Nummer 270 - Dezember 1996 | Ökonomie

Moderne Sklaverei für billige Kleider

Maquiladoras in Zentralamerika

Maquila hieß in der Kolonialzeit das Mahlgeld, das der Müller für seine Arbeit einsteckte, eine Teilarbeit auf dem Weg von der bäuerlichen Aussaat zum Brot. Heute werden all jene Produktionsstätten als Maquila oder Maquiladora bezeichnet, in denen Teilfertigungen, und zwar ausschließlich von Weltmarktprodukten, durchgeführt werden. In Zentralamerika schießen sie wie Pilze aus dem Boden – und sind Schauplatz tausender Menschenrechtsverletzungen und Mißachtungen des Arbeitsrechts.

Sabine Broscheit

Anders als in Mexiko wird in den Maquilas Zentralamerikas zu mehr als 80 Prozent für die Bekleidungsbranche produziert. Angesiedelt sind die Maquila-Unternehmen in den sogenannten Zonas Francas, den Freien Produktionszonen. Diese Industrieparks werden eingerichtet, um ausländische Investoren ins Land zu locken. Zollfreiheit, Steuerbegünstigungen und Billiglöhne halten dort die Fertigungskosten niedrig. Der Betreiber einer Maquila konkurriert gegen eine Heerschar von Mitanbietern. Die transnationalen Handelsriesen sind die eigentlichen Gewinner.
Von Außen sehen die Freien Produktionszonen aus wie Kasernen – mit bewaffneten Wächtern und Gittern an den Eingängen, die nur zur Mittagspause und am Feierabend geöffnet werden. Dann sieht man ein Heer von ArbeiterInnen das Produktionsgelände verlassen. Kaufen können sich die ArbeiterInnen die von ihnen angefertigten Produkte jedoch nicht. Denn produziert wird für den Weltmarkt, mehrheitlich für die USA. Unter Markenzeichen wie GAP, Eddie Bauer, Levi Strauss, Calvin Klein oder Wrangler erobern diese dann – made in USA – die Welt.
Führend in diesem Zusammenhang ist Honduras mit einem Exportvolumen auf den US-amerikanischen Markt in Höhe von 918 Millionen US-Dollar im Jahr 1995, gefolgt von Costa Rica mit 756 Millionen US-Dollar, Guatemala mit 682 Millionen US-Dollar und El Salvador mit 582 Millionen US-Dollar. Das Schlußlicht mit nur 73 Millionen US-Dollar bildet Nicaragua, das bislang nur über eine einzige Freie Produktionszone, Las Mercedes, verfügt – eine weitere wird gerade eingerichtet. Die Wachstumsdynamik ist dennoch enorm: Seit 1990 siedelten sich in Las Mercedes 18 Firmen an, die derzeit 10.000 ArbeiterInnen beschäftigen. Tendenz für gesamt Zentralamerika: steigend.
Allein in El Salvador gibt es nach einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bereits über 200 Maquila-Betriebe mit mehr als 60.000 Beschäftigten. Kaum war der unternehmerfreundliche Präsident Calderón Sol 1994 an der Macht, da hatte er für sein Land eine Vision: “Ganz El Salvador eine einzige Freie Produktionszone.” Rechtlich hat er dafür inzwischen die Voraussetzungen geschaffen. Abbau bürokratischer Hemmnisse und Förderung von Auslandsinvestitionen lautet seine vielbeschworene Formel. Die Spezialisierung auf niedrige Arbeitslöhne als komparativer Kostenvorteil im internationalen Handel ist Bestandteil dieser neoliberal geprägten, auf außenwirtschaftliche Öffnung und Deregulierung gerichteten Wirtschaftsreformen, die derzeit in den meisten zentralamerikanischen Ländern betrieben werden.
Sind es für US-Firmen vor allem die billigen Arbeitskräfte, die sie zur Verlagerung von Teilfertigungsprozessen nach Zentralamerika bringen, so ist es für asiatische Unternehmen der bessere Zugang zum US-amerikanischen Markt von Zentralamerika aus. Die asiatischen Textilgiganten haben die Heerscharen billiger Arbeitskräfte in der Region unter sich aufgeteilt: Japan investiert in Mexiko und Costa Rica, Taiwan in Honduras und Nicaragua, Südkorea in Guatemala und El Salvador.
“Die Länder in der Region haben wenig davon”, meint Eduardo Melendes, Wirtschaftsprofessor an der Nationaluniversität in San Salvador. “Sie schaffen zwar Arbeitsplätze, aber nur zu den Bedingungen der Maquila-Industrie.” Denn dem jeweiligen Land bringen die Freien Produktionszonen wenig Geld in die Staatskasse – keine Steuern, keine Zolleinnahmen, lediglich die geringen Löhne und die Mieten für die Fabrikanlagen bringen Devisen ein. Dieser Devisenbetrag ist jedoch eher unbedeutend. Für die Freien Produktionszonen in Costa Rica beispielsweise wurden diese Einnahmen 1993 auf 43 Millionen US-Dollar geschätzt, was 1,6 Prozent der Gesamteinnahmen des Landes aus Waren- und Dienstleistungsexporten entspricht. Auch der Transfer von Wissen und Technologie ist gering, da in den zentralamerikanischen Weltmarktfabriken fast ausschließlich einfache Tätigkeiten von angelerntem Personal ausgeführt werden. Nachfrageimpulse für die nationale heimische Industrie gehen von den Weltmarktfabriken gleichfalls nicht aus, da sie überwiegend vorgefertigte Teile aus dem Ausland beziehen. Selbst weit mehr als ein Drittel der Verpakkungskartons werden von den Unternehmen in Honduras und Costa Rica importiert.

Oasen der schweigenden Ausbeutung

Menschenrechtsverletzungen und Mißachtungen des Arbeitsrechts stehen in den Maquiladora-Fabriken Zentralamerikas auf der Tagesordnung.
Zu 80 bis 90 Prozent sind es Frauen, die in den Maquilas für ein Monatsgehalt zwischen 100 und 180 DM arbeiten. Bevorzugt werden junge Frauen im Alter von 18 bis 28 Jahren eingestellt, die leistungsstark und kräftig genug sind, um die hohen Arbeitsbelastungen auszuhalten.
Kollektive, das heißt für alle ArbeiterInnen einheitlich geltende Arbeitsverträge werden in den Maquilas nicht abgeschlossen. Auf Probe werden häufig mehr Frauen, als später überhaupt übernommen werden können, unbezahlt beschäftigt. Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall gibt es nicht, statt dessen droht die Entlassung – auch im Falle von Schwangerschaft.
Arbeitsschutz ist hier nur ein Fremdwort. Staub, Hitze und unzureichende Frischluftzufuhr verursachen bei einem Großteil der TextilarbeiterInnen Atmungsstörungen und Lungenerkrankungen. Migräne, Muskelschmerzen und Menstruationsausfall sind körperliche Reaktionen auf psychischen und physischen Druck. Die Rate der Fehlgeburten unter Arbeiterinnen in den Maquiladoras liegt über dem nationalen Durchschnitt.
Zehn bis zwölf Stunden täglich sitzen die Frauen auf Holzbänken ohne Lehnen, zu Hunderten in Zweierreihen angeordnet, an den Nähmaschinen, ohne aufstehen zu dürfen. Der Produktionsprozeß ist in kleinste Operationen zerlegt. Der bereits zugeschnittene Stoff wird nur noch nach Modell des zu fertigenden Produktes zusammengenäht. Jede Arbeiterin führt daher tagtäglich die gleiche Operation durch: näht Hemdkragen an oder die Ärmel zusammen – bis am Ende der Reihe das fertige Produkt herauskommt. Gearbeitet wird im Akkord unter Tempokontrolle und ständiger Überwachung durch die WerkmeisterInnen. Am Arbeitsplatz darf nicht gesprochen und nicht gegessen werden. Für einen Gang zur Toilette bedarf es einer Erlaubnis – und die wird nur zweimal am Tag erteilt. Davon abweichendes Verhalten wird bestraft – oft sogar mit Prügel, wie eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) belegt. Zur Disziplinierung müssen ArbeiterInnen in einigen Maquilas in El Salvador einen unbezahlten Arbeitstag lang mit dem Gesicht zur Wand stehen oder werden in sogenannten piezas frías (Kühlräumen) eingesperrt.
Kollektiv gegen derart sklavische Arbeitsbedingungen vorzugehen, ist nur sehr schwer möglich. Denn in allen zentralamerikanischen Staaten arbeiten die Arbeitsministerien, die eigentlich die Einhaltung der Arbeitsgesetzgebung überwachen müßten, eng mit den Unternehmen zusammen. Namen von gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen werden an die Maquila-BesitzerInnen weitergeleitet. Nach Schätzungen der ILO sind in den letzten drei Jahren in El Salvador mehr als tausend ArbeiterInnen wegen gewerkschaftlicher Organisierung auf die Straße gesetzt worden.
Fragt man nach dem Interesse der zentralamerikanischen Regierungen, die Gründung von Gewerkschaften in den zonas francas zu unterbinden, so lassen sich zwei Gründe nennen: Korruption und Angst vor Standortverlagerung der Maquila-Unternehmen. Es ist nachgewiesen, daß Angestellte des Arbeitsministeriums häufig bestochen werden – sei es durch direkte Bestechungsgelder oder dadurch, daß sie in den Konzernen als Unternehmensberater oder sogar als Personalchefs eingestellt werden. Die Regierungen ihrerseits befürchten, daß die Unternehmen bei einem hohen Organisationsgrad der Maquila-ArbeiterInnen abziehen und sich in den Industrieparks der Länder niederlassen, in denen Arbeitsrechtsbestimmungen widerstandslos mißachtet werden können oder die Löhne der Arbeitskräfte noch niedriger sind. So ist im Moment zu beobachten, daß in Nicaragua der Maquila-Sektor deshalb anwächst, weil Unternehmen aus Costa Rica wegen des höheren Lohnniveaus ihre Produktion nach Nicaragua verlagern.
Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Daten, zum Beispiel die Auslandsverschuldung, belegen die Abhängigkeit der zentralamerikanischen Länder von den Staaten des Nordens. Die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF fordern den zentralamerikanischen Staaten enorme Haushaltseinsparungen ab. Kaum ein Land verfügt über bedeutende Bodenschätze oder verarbeitende Industrien, die Devisen in die Staatskasse bringen könnten. Zudem liegen die Arbeitslosenquoten in den zentralamerikanischen Staaten über 40 Prozent. In dieser prekären Situation ist es erklärbar, daß diese Länder nach kurzfristigen Lösungen Ausschau halten. Eine Entwicklungsperspektive ist damit freilich nicht verbunden.

KASTEN:
Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung

Am 1. August diesen Jahres stirbt in San Salvador die Textilarbeiterin Lourdes Rodríguez an ihrem Arbeitsplatz. Trotz starker Kopfschmerzen wurde ihr untersagt, einen Arzt aufzusuchen. Sieben Jahre lang arbeitete Lourdes bei Doall Enterprises. Sieben Jahre lang zog man ihr den Krankenversicherungsbeitrag vom Lohn ab und leitete keinen einzigen Pfennig weiter.
Gleiches geschah mit María Paula Rodriguez, 23 Jahre alt. Sie starb am 5. Oktober 1995 – ebenfalls an ihrem Arbeitsplatz. Auch ihr wurde der Gang zum Arzt verboten. Statt dessen verabreichte man ihr ein Medikament. Kurze Zeit später war sie tot. Maria Paula Rodriguez arbeitete bei Han Chang Textiles, einem Maquiladora-Betrieb in der Freien Produktionszone San Marcos in San Salvador.
Ebenfalls am 5. Oktober 1995 werden in der Fabrik Encasa y Esmodica in San Salvador 120 ArbeiterInnen mit der Begründung, KommunistInnen und Verbündete der Guerilla zu sein, entlassen. Die Fabrik, ein Maquiladora-Unternehmen, ist im Besitz der ARENA-Abgeordneten Milena de Escalón, der Schwester des Präsidenten El Salvadors Calderón Sol. Der wirkliche Grund für die Entlassung: Die ArbeiterInnen hatten dagegen protestiert, daß das Unternehmen über ein Jahr lang von ihnen eingezogene Sozialversicherungsabgaben nicht weiterleitete.
Am 28. Februar 1995 wird die Textilarbeiterin Deborah Guzmán aus dem Maquila-Betrieb L&L-Modas wegen des gewerkschaftlichen Engagements ihres Partners Felíx Gonzales in Guatemala entführt. Nach ihrer Freilassung erhält sie fortlaufend Morddrohungen. Im Sommer 1996 treten Deborah und Felix offiziell aus der guatemaltekischen ArbeiterInnengewerkschaft UNSITRAGUA aus. Sie wissen sich gegen den anhaltenden Terror nicht mehr zu wehren und zu schützen.
Flor de María Salguero, damals noch aktiv in der Gewerkschaft FESTRAS, wird im Mai 1995 in Guatemala-Stadt auf dem Weg zur Arbeit von ihr unbekannten Männern aus dem Bus gezerrt. Sie schleppen sie in ein Haus, wo sie geschlagen und vergewaltigt wird. Flor de Maria ist ebenfalls im Maquiladora-Bereich aktiv. Durch ihr Engagement gegen Menschenrechtsverletzungen in US-amerikanischen Maquila-Fabriken kam es 1994 im US-Kongreß zu einer Anhörung.

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