuch wird voraussichtlich nicht der letzte sein, sodass Castillo nicht nur in seinen Reformvorhaben auf die Einheit der Linken und die Kooperation mit Parteien der Mitte angewiesen bleibt.

Neben der Volatilität innerhalb der Regierung muss sich diese weiteren Herausforderungen stellen: Die nationale Ombudsstelle verzeichnet zum Jahresende landesweit 202 soziale Konflikte, davon 86 im Zusammenhang mit Bergbau. Insbesondere der Konflikt um die Kupfermine Las Bambas in der Andenregion Apurímac steht seit einiger Zeit im Fokus von Vermittlungsversuchen auf nationaler Ebene. In dem betroffenen Gebiet im südlichen Andenhochland, das aufgrund der starken Bergbauaktivitäten als südlicher Bergbaukorridor bezeichneten wird, hatten viele Menschen Castillo gewählt. Sie hofften, dass er die Konflikte zu ihren Gunsten lösen würde. Bereits bevor der Tagebau von Las Bambas, in dem zwei Prozent des weltweiten Kupfers gefördert werden, 2016 eröffnet wurde, war es zu Protesten der örtlichen Bevölkerung gekommen. Diesen begegnete die damalige Regierung, wie regelmäßig in solchen Situationen, mit der Verhängung des Notstandes und tödlicher Polizeigewalt. Zuletzt war im vergangenen Dezember mit einer Straßenblockade die Aktivität in der Mine stillgelegt worden. Während unter Vermittlung der Premierministerin Vásquez erste Abkommen mit einigen betroffenen Gemeinden erzielt wurden, ist der Konflikt in anderen Gemeinden noch ungelöst. Hier stehen sich nicht nur Interessen von Staat, Unternehmen und lokaler Bevölkerung gegenüber, auch innerhalb der Bevölkerung bestehen Konfliktlinien um die Verteilung von Ressourcen.

Eng mit dem Bergbau verbunden ist auch ein Gesetzesprojekt, das von Wirtschaftsminister Pedro Francke vorangetrieben wurde: eine Steuerreform, die insbesondere eine Erhöhung der Abgaben von Minenunternehmen und zusätzliche Steuereinnahmen von 3,1 Milliarden US-Dollar vorsah. Über den gesamten Pandemieverlauf konnte weiter geschürft werden, die Kupferpreise sind so hoch wie zuletzt vor zehn Jahren und Minenunternehmen verbuchten 2021 laut Angaben des Wirtschaftsministers über umgerechnet 13 Milliarden US-Dollar an unerwarteten Mehreinnahmen. Die rechte Opposition und der Unternehmensverband CONFIEP liefen jedoch Sturm gegen das Gesetzesprojekt. Aufgrund der fehlenden Mehrheit im Parlament erhielt die Regierung nur für einen Teil der Reformen die notwendigen Gesetzgebungskompetenzen vom Kongress. Auch die Regierungsfraktion selbst war bei der Abstimmung gespalten. Höhere Steuern für Reiche und den Bergbau sowie ein vereinfachtes Steuersystem für Kleinunternehmer*innen sind nun erst einmal vom Tisch, die Mehreinnahmen aus dem nun verabschiedeten Paket schätzt das Wirtschaftsministerium auf rund 520 Millionen US-Dollar.

Auch außerhalb der für weitreichende Reformen nahezu versperrten parlamentarischen Arena tut sich relativ wenig – und das, obwohl Castillo selbst und einige Abgeordnete eigentlich eng mit den Gewerkschaften und der ländlichen Bevölkerung verbunden sind. Größere Mobilisierungen blieben nahezu aus. Eine Koalition, so der Politanalyst und Historiker Antonio Zapata gegenüber der Tageszeitung La República, dürfe jedoch „nicht nur politisch sein, sondern muss vor allem mit den gesellschaftlichen Gruppen, die sie organisiert, geschlossen werden. Aber das ist nicht der Fall.” Das Fehlen einer mobilisierten außerparlamentarischen Basis könnte der Regierung auch für das Projekt einer neuen Verfassung zum Verhängnis werden. Am 21. Januar votierte der Kongress mehrheitlich für ein Gesetz, welches verfassungsändernde Referenda erschwert.

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