N.N. – Den Verschwundenen eine Stimme!
Ein Dokumentarfilm eines Kolumbianers im deutschen Exil
Die Vereinigung der Familienangehörigen von Verhafteten und Verschwundenen (ASFADDES) erwirkte im Kampf für Gerechtigkeit die Verurteilung mehrerer Angehöriger von Polizei und Militär. Kolumbianische Gerichte enthoben 1995 den General Alvaro Velandia Hurtado seines Amtes. Ebenfalls wurde der Chef der staatlichen Sicherheitsbehörde DAS für das Verschwindenlassen von fünf Personen im Jahre 1995 zu 50 Jahren Haft verurteilt. Das Thema der Verschwundenen war lange ein Tabuthema. Doch durch die Arbeit von ASFADDES gelang es, die Schicksale der Verschwundenen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, und mittlerweile haben Gerichte in Kolumbien mehr als sechzig Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte verurteilt.
Keine Zeugen, keine Leichen
Der Weg zu diesen Erfolgen war schwierig, denn das Verschwindenlassen von Personen ist ein perfektes Verbrechen. Es bleiben weder Spuren, noch Beweise. Keine Zeugen, keine Leichen und demzufolge auch keine Täter. Die Geschichte der Verschwundenen wird ausgelöscht, und ihre Angehörigen erfahren meistens nichts über das Schicksal ihres Verbleibes.
Das Wort “verschwinden“ existiert im deutschen Sprachgebrauch nur im Aktiv. Jemand kann verschwinden, aber niemand “wird verschwunden“. Die deutsche Formulierung “jemand verschwindet“ schließt nicht mit ein, dass Personen auch gewaltsam verschleppt werden. Anders als im Spanischen, wo das Wort sowohl im Aktiv als auch im Passiv gebräuchlich ist.
Mit dem Film „N.N.— Den Verschwundenen eine Stimme!“ sollen die zum Schweigen gebrachten politischen AktivistInnen durch ihre Angehörigen zu Wort kommen. Vor der Kamera stehen Mitglieder der Vereinigung der Familienangehörigen von Verhafteten und Verschwundenen (ASFADDES), die 1982 gegründet wurde, nachdem zwölf StudentInnen der Universidad Nacional in Bogotá verschwunden sind. Als Angehörige suchten sie zunächst jeder für sich verzweifelt nach den Verschwundenen. Sie lernten sich bald kennen und begannen ihre ersten Versammlungen im Zentrum für Sozialforschung und Volksbildung (CINEP) in Bogotá durchzuführen. ASFADDES wuchs mit zunehmender Anzahl von verschwundenen Menschen zu einer Organisation, die mittlerweile vierzehn Sektionen in verschiedenen Teilen Kolumbiens umfasst.
Die Arbeit von ASFADDES ist in vier Bereiche aufgeteilt. Der Erste beschäftigt sich mit den Anklagen vor nationalen, strafrechtlichen, disziplinarischen und administrativen Behörden in Kolumbien. Bei neuen Fällen von Verschwundenen werden aus diesem Bereich heraus Eilaktionen organisiert. Ein weiteres Arbeitsgebiet sind die öffentlichen Anklagen bei zwischenstaatlichen Organisationen wie den Vereinten Nationen oder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Außerdem werden die Angehörigen von Verschwundenen bei ihrer Suche nach Beweisen und Zeugen unterstützt, Informationen werden hier dokumentiert. Als letztes widmet ASFADDES den Kindern von Verschwundenen besondere Aufmerksamkeit und organisiert ihre psychologische Betreuung. Die gesamte Dynamik des Konfliktes lastet auf den Kindern, aber es ist schwer, ihnen die Vorgänge zu erklären.
Seit ihrer Gründung setzte sich ASFADDES für ein Gesetz ein, in dem das Verschwindenlassen von Personen als Straftatbestand verankert wird. Schon 1988 gab die kolumbianischen Regierung die Zustimmung an die UNO-Arbeitsgruppe über gewaltsames Verschwindenlassen, ein solches Gesetz auszuarbeiten. Sieben Versuche wurden bereits unternommen, von denen einige auch durch den Kongress verabschiedet wurden, letztlich jedoch an der fehlenden Zustimmung des Präsidenten scheiterten. Im Jahr 2000 gelang es schließlich, das Verschwindenlassen von Personen juristisch strafbar zu machen.
Es gibt aber auch immer wieder harte Rückschläge. Verschiedene Sektionen mussten auf Grund von Einschüchterungen und Drohungen zeitweise geschlossen werden und im Oktober 2000 verschwanden in Medellín sogarzwei Mitglieder von ASFADDES. Claudia Patricia Monsalve Pulgarín und Àngel José Quintero Meza waren Familienangehörige von Verschwundenen und wollten beweisen, dass die Militärs verantwortlich für das Verschwinden ihrer Angehörigen sind. Jetzt sind sie selbst verschwunden, und hier scheint sich deutlich zu zeigen, wer die Verantwortung für ihr Verschwinden trägt. Die beiden wurden aus dem Weg geräumt, damit sie ihre Suche und ihre Anklagen nicht fortsetzen können.
Verschiedene Mitglieder von ASFADDES sahen sich auf Grund der massiven Bedrohungen gegen sie gezwungen, ins Exil zu gehen. So auch der Regisseur des Filmes „N.N.—Den Verschwundenen eine Stimme!“, Erick Arellana Bautista, der sich seit drei Jahren in Deutschland aufhält. Er drehte diesen Film als Exilant, mit dem Anspruch, Menschen in Deutschland über einen wichtigen Teil politischer Arbeit in Kolumbien zu informieren und gleichzeitig den Betroffenen in Kolumbien zu zeigen, dass sie in ihrem politischen Kampf nicht alleine sind. Von Deutschland aus stellt er weiterhin die Forderung „Gebt sie uns lebend zurück, denn lebend habt ihr sie uns genommen!“
„N.N.- Den Verschwundenen eine Stimme!“, ein Film von Erick Arellana Bautista und Pedro Campoy, 2001, DV, 53 min. Spanisch mit deutschen Untertiteln.
Die Filmautoren stehen für Veranstaltungen zur Verfügung.
Gruppe ISKA, Lausitzerstr. 10, 10999 Berlin,
Fon 030 6932203, Fax 6111583, Mail arellana@yahoo.com
KASTEN
Zur Person: Erick Arellana Bautista
Erick Arellana Bautista ist Mitglied der Vereinigung der Familienangehörigen von Verhafteten und Verschwundenen (ASFADDES) in Kolumbien. Er lebt im Exil in Deutschland, da sein Leben im Heimatland bedroht wurde. Für seinen Film, den er mit der Gruppe ISKA (Internationale Solidarität und Kulturaustausch) drehte, kehrte er mit persönlichem Begleitschutz nach Kolumbien zurück und brachte verschiedene Mitglieder von ASFADDES vor die Kamera.