Nach der Wahl und vor der Wahl
Fujimori spielt mit der Macht
Die Mitte Oktober abgehalteen peruanischen Kommunalwahlen überraschten weder im Verlauf noch im Ergebnis. Die Wahlplattform „Vamos Vecinos“ – ein notdürftig mit dem Etikett der Unabhängigkeit bemänteltes Vehikel des Fujimorismo auf kommunaler Ebene – ging in immerhin 73 der 186 Provinzen als Sieger hervor. Erfolgreich waren auch die tatsächlich Unabhängigen, während die traditionellen Parteien hingegen nach wie vor auf Kommunalebene kaum vertreten sind. Nachdem Regierung und Parlament in den letzten Jahren eine aggressive Zentralisierung durchgesetzt haben, sind den regionalen und kommunalen Selbstverwaltungen kaum noch eigene Ressourcen und Zuständigkeiten verblieben, so daß das Regime auch bisher oppositionell geführte Provinzen und Distrikte an sich nehmen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache zu relativieren, daß der Wahlprozeß selbst im Großen und Ganzen fair verlief. Wenn auch nicht von systematischem Wahlbetrug gesprochen werden kann, kam es gleichwohl im Vorfeld der Wahlen zu Unregelmäßigkeiten und Einschüchterungsversuchen gegenüber oppositionellen KandidatInnen.
In Lima gelang es dem amtierenden Bürgermeister Alberto Andrade, sich klar gegen den Regierungskandidaten zu behaupten. Andrades Gruppierung „Somos Perú“ konnte sich zwar in den Provinzen nicht durchsetzen, er selbst liegt jedoch weiterhin vor Fujimori in der Gunst der Wähler für etwaige Präsidentschaftswahlen. Doch für die im Jahr 2000 anstehenden Wahlen muß angenommen werden, daß Regierung und Parlamentsmehrheit, die auch bisher vor kaum einem Rechtsbruch zurückschreckten, ihre Manipulationen noch potenzieren werden.
Am 24. Oktober wurde Iquitos, die Haupstadt der Grenzregion Loreto, von Krawallen erschüttert, bei denen über ein Dutzend öffentliche Gebäude in Brand gesetzt wurden und sechs Menschen im Laufe des Polizeieinsatzes starben. Der Protest richtete sich gegen die Regierung, nicht jedoch, wie zu vermuten wäre, gegen die autoritären und repressiven Elemente des fujimoristischen Regimes oder dessen Wirtschaftspolitik, sondern gegen die am Vortag von Fujimori in Brasilia unterzeichneten Vereinbarungen mit Ecuador, die als Schritt zur Sicherung der Stabilität und des Friedens in der Region auf sehr positives internationales Echo gestoßen waren.
Gewalttätige Proteste – gegen den Frieden
Bei weiten Teilen der peruanischen Bevölkerung stieß das Ergebnis des Kompromisse jedoch auf Unmut, einige Oppositionspolitiker nutzten den Aufwind und redeten in irrational-chauvinistischer Rhetorik gar von einer nationalen Schande. Dabei kamen die substantiellen Konzessionen zur Erlangung der Übereinkunft allein von Ecuador, die Zugeständnisse von peruanischer Seite sind dagegen minimal und eher symbolischer Natur. Dahinter steht wohl eher das Kalkül, den in seiner Popularität ohnehin stark angeschlagenen Fujimori zu diskreditieren und sich im Gegenzug als wahre Verteidiger der nationalen Interessen zu profilieren.
Bereits vor dem Friedensschluß mit Ecuador war Peru zuletzt blitzlichtartig in die internationalen Schlagzeilen geraten, als am 30. September eine Demonstration in Lima in gewalttätigen Ausschreitungen gipfelte, bei denen einige Demonstranten in den Vorhof des Regierungspalastes eindrangen und dort Schäden verursachten.
Der Weg zur Wiederwahl ist frei
Diese beispiellose Situation – der Amtssitz des Präsidenten wird sonst immer durch ein beeindruckendes Aufgebot von Polizei und Armee gesichert – wurde erst durch ein verdächtig langes Abwarten der Sicherheitskräfte ermöglicht. Hinweise auf infiltrierte Geheimdienst-Mitarbeiter, die die Menge zur Gewaltanwendung aufgestachelt hätten, lassen vermuten, daß die Vorfälle inszeniert wurden. Sollte hiermit bezweckt worden sein, die Opposition zu diskreditieren oder zumindest die breite Bevölkerung von der Teilnahme an weiteren Protesten abzuhalten, so scheint dies jedoch nur sehr bedingt erreicht worden zu sein.
Auslöser für die von Gewerkschaften und studentischen Organisationen angeführte Demonstration, deren Teilnehmerzahl auf einige wenige Tausend begrenzt blieb, war das definitive Scheitern des Referendums gegen Fujimoris nochmalige Kandidatur im Jahr 2000, zu dessen Durchführung die Opposition in einem Volksbegehren anderthalb Millionen Unterschriften gesammelt hatte. Um den Weg Fujimoris zu einer dritten Präsidentschaft zu ebnen, hatte die fujimoristische Parlamentsmehrheit zunächst ein verfassungswidriges Gesetz erlassen, dann die Verfassungsrichter, die gegen dieses votiert hatten, abgesetzt und schließlich mittels der „Justizreform“ (vgl. LN 285) indirekt die Besetzung des noch vor wenigen Monaten mehrheitlich unabhängigen Jurado Nacional de Elecciones (oberste Instanz in wahlrechtlichen Fragen) so in den Griff bekommen, daß dieser einem weiteren verfassungswidrigen Gesetz stattgab: Die Durchführung eines Referendums ist ab sofort von der Entscheidung des Parlaments abhängig.
Und dieses brachte am 27. August das Volksbegehren endgültig zu Fall. Nicht ohne Grund: Meinungsumfragen im August und September hatten wiederholt 70 Prozent Ablehnung gegen eine Wiederwahl Fujimoris ergeben, womit die Regierung Anlaß genug hatte, das Referendum zu vermeiden.
Ein Premier als pseudodemokratische Posse
Der Opposition sind somit so gut wie alle rechtlichen Schritte und Instanzen verwehrt, um eine nochmalige Kandidatur Fujimoris zu verhindern. Das einzig ihr verbliebene Mittel, die Mobilisierung der Bevölkerung, gestaltet sich jedoch ebenfalls schwierig. Schon ohne die schmutzigen Tricks, wie sie die Regierung beispielsweise bei der Demonstration am 30. September einsetzte, ist die Mehrheit der Bevölkerung noch nicht dazu zu bewegen, sich Protestaktionen anzuschließen.
Auch die überraschende Ernennung Javier Valle Riestras zum Premierminister im vergangenen Juni, die kurzzeitig Spekulationen über eine mögliche Demokratisierung des Regimes auslöste, entpuppte sich als Posse ohne größeren Nachhall auf die politische Entwicklung.
Der Anwalt und Verfassungsrechtler Valle Riestra hatte sich in den 80er Jahren als Verfechter der Menschenrechte einen Namen gemacht und auch noch nach dem Selbstputsch Fujimoris gegen den Autoritarismus Stellung bezogen. In den letzten zwei Jahren war er jedoch punktuell in suspekte Nähe zum Regime gerückt. So stützte er beispielsweise die pseudo-legale Argumentation der Regierung, mit der diese im Juli letzten Jahres den regierungskritischen Sender Frecuencia Latina (vgl. LN 279/280) zum Schweigen gebracht hatte.
Bei seiner Antrittsrede für das Premierministeramt gab sich Valle Riestra zwar betont demokratisch. Er forderte die fujimoristische Kongreßmehrheit auf, wieder in den rechtsstaatlichen Rahmen zurückzukehren und die eklatant verfassungswidrige Gesetzgebung der letzten Jahre, insbesondere das Wiederwahlgesetz, rückgängig zu machen. Die fujimoristische Fraktion ließ sich freilich nicht von ihrem autoritären Kurs abbringen; Denn das Amt des Premierministers war ohnehin nie mit effektiver Gestaltungsmacht verbunden und ohne Rückendeckung des Präsidenten – der ihn immerhin ernannt hatte – oder weiterer Kabinettsmitglieder, sah er sich gezwungen, am 7. August, nach nur 54 Tagen im Amt, zurückzutreten.