Mord als Imagepflege
Kommentar zur Erstürmung der japanischen Botschaft
Kaum war die Besetzung der japanischen Botschaft in Lima durch MRTA-Guerilleros durch einen Gewaltstreich der Armee beendet, da war Peru auch schon aus den Schlagzeilen verschwunden. Die Nachrichten über die Hintergründe, die Stück für Stück ans Licht kamen, taugten allenfalls noch für Spaltenmeldungen.
Die spektakulärste darunter war noch jene, daß die 14 Guerilleros anscheinend auf höchste Weisung hin hingerichtet wurden, obwohl sie sich längst ergeben hatten. Die “Befreiungsaktion” erscheint dadurch plötzlich in neuem Licht: Als weiterer Höhepunkt einer endlosen Kette von Menschenrechtsverletzungen des Regimes in Lima. Dessen eigentlich recht hohes innenpolitisches Ansehen hatte schon im Vorfeld der MRTA-Aktion stark gelitten, wie Meinungsumfragen zeigten. Das liegt zum einen am harten neoliberalen Kurs und dem radikalen Ausverkauf von Staatsbetrieben, was Fujimori schon den Ruf eines “Vendepatria”, eines Vaterlandsverkäufers, eingebracht hat. Zwar wurde die galoppierende Inflation eingedämmt, es stiegen Wirtschaftswachstum und ausländische Investitionen, doch hat die große Mehrheit der peruanischen Bevölkerung keinen Benefit davon, ganz im Gegenteil. Gerade die Privatisierung der Staatsbetriebe, wie z.B. Petroperu, hat die Arbeitslosigkeit stark ansteigen lassen. Weitere Ursache für die Krise des “Fujimorismo” ist die Verwicklung von hohen Repräsentanten der Regierung, wie Fujimoris engstem Vertrauten Vladimiro Montesinos, Chef des Geheimdienstes SIN, in Korruption, Drogenhandel und Menschenrechtsverbrechen. Das Amnestiegesetz von 1995 läßt Tausende von Angehörigen Verschwundener weiter im Unklaren über deren Schicksal, läßt die Täter unbestraft.
In diese Situation fiel die Geiselnahme durch die MRTA. Für Fujimori war von Anfang an klar, daß es für ihn nur eine “Exekutionslösung” geben konnte: Sein Selbstbild als der Führer mit der harten Hand, der mit den Guerillabewegungen aufgeräumt hat, ist sein größtes politisches Gewicht, daß er in die Waagschale zu werfen hat. Den ausländischen Investoren mußte mit einer Demonstration der Stärke gezeigt werden, daß ihre Projekte nicht durch Unruhe im Land gefährdet sind. Und dann war da noch der Druck von seiten der Armee und der Geheimdienste, auf die sich Fujimoris Macht mehr stützt als auf die demokratischen Institutionen. Diese, im öffentlichen Ansehen wegen Affären um Kokainschmuggel in Armeeflugzeugen, Bombenanschlägen und Entführungen Oppositioneller arg gebeutelt, brauchten einen imageförderlichen “Erfolg”.
Einer frühen militärischen Aktion stand allerdings Japan entgegen, das den Einsatz “fremder” Sicherheitskräfte auf seinem Territorium in Lima zunächst untersagte und auf Unterhandlungen drängte. Entscheidend für Fujimori, seinen Plan dennoch durchzuführen und dabei Japan zu brüskieren, war wohl die Unterstützung der USA, die den Präzedenzfall Diplomatengeiselnahme keinesfalls als Beispiel zur Nachahmung dulden wollten. Nur so konnte Fujimori es sich leisten, mit der Erstürmung einer Botschaft ohne Zustimmung internationales Recht zu brechen und seine vor der Weltöffentlichkeit abgegebene Garantieerklärung (“Es wird eine friedliche Lösung und kein Blutvergießen geben”) in den Wind zu schreiben. Die Verhandlungen der Vermittlungskommission um Bischof Cipriani degradierte er damit beinah zur Farce, und als Cipriani, der bislang als regierungsloyaler, konservativer Kirchenmann galt, nach der Militäraktion vor die Fernsehkameras treten mußte, weinte er wohl nicht nur aus Trauer um die 17 Toten, sondern auch aus Enttäuschung, von Fujimori als Werkzeug für dessen Hinhaltetaktik benutzt worden zu sein.
In Peru selbst ist die Zustimmung zu Fujimoris Angriff eher verhalten, in die Freude einerseits, daß fast alle Geiseln unverletzt freikamen, mischt sich die Trauer um die Toten und die Angst vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Nichts fürchten die Peruaner mehr als einen neuen Bürgerkrieg. In Zeitungsumfragen hatte sich mehr als die Hälfte der Peruaner für Verhandlungen mit dem MRTA-Kommando in der Botschaft und für eine friedliche Lösung ausgesprochen; und obwohl es zudem in der Bevölkerung eine Basis gibt für einen nationalen Ausgleich mit Reintegration der bewaffneten Gruppen in das zivile Leben, setzt Fujimori jedoch weiterhin auf die Karte der staatlichen Repression. Führende Oppositionspolitiker, wie der Abgeordnete César Rodriguez Rabanal, fürchten eine weitere Entmündigung demokratischer Kräfte im Rahmen einer intensivierten “Terrorismusbekämpfung”.
Derweil ist noch unklar, welche Rolle die MRTA in Zukunft spielen wird. Die Guerilleros demonstrieren ihre Kampfkraft derzeit nur auf den Seiten ihrer Internet-Homepage, Vergeltungsanschläge blieben bisher aus. Es stellt sich die Frage, ob das blutige Ende des Kommandos Edgar Sanchez der MRTA neuen Zulauf bringt, oder ob eher Fujimori ein Zeichen gesetzt hat auch für andere Länder der Region, die Konsensbestrebungen mit den Guerillabewegungen aufzugeben.
Für Peru scheint die Zeit des bewaffneten Aufstandes vorerst vorbei zu sein: Nicht etwa, weil es keine soziale Ungerechtigkeit mehr gäbe -ganz im Gegenteil-, sondern weil die Peruaner einen Rückfall in die Bürgerkriegszeiten der achtziger Jahre fürchten.