Mexiko | Nummer 274 - April 1997

Monolog der Macht

Zedillos Ignoranz verbaut die Aussicht auf weitere Gespräche

“Sie schlagen vor, daß alles von vorne anfängt, daß wir so tun, als sei nichts gesche­hen. Als habe es keinen Krieg gegeben, keinen Dialog, keinen Verrat, keine Feind­seligkeiten und Verfolgungen, keine Lügen und Betrügereien, keine Erpressung und keinen Rassismus…”, kommentiert EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos am 13. März den steckengebliebenen Verhandlungsprozeß mit der Regierung.

Boris Kanzleiter, Robert Dettmering

Nach langem Hin und Her, nach kleinen Fortschritten und großen Enttäuschungen in den Verhandlungen hat die Hoff­nungslosigkeit einen neuen Hö­hepunkt erreicht. Seit Ende Au­gust 1996 hat die EZLN wegen anhaltender Feindseligkeiten und Wortbrüche der Regierung Ze­dillo den Verhandlungsprozeß unterbrochen, doch die Krise der letzten Wochen macht die ohne­hin schwierige Situation noch komplizierter.
Ihren Ausgang nahm die ak­tuelle Verhandlungskrise bereits am 29. November letzten Jahres, als die parlamentarische Ver­mittlungsgruppe COCOPA ihre endgültige Ausarbeitung der Ab­kommen von San Andrés über “Rechte und Kultur der indige­nen Völker” mit dem Hinweis an den Präsidenten Ernesto Zedillo weiterleitete, sie würde nur Zu­stimmung oder Ablehnung ak­zeptieren, aber keinerlei weitere Modifikation.

Nachträglicher Rückzieher des “besoffenen” Ministers

Das Abkommen war im Februar 1996 zwischen EZLN und Regierung vereinbart worden und beflügelte die Hoff­nung auf substantielle Reformen und eine friedliche Lösung des bewaffneten Konfliktes in Chia­pas. Und zunächst sah es auch tatsächlich so aus, als würde die Regierung Wort halten.
In Abwesenheit Präsident Ze­dillos, der auf Staatsvisite in Ländern Südostasiens weilte, versicherte Innenminister Emilio Chauyffet, der Entwurf sei für die Regierung akzeptabel, nur könne er ihn vor der Rückkehr des Präsidenten nicht offiziell unterzeichnen. Doch nach der Rückkehr des Staatsoberhauptes und nachdem dieser sich eine Frist “zur Durchsicht und Klä­rung” ausgebeten hatte, kam die brüske Absage. Chauyffet er­klärte – symptomatisch für die Regierungselite Mexikos – er habe den Entwurf nur deshalb positiv bewertet, weil er sich vorher mit einem alkoholischen Getränk, Chinchon, betrunken hätte. In den folgenden Wochen setzten Zedillo und die Hardliner in seiner Regierung sich mit ei­ner Juristenriege um Ignacio Burgoa Orihuela, dem Vorsit­zenden des Verbandes mexikani­scher Juristen, zusammen, um mit spitzfindigen, scheinbar un­wichtigen Bemerkungen am Ori­ginaltext der COCOPA dessen In­halte auszuhöhlen und damit die Verhandlungsergebnisse von San Andrés zu entstellen.
Freilich lehnten die Zapatistas Zedillos Gegenvorschlag Mitte Januar nach wenigen Tagen Be­denkzeit ab und erteilten der “arroganten kreolischen Haltung, die in der mexikanischen Macht­elite noch immer weiterlebt und der rassistischen Überzeugung anhängt, daß Indios sich nicht selbst regieren können” (so der Historiker und EZLN-Berater Antonio García de León in ei­nem Kommentar) eine glatte Ab­fuhr. Da nützte es der Regierung auch nichts, an den traditionell starken Nationalismus der mexi­kanischen Bevölkerung zu ap­pellieren, indem sie behauptete, die Anerkennung indigener Au­tonomie “führe zur Balkani­sie­rung und Kleinstaate­rei” in Me­xiko und stelle somit eine Gefahr für die Souveränität des Landes dar.
Ein Vorwurf, der vor dem Hintergrund der jüngst ans Licht gekommenen Skandale um die Verbindungen des Militärs zur Drogenmafia und die grotesken Verwicklungen höchster Funk­tionäre in Korruptions- und Mordfälle besonders absurd er­scheint. So absurd, daß sich die Öffentlichkeit nicht überzeugen lassen wollte und internationale Beobachter nachdrücklich die Einhaltung des Abkommens von San Andrés forderten. In Anbe­tracht der Tatsache, daß dieses weitgehend dem Abkommen Nr.69 über indigene Völker der Internationalen Arbeitsorganisa­tion ILO, einer UN-Sonderorga­nisation, entspricht, ist Letzteres sicher nicht die “Einmischung in innere Angelegenheiten”, die die mexikanische Regierung darin sehen wollte. Schließlich wurde das ILO-Abkommen 1989 auch von Mexiko unterzeichnet.

Ablenkungsmanöver in der Presse

Als Zedillo und die um ihn gescharte Machtclique innerhalb der seit beinahe 70 Jahren regie­renden Partei der Institutionali­sierten Revolution PRI sich be­wußt wurde, daß sie die intel­lektuelle Auseinandersetzung zu diesem Thema mangels Argu­menten nur verlieren konnten, verlegte sich die intrigenerprobte Machtmaschine darauf, aus dem Hinterhalt zu operieren: Wäh­rend in den folgenden Wochen ganz Mexiko über den Justiz­skandal um den Staatsanwalt Lo­zano Gracía, seinen Gehilfen, den Strafverfolger Chapa Beza­nilla und die Seherin “La Paca” staunen durfte und mal wieder ein bißchen in der Ermittlungs­suppe um den Mord am PRI-Prä­sidentschaftskandidaten Colosio herumgerührt wurde (siehe LN 273), gingen die Warnungen der COCOPA-Mitglieder in der Tages­presse unter. Immer wieder ver­suchten diese, darauf auf­merk­sam zu machen, daß es sowohl eine “Kampagne zur Dis­kreditie­rung der COCOPA” ge­be, als auch ganz direkten “Druck auf deren Mitglieder”, wie der PRD-Abge­ordnete Heberto Castillo – eben­falls Mitglied der Vermittlungs­kom­mission – sich ausdrückte. In einer Erklärung der Cocopa ist nach der Kampagne der letzten Wochen nun keine Rede mehr davon, daß das Abkommen von San Andrés unantastbar sei. Die parlamen­tarischen Ver­mittler sind unter dem präsidentialen Druck eingeknickt und räumen ein, daß durchaus über “bessere Formulierungen” nachgedacht werden könne und mahnen die “Dialogbereitschaft” beider Kon­fliktparteien an. Im Klartext: Auch die COCOPA verteidigt das bereits geschlossene Abkom­men nicht mehr, wie sie ursprünglich beteuert hatte. Damit ist die EZLN wieder auf sich alleine gestellt.

Aushöhlung des Abkommens

Die Erklärung der COCOPA läuft letztlich darauf hinaus, daß sie sich mindestens mit einer Neubearbeitung des Ver­trags­ent­wurfes, wenn nicht sogar mit Neuverhandlungen des ei­gentlich längst unterzeichneten Abkom­mens abfindet. Und dabei brin­gen ihre Mitglieder nicht einmal den Mut auf, mit dem Finger auf diejenige zu zeigen, die von Anfang an den Dialog und später die Verhandlungser­gebnisse zum Scheitern bringen wollte: Die Regierung. Stattdes­sen müssen sich die Zapatistas nun anhören, ihre Dialogbereit­schaft sei “verbesserungsbedürf­tig”. Zynischer geht es nicht.
Präsident Zedillo und die als “Dinosaurier” bezeichneten Bos­se der diversen einflußrei­chen Cliquen in der PRI dürften dagegen frohlocken. Innenminis­ter Chauyffet kann fortfahren bei der Militarisierung weiter Teile vor allem Süd-Mexikos und der Polizeistruktur der Hauptstadt. Verhaftungen Oppo­sitioneller, “Verschwindenlassen” und poli­tischer Mord gehören mittler­weile zur Tagesordnung in Guer­rero, Oaxaca und Tabasco. Auch der “Krieg niedriger Intensität” in Chiapas geht weiter.
Kaum jemand außerhalb der zapatistischen Solidaritätskomi­tees und einer Handvoll Intel­lek­tueller hat bisher die Trag­weite dessen erfaßt, was das Ein­knicken der COCOPA vor dem Präsidenten wirklich bedeutet: Wieder einmal setzt sich die Exekutive über die Legislative hinweg. Die Rechtlosigkeit in der mexikanischen Gesellschaft wird exemplarisch deutlich. Wie soll ein Dialogprozeß funktionie­ren, wenn bereits beschlossene Ergebnisse wieder zur Disposi­tion gestellt werden? Wieder einmal zeigt sich der mexikani­sche Präsidentialismus als die “perfekte Diktatur”, als die der peruanische Schriftsteller Vargas Llosa das mexikanische System bereits vor vielen Jahren be­zeichnete. Und damit erfährt nicht nur in Chiapas, sondern in ganz Mexiko vorerst eine Hoff­nung auf Veränderung eine glatte Ohrfeige, die das Land gerade jetzt in der schwersten Wirt­schafts- und Sozialkrise seiner Geschichte so dringend bräuchte: Die Hoffnung auf eine grundle­gende Demokratisierung der Ge­sellschaft.

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