Monolog der Macht
Zedillos Ignoranz verbaut die Aussicht auf weitere Gespräche
Nach langem Hin und Her, nach kleinen Fortschritten und großen Enttäuschungen in den Verhandlungen hat die Hoffnungslosigkeit einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit Ende August 1996 hat die EZLN wegen anhaltender Feindseligkeiten und Wortbrüche der Regierung Zedillo den Verhandlungsprozeß unterbrochen, doch die Krise der letzten Wochen macht die ohnehin schwierige Situation noch komplizierter.
Ihren Ausgang nahm die aktuelle Verhandlungskrise bereits am 29. November letzten Jahres, als die parlamentarische Vermittlungsgruppe COCOPA ihre endgültige Ausarbeitung der Abkommen von San Andrés über “Rechte und Kultur der indigenen Völker” mit dem Hinweis an den Präsidenten Ernesto Zedillo weiterleitete, sie würde nur Zustimmung oder Ablehnung akzeptieren, aber keinerlei weitere Modifikation.
Nachträglicher Rückzieher des “besoffenen” Ministers
Das Abkommen war im Februar 1996 zwischen EZLN und Regierung vereinbart worden und beflügelte die Hoffnung auf substantielle Reformen und eine friedliche Lösung des bewaffneten Konfliktes in Chiapas. Und zunächst sah es auch tatsächlich so aus, als würde die Regierung Wort halten.
In Abwesenheit Präsident Zedillos, der auf Staatsvisite in Ländern Südostasiens weilte, versicherte Innenminister Emilio Chauyffet, der Entwurf sei für die Regierung akzeptabel, nur könne er ihn vor der Rückkehr des Präsidenten nicht offiziell unterzeichnen. Doch nach der Rückkehr des Staatsoberhauptes und nachdem dieser sich eine Frist “zur Durchsicht und Klärung” ausgebeten hatte, kam die brüske Absage. Chauyffet erklärte – symptomatisch für die Regierungselite Mexikos – er habe den Entwurf nur deshalb positiv bewertet, weil er sich vorher mit einem alkoholischen Getränk, Chinchon, betrunken hätte. In den folgenden Wochen setzten Zedillo und die Hardliner in seiner Regierung sich mit einer Juristenriege um Ignacio Burgoa Orihuela, dem Vorsitzenden des Verbandes mexikanischer Juristen, zusammen, um mit spitzfindigen, scheinbar unwichtigen Bemerkungen am Originaltext der COCOPA dessen Inhalte auszuhöhlen und damit die Verhandlungsergebnisse von San Andrés zu entstellen.
Freilich lehnten die Zapatistas Zedillos Gegenvorschlag Mitte Januar nach wenigen Tagen Bedenkzeit ab und erteilten der “arroganten kreolischen Haltung, die in der mexikanischen Machtelite noch immer weiterlebt und der rassistischen Überzeugung anhängt, daß Indios sich nicht selbst regieren können” (so der Historiker und EZLN-Berater Antonio García de León in einem Kommentar) eine glatte Abfuhr. Da nützte es der Regierung auch nichts, an den traditionell starken Nationalismus der mexikanischen Bevölkerung zu appellieren, indem sie behauptete, die Anerkennung indigener Autonomie “führe zur Balkanisierung und Kleinstaaterei” in Mexiko und stelle somit eine Gefahr für die Souveränität des Landes dar.
Ein Vorwurf, der vor dem Hintergrund der jüngst ans Licht gekommenen Skandale um die Verbindungen des Militärs zur Drogenmafia und die grotesken Verwicklungen höchster Funktionäre in Korruptions- und Mordfälle besonders absurd erscheint. So absurd, daß sich die Öffentlichkeit nicht überzeugen lassen wollte und internationale Beobachter nachdrücklich die Einhaltung des Abkommens von San Andrés forderten. In Anbetracht der Tatsache, daß dieses weitgehend dem Abkommen Nr.69 über indigene Völker der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, einer UN-Sonderorganisation, entspricht, ist Letzteres sicher nicht die “Einmischung in innere Angelegenheiten”, die die mexikanische Regierung darin sehen wollte. Schließlich wurde das ILO-Abkommen 1989 auch von Mexiko unterzeichnet.
Ablenkungsmanöver in der Presse
Als Zedillo und die um ihn gescharte Machtclique innerhalb der seit beinahe 70 Jahren regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution PRI sich bewußt wurde, daß sie die intellektuelle Auseinandersetzung zu diesem Thema mangels Argumenten nur verlieren konnten, verlegte sich die intrigenerprobte Machtmaschine darauf, aus dem Hinterhalt zu operieren: Während in den folgenden Wochen ganz Mexiko über den Justizskandal um den Staatsanwalt Lozano Gracía, seinen Gehilfen, den Strafverfolger Chapa Bezanilla und die Seherin “La Paca” staunen durfte und mal wieder ein bißchen in der Ermittlungssuppe um den Mord am PRI-Präsidentschaftskandidaten Colosio herumgerührt wurde (siehe LN 273), gingen die Warnungen der COCOPA-Mitglieder in der Tagespresse unter. Immer wieder versuchten diese, darauf aufmerksam zu machen, daß es sowohl eine “Kampagne zur Diskreditierung der COCOPA” gebe, als auch ganz direkten “Druck auf deren Mitglieder”, wie der PRD-Abgeordnete Heberto Castillo – ebenfalls Mitglied der Vermittlungskommission – sich ausdrückte. In einer Erklärung der Cocopa ist nach der Kampagne der letzten Wochen nun keine Rede mehr davon, daß das Abkommen von San Andrés unantastbar sei. Die parlamentarischen Vermittler sind unter dem präsidentialen Druck eingeknickt und räumen ein, daß durchaus über “bessere Formulierungen” nachgedacht werden könne und mahnen die “Dialogbereitschaft” beider Konfliktparteien an. Im Klartext: Auch die COCOPA verteidigt das bereits geschlossene Abkommen nicht mehr, wie sie ursprünglich beteuert hatte. Damit ist die EZLN wieder auf sich alleine gestellt.
Aushöhlung des Abkommens
Die Erklärung der COCOPA läuft letztlich darauf hinaus, daß sie sich mindestens mit einer Neubearbeitung des Vertragsentwurfes, wenn nicht sogar mit Neuverhandlungen des eigentlich längst unterzeichneten Abkommens abfindet. Und dabei bringen ihre Mitglieder nicht einmal den Mut auf, mit dem Finger auf diejenige zu zeigen, die von Anfang an den Dialog und später die Verhandlungsergebnisse zum Scheitern bringen wollte: Die Regierung. Stattdessen müssen sich die Zapatistas nun anhören, ihre Dialogbereitschaft sei “verbesserungsbedürftig”. Zynischer geht es nicht.
Präsident Zedillo und die als “Dinosaurier” bezeichneten Bosse der diversen einflußreichen Cliquen in der PRI dürften dagegen frohlocken. Innenminister Chauyffet kann fortfahren bei der Militarisierung weiter Teile vor allem Süd-Mexikos und der Polizeistruktur der Hauptstadt. Verhaftungen Oppositioneller, “Verschwindenlassen” und politischer Mord gehören mittlerweile zur Tagesordnung in Guerrero, Oaxaca und Tabasco. Auch der “Krieg niedriger Intensität” in Chiapas geht weiter.
Kaum jemand außerhalb der zapatistischen Solidaritätskomitees und einer Handvoll Intellektueller hat bisher die Tragweite dessen erfaßt, was das Einknicken der COCOPA vor dem Präsidenten wirklich bedeutet: Wieder einmal setzt sich die Exekutive über die Legislative hinweg. Die Rechtlosigkeit in der mexikanischen Gesellschaft wird exemplarisch deutlich. Wie soll ein Dialogprozeß funktionieren, wenn bereits beschlossene Ergebnisse wieder zur Disposition gestellt werden? Wieder einmal zeigt sich der mexikanische Präsidentialismus als die “perfekte Diktatur”, als die der peruanische Schriftsteller Vargas Llosa das mexikanische System bereits vor vielen Jahren bezeichnete. Und damit erfährt nicht nur in Chiapas, sondern in ganz Mexiko vorerst eine Hoffnung auf Veränderung eine glatte Ohrfeige, die das Land gerade jetzt in der schwersten Wirtschafts- und Sozialkrise seiner Geschichte so dringend bräuchte: Die Hoffnung auf eine grundlegende Demokratisierung der Gesellschaft.