Guatemala | Nummer 301/302 - Juli/August 1999

Mörder in Uniform

Wieder einmal sorgt die Repression der Vergangenheit in Guatemala für Aufregung

Erstmals wurde in Guatemala ein Dossier bekannt, das von Täterseite aus das Verschwindenlassen von Oppositionellen dokumentiert. Ob dies allerdings zur Verurteilung der Verantwortlichen führen wird, ist äußerst fraglich. Zugleich können auch hochbelastete Offiziere ihrer Karriere in der Armee noch immer sicher sein, wie die Ernennung des Arzú-Vertrauten General Espinoza zum Verteidungsminister belegt. Doch auch die ehemalige Guerilla findet keinen angemessenen Umgang mit ihrer Verantwortung gegenüber den Verbrechen der Vergangenheit.

Michael Krämer

Es waren vor allem die Aussagen der Repressionsopfer des 36jährigen Bürgerkriegs in Guatemala, die als Grundlage des Berichts der offiziellen Wahrheitskommission und des REMHI-Berichts der katholischen Kirche dienten. Die beiden Berichte, die im Februar diesen Jahres beziehungsweise im April 1998 veröffentlicht wurden, zeigen, daß die große Mehrzahl der schweren Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit von Armee und staatlichen „Sicherheitskräften“ begangen wurde – 93 Prozent laut Wahrheitskommission, die von über 200.000 Menschen spricht, die zwischen 1962 und 1996 getötet wurden (vgl. LN 297).
Nur wenige Militärangehörige waren zu Aussagen gegenüber REMHI und Wahrheitskommission bereit, und die Streitkräfte haben sich geweigert, wichtige Materialien über die Zeit der Repression zur Verfügung zu stellen. Zu Verurteilungen der Verantwortlichen ist es nur in sehr wenigen Einzelfällen gekommen – den Opfern wird weiterhin weniger Glauben geschenkt als den Tätern.

Das Dossier

Vier US-amerikanischen Nichtregierungsorganisationen ist nun ein Coup gelungen, mit dem neue Gerichtsverfahren gegen Militärangehörige ermöglicht werden. Am 20. Mai veröffentlichten sie ein Dossier mit den Namen von 185 Personen. Diese wurden zwischen August 1983 und März 1985 von einer Spezialeinheit des Militärs entführt, gefoltert und in den meisten Fällen ermordet. Sie gehören zu den Tausenden von Verschwundenen, über deren Verbleib bislang nur sehr wenig bekannt ist. Das besondere der Liste: Sie wurde vom Militär selbst angelegt und verzeichnet mit Foto und kurzem Text das Schicksal der Verschwundenen: Ort und Datum der Entführung, Haftdauer (zumeist zwischen einer und sechs Wochen) sowie ihren Verbleib. In den meisten Fällen endet der Vermerk mit den Codes „300“ oder „Pancho hat ihn/sie mitgenommen“. Beide Kürzel bedeuten, daß die Opfer ermordet wurden.
Kate Doyle vom Washingtoner National Security Archive, eine der vier an der Veröffentlichung beteiligten US-Organisationen, berichtete, sie hätten die Liste Ende Februar für 2.000 US-Dollar einem Militär abgekauft, der sie aus einem Archiv der Streitkräfte entwendet hatte. Seit Mai ist die Liste im Internet einsehbar (www.seas.gwu.edu/nsarchive). Für Doyle ist das Dossier „ein Produktivitätsbericht aus dem Inneren von Guatemalas Mordapparat“. Vermutlich sei es von der als „das Archiv“ bekannten Todesschwadron angelegt worden, die sich seit Ende der 70er Jahre aus den Regierungen nahestehenden Offizieren rekrutierte.
Der staatliche Menschenrechtsprokurator Julio Arango Escobar hat sich in Washington davon überzeugt, daß das Dossier authentisch ist (was vom US-Außenministerium bestätigt wird) und, um es auch vor Gericht verwenden zu können, beglaubigen lassen. Die „Vereinigung Familienangehöriger Verschwundener“ (FAMDEGUA) und andere Organisationen haben mittlerweile gerichtliche Schritte eingeleitet und fordern vom Militär zudem, nun endlich die noch bestehenden Archive zu öffnen, um den Verbleib der Verschwundenen klären zu können.
Davon will die Armee jedoch nichts wissen. Das Verteidigungsministerium hatte umgehend dementiert, daß es sich um ein Armee-Dokument handeln könne, schließlich „fehle ja das Briefpapier und der Stempel der Institution“. Und als Ex-Diktator General Oscar Humberto Mejía Victores, in dessen Regierunszeit die Morde fallen, Mitte Juni von der Staatsanwaltschaft vorgeladen wurde, erklärte er, von dem Dossier und den darin verzeichneten Morden keinerlei Kenntnis zu besitzen. Er leugnete, daß es in seiner Regierungszeit zu Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen gekommen sei, schließlich sei damals „einzig und allein die Institutionalität des Landes verteidigt worden.“ Auch der Kommentar von Verteidigungsminister Héctor Barrios Celada Ende Mai war nicht viel intelligenter: das Dokument könne schon deshalb nicht stimmen, da die Organisationen, die es veröffentlicht haben, nicht bereit seien, den Namen des Militärs zu nennen, dem sie das Dossier für 2.000 US-Dollar abgekauft haben.
Doch die Oberste Staatsanwaltschaft hat dafür gesorgt, daß die Untersuchungen erst einmal verzögert wurden. Alle Klagen, die bislang von Angehörigen der Verschwundenen bei ihr eingingen, hat sie an unterschiedliche Ermittler weitergeleitet, die, selbst wenn sie über den politischen Willen zu einem Vorgehen gegen das Militär verfügen sollten, meist keine Kapazitäten für solch komplizierte Fälle haben. Die von Menschenrechtsgruppen geforderte spezielle Ermittlungsgruppe für die auf der Liste verzeichneten Fälle wurde verhindert.

Die Verantwortung der Guerilla

Mitte Juni geriet auch die ehemalige Guerillabewegung Guatemalas unter Druck. Im Namen von Oscar Contreras Castellanos präsentierte das kirchliche Menschenrechtsbüro ODHA eine Klage gegen sieben ehemalige Verantwortliche der inzwischen aufgelösten „Guerillaarmee der Armen“ (EGP) wegen des Mordes an seinen Eltern, beide EGP-Aktivisten, im März und November 1982. Zwei Tage später präsentierte das unabhängige Menschenrechtszentrum CALDH im Namen dreier Mütter ebenfalls eine Klage gegen EGP-Kader wegen des Mordes an drei ihrer Kinder durch das EGP im Exil in Nicaragua 1982.
Der ehemalige Guerilladachverband URNG, zu dem auch das inzwischen aufgelöste EGP zählte, hat daraufhin zwar das Recht der Familienangehörigen anerkannt, sich auf die Wahrheitssuche zu begeben und Anzeigen zu erstatten. Doch zugleich sprach URNG-Generalsekretär Jorge Soto von „einer politischen Intention der Anzeigen“, während der Direktor der Stiftung Rigoberta Menchú, Gustavo Moeño, der zu den Beschuldigten zählt, die Familienangehörigen warnte, sich nicht manipulieren zu lassen.
Denn mit dem Hinweis auf „die tatsächlichen oder vermeintlichen Fehler, Exzesse und Ungerechtigkeiten, die bestimmte Organisationen oder Personen begangen haben könnten, werde beabsichtigt, die Greueltaten und den Genozid der Armee und anderer staatlicher Repressionskräfte zu verbergen oder zu rechtfertigen.“ Konkret meinte er damit DissidentInnen der URNG, die sich teils schon in den 80er Jahren aus der Guerilla verabschiedet haben und heute oft in unabhängigen Organisationen, insbesondere auch in der Menschenrechtsarbeit aktiv sind.

Der General des Präsidenten

Nichts Gutes verheißt auch der Wechsel an der Militärspitze am 1. Juli. General Marco Tulio Espinoza löste Héctor Barrios als Verteidigungsminsiter ab und Víctor Manuel Ventura Arellano wurde zum neuen Generalstabschef ernannt. Beide werden mit zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Ventura Arrellano repräsentiert nach Angaben des ehemaligen Leiters von REMHI, Edgar Gutiérrez, zudem „den härtesten und rückständigsten Flügel der Armee“. Espinoza gilt als der wichtigste Vertraute von Präsident Alvaro Arzú im Militär, der nach Aussagen eines guatemaltekischen Menschenrechtlers dafür sorge, daß Arzú „unbehelligt seinen schmutzigen Geschäften nachgehen könne“. Espinoza war früher in der Geheimdienstabteilung G-2 und im Präsidentiellen Generalstab aktiv, den beiden Abteilungen der Streitkräfte. Diese macht der Wahrheitsbericht für einen Großteil der Entführungen, Folterungen, Hinrichtungen und das Verschwindenlassen von Oppositionellen verantwortlich macht. Doch vom Wahrheitsbericht hält der Präsident, der sich über vier Monate nicht dazu geäußert hatte, ohnehin nicht viel. Geht es nach ihm, wird er keine weiteren Konsequenzen haben. Die Mörder in Uniform sollen unbehelligt bleiben.

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