Musik | Nummer 502 - April 2016

NACH VORNE ZU DEN WURZELN

Sidestepper greifen auf Supernatural Love tief in die Instrumentenkiste und ziehen ein sehr entspanntes Album heraus

Man tritt Sidestepper bestimmt nicht zu nahe, wenn man sie als Dinosaurier des Electro-Cumbia bezeichnet. Schon 1996 entschloss sich der Londoner DJ und Produzent Richard Blair, elektronische Beats mit kolumbianischen Rhythmen zu kombinieren. Heute gilt die Band als eine der Vorreiterinnen des Electro-Cumbia, ihr Einfluss auf die kolumbianische Musikszene wird von Gruppen wie Bomba Estereo und Choc Quib Town immer wieder hervorgehoben. Die Single „Más Papaya“ dürfte wohl den meisten, die Anfang des letzten Jahrzehnts zu Latino-Beats getanzt haben, ein Begriff sein.

Dominik Zimmer

In den letzten Jahren wurde es ziemlich ruhig um Sidestepper. Nach dem letzten Album ließ man ein rundes Jahrzehnt verstreichen. Umso schöner, dass die Band sich nun zum 20-jährigen Bestehen mit frischem Material zurückmeldet. Auf den Sound durfte man sehr gespannt sein – in zehn Jahren kann eine Fanbase von Clubgänger*innen zu Vorstadtfamilien mutieren, ein damals noch lässiger Beat zum langweiligen Abklatsch. Doch die Besorgnis ist unbegründet: Sidestepper bleiben ihren Wurzeln, die vom Dub ausgehend tief in die afrokolumbianische Musik reichen, treu. Dadurch, dass sie diese auf Supernatural Love aber so tief ausgraben, gibt es auch jede Menge Neues zu entdecken.
Das heißt: Weniger Elektronik, mehr analoge Instrumente. Gitarre, Kalimba, Mundharmonika und vor allem eine Menge Flöten und Percussioninstrumente haben ihren Weg auf Supernatural Love gefunden und dürfen häufig ganz ohne synthetische Unterstützung loslegen. In Verbindung mit traditionell anmutenden Call-und-Response-Gesängen („Fuego que te llama“, „Magangue“) klingt das Ergebnis statt nach Club eher nach lateinamerikanischem Dorfplatz – aber auch dort lässt sich ja eine zünftige Fiesta abhalten.
Ganz haben Blair & Co dem urbanen Leben jedoch noch nicht abgeschworen. „On the line“ beispielsweise überzeugt mit dem von Sidestepper gewohnten, etwas hektischen Rhythmus, der mal von Vocals, mal von gezupften Gitarren sein Leben eingehaucht bekommt. Mehr als die durchaus vorhandenen tanzbaren Vibes durchzieht eine relaxte, hippieske Stimmung das Album, die vom Titel vorgeschrieben und dann von fast allen Tracks und Lyrics („Supernatural love“, „Hear the rain come“) transportiert wird. Auch „Celestial“ oder „Song for the Sinner“ lassen das Tanzbein fast komplett ruhen, was überraschend gut tut. Das unbestrittene Highlight ist dennoch die Singleauskopplung „Come see us play“, die mit Flöten und Percussions beginnt. Getragen von einem subtilen Beat und vor allem der fantastischen Stimme von Érika Muñoz, wächst der Track schnell zu einem extrem vielschichtigen Gute-Laune-Spender, bei dem es schwer fällt, still sitzen zu bleiben.
Supernatural Love könnte für den Sommer zu einem fröhlichen, unaufdringlichen Begleiter für Autoradios und Grillpartys oder beim entspannten Abhängen am Strand werden. Auf der Jagd nach neuen Club-Hymnen muss man wohl noch auf die Remixes warten. Wer aber nichts dagegen hat, die harten Beats ab und zu gegen Congas und Dub einzutauschen, wird große Freude an diesem Album haben. Auf jeden Fall lohnt es sich, die oft komplexen Tracks mehr als nur einmal anzuhören, denn bei vielen zeigt sich die Schönheit erst nach etwas Gewöhnung, dann aber dafür umso intensiver im Gehörgang.

Sidestepper // Supernatural Love // Real World Records // London 2016

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