Bewegung | Nummer 387/388 - Sept./Okt. 2006

Nachbarschaftsvereinigung gegen Gemeinderat

In venezolanischen Nationalparks stellt sich die Frage: Wer partizipiert?

Venezuela ist Vorreiter beim Naturschutz in Nationalparks. Und bei der Partizipation. Schon vor der bolivarianischen Revolution unter Hugo Chávez gab es Projekte zur Beteiligung der BewohnerInnen an Planung und Verwaltung in den Naturschutzgebieten. Weil diese auf alten Machtstrukturen errichtet sind, geraten sie durch die institutionellen Umstrukturierungen der Regierung Chavez ins Stocken.

Till Below

Partizipation ist ein Modewort in Venezuela. Laut Verfassung ist die Demokratie partizipativ-protagonistisch. Seit Ende der 90er Jahre wird mit partizipatorischen Ansätzen auf Gemeindeebene experimentiert. Und im April diesen Jahres wurde mit dem Ley Orgánica de Participación Ciudadana y Poder Popular ein weiteres Gesetz zur Stärkung von Teilhabeprozessen erlassen.
Die Erfahrungen mit partizipativen Planungsansätzen sind in Venezuela allerdings älter als die Regierung Chávez. Seit knapp 15 Jahren werden in den venezolanischen Nationalparks partizipative Verfahren im Umgang mit den lokalen Interessengruppen ausprobiert. Nicht immer sind sie erfolgreich. Im Nationalpark Avila scheiterte ein Partizipationsplan am Streit zwischen traditionellen Nachbarschaftsorganisationen und bolivarianischen Gemeinderäten.

Partizipation in Nationalparks

In Venezuela bedecken 64 Nationalparks und Naturmonumente 15 Prozent der Landesfläche – ein Spitzenwert, der die Forderungen internationaler Umweltabkommen bereits seit langem erfüllt.
Der Ölstaat an der Karibikküste rangiert unter den zehn Ländern mit der höchsten Biodiversität weltweit. Bereits 1937 wurde mit dem Parque Nacional Henri Pittier der erste Nationalpark des Landes gegründet. Der zeitgleich einsetzende Ölboom führte zu einer starken Landflucht, und Präsidenten wie der zwielichtige Sozialdemokrat Carlos Andres Perez nutzten Öl-Einnahmen für große Investitionen im Naturschutz.
Die großen Erfolge im Naturschutz der letzten Jahrzehnte haben allerdings auch ihre Kehrseite. In vielen Parks entstand bald die widersprüchliche Situation, dass die ansässige Bevölkerung zwar langfristig weichen sollte, aber nicht genug Geld und politischer Wille zur Verfügung standen, um eine Entschädigung und Umsiedlung vorzunehmen. Daher wurden die SiedlerInnen nur geduldet und oft regelrecht schikaniert. Diese Situation führte in den Parks zwischen karibischer Küste, Anden und Amazonastiefland zu andauernden Konflikten.
Weltweit galt eine Besiedlung von Nationalparks lange als undenkbar. Nach der ursprünglichen Definition dieser Schutzgebietskategorie sind Nationalparks große Gebiete frei von Besiedelung. Aber einen solchen Schutzansatz, der sich auf die Formel „Zäune und Bußgelder“ bringen lässt, vertreten heute nur noch einige ÖkologInnen der alten Garde. Seit dem Umweltgipfel in Rio 1992 verbindet die Umweltschutzbewegung zunehmend den Schutz und die Nutzung der Biodiversität miteinander. Für Naturschutzgebiete aller Art bedeutet das, dass Besiedelung zunehmend akzeptiert wird. Außerdem führte der neue Trend dazu, dass in den Schutzgebieten partizipative Planungsstrategien etabliert wurden. Auch bei dieser Entwicklung hatte Venezuela eine Vorreiterrolle inne. Schon vor der Weltkonferenz in Rio wurden auf dem Weltparkkongress in Caracas partizipative Ansätze im Management von Nationalparks diskutiert. Kurze Zeit später wurde die neuen Verfahren in verschiedenen venezolanischen Nationalparks ausprobiert. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sind insgesamt recht unterschiedlich. Im berühmten Canaima Nationalpark kooperiert man erfolgreich mit den lokalen indigenen Gemeinden, die über traditionelle Regelungen zur Entscheidungsfindung verfügen.

Konfliktfall El Avila

Am Beispiel des Avila Nationalparks, den die TeilnehmerInnen bei jedem Blick aus dem Fenster ihres Konferenzzentrums vor Augen hatten, zeigen sich jedoch Schwierigkeiten, die der neue Ansatz hervorrufen kann.
Der Avila ist ein Gebirgszug, der sich zwischen der Millionenmetropole Caracas und der Karibikküste erstreckt. Nach ihm heißt der etwa 85.000 Hektar große Nationalpark. Das in dem Massiv gelegene Hochtal von Galipán ist seit dem 18. Jahrhundert von SiedlerInnen bewohnt, die ursprünglich von den kanarischen Inseln kamen. Als der Nationalpark im Jahr 1958 eingerichtet wurde, hatte man die verstreut lebenden Bauernfamilien dort zunächst wenig beachtet. Später gab es dann viele Konflikte zwischen der Parkverwaltung und den SiedlerInnen, die sich weigerten, ihr Zuhause aufzugeben. Meistens ging es bei den Streits um den Bau oder die Erweiterung von Häusern. Erst Mitte der 1990er Jahre konnte ein Teil der Streitigkeiten beigelegt werden. Damals wurde ein Gesetz erlassen, welches – ganz im Geiste des neuen Biodiversitätsparadigmas – die Bauern und Bäuerinnen erstmalig als ursprüngliche SiedlerInnen mit einem Bleiberecht anerkannte.
Seither bemühten sich sowohl die Parkverwaltung als auch die SiedlerInnen, die Nutzung des Gebiets gemeinsam so zu organisieren, dass sowohl der Naturschutz als auch die Lebensqualität der Galipaner@s ausreichend berücksichtigt werden. Seit vor zwei Jahren ein weltbankgefördertes Partizipationsprojekt gescheitert ist, hat sich allerdings Resignation breit gemacht – bei den SiedlerInnen im Hochtal ebenso wie beim Wachpersonal am Parkeingang.

Resignation in Galipán

Das Ziel dieses gescheiterten Projekts war ein detaillierter Flächennutzungsplan für das 1.700 Hektar große Gebiet, in dem 400 Familien wohnen. Der Plan sollte unter anderem Bebauungsgrenzen, Auflagen für Wohnhäuser, Gaststätten und Pensionen enthalten. Außerdem sollten das Wegenetz und die Wasser- und Abwasserversorgung neu geregelt werden. Eine staatliche Universität war mit der Durchführung des Projekts beauftragt. Die dringende Notwendigkeit für einen solchen Plan wurde deutlich, als bei einem Erdrutsch in dem geologisch instabilen Gebiet 17 Menschen ums Leben gekommen waren. Sowohl Siedler Innen als auch die Verwaltung betonten, es habe in beiden Reihen eine breite Zustimmung für den Planungsprozess gegeben. Für dessen Scheitern weisen sie sich nun gegenseitig die Schuld zu.
Ein Grund für das Scheitern vieler Partizipationsprojekte ist, dass alle Beteiligten – von betroffenen BewohnerInnen bis zur BeraterIn – häufig nur einen sehr diffusen Begriff davon haben, was Partizipation überhaupt bedeutet. Die entscheidenden Fragen, die es zu beantworten gilt, sind: Wer partizipiert? Wie weit geht die Teilhabe und in welcher Form findet der Partizipationsprozess statt? Was ist der Zweck der Partizipation? Im Fall von El Avila und Galipán lohnt es sich besonders, diese Fragen zu stellen, um Gründe für den Misserfolg zu finden.

Wer Partizipiert?

Ein zentrales Problem bestand in Galipán darin, dass die beauftragten WissenschaftlerInnen am Anfang nur mit einem Teil der Bevölkerung zusammen arbeiteten. Zwar traten die Galipaner@s gegenüber der Parkverwaltung oft als geschlossene Gruppe auf, nach innen gab es jedoch zahlreiche Differenzen. Für das Partizipationsprojekt besonders hinderlich war die Rivalität zwischen der Nachbarschaftsvereinigung und dem bolivarianischen Gemeinderat, dem Consejo Comunitario de Planificación. Im Rahmen des Partizipationsprojektes kooperierte die Universität bevorzugt mit lokalen Kaziken von den Nachbarschaftsvereinigungen, die lange Zeit die lokale Politik bestimmt haben.
Im bolivarianischen Venezuela haben sie jedoch an Einfluss verloren, seit mit dem Gemeinderat auf gleicher Ebene eine neue Institution geschaffen wurde. Dementsprechend sind sie offenbar auch im öffentlichen Ansehen gesunken. „Die Leute sind nicht zu den Treffen erschienen, weil die Einladung von der Nachbarschaftsvereinigung kam“, erklärt Carlos González, ein Galipanero, der als gewähltes Mitglied in einem unter Chávez neu geschaffenen Gemeinderat, dem Consejo Comunitario de Planificación, sitzt.
Die Gräben zwischen den NachbarInnen haben sich in den letzten Jahren immer weiter vertieft, berichten andere SiedlerInnen. Hauptkonflikte waren dabei der illegale Verkauf von Bauland an reiche Hauptstadtbewohner Innen und die Konkurrenz um öffentliche Gelder für die regionale Wirtschaftsförderung. Eine gleichberechtigte, unverzerrte Willensbildung war in diesem Klima nicht möglich.
„Wir haben das Projekt gestoppt, weil der Consejo Comunitario an den Planungen nicht beteiligt wurde“, erklärt Andrés Marín, ein alter Rivale des Nachbarschaftspräsidenten Roberto Pérez. Früher war er selbst Funktionär bei den Sozialdemokraten, doch jetzt gibt sich Marín als überzeugter Chavist: „Die neue Regierung hilft den Armen, deshalb haben wir sie gewählt.“ Maríns Familie hat einen großen Kredit zum Aufbau einer Tourismuskooperative vom Staat erhalten, doch selbst überzeugte Chavisten wie die örtliche Schulleiterin kritisieren, dass das Geld anders besser verwandt worden wäre.

Die Behörde fürchtet sich

In der Presse und in der Verwaltung schlug der Konflikt um Galipán so hohe Wellen, dass ein Abteilungsleiter sowie ein weiterer Mitarbeiter der Nationalparkbehörde INPARQUES ihren Job verloren. Dort traut man sich seitdem nicht mehr, den Partizipationsprozess fortzuführen. Für José Delgado, den Leiter des Parks, ist die Situation in Galipán ein delikates Problem, das mit Samthandschuhen angefasst werden muss: „Die Initiative muss jetzt von den Siedlern ausgehen, denn INPARQUES ist jetzt so verschreckt, als wäre es von einer Schlange gebissen worden. Um nichts in der Welt wird INPARQUES das Thema noch einmal anfassen, bis die Siedler selbst danach verlangen.“
Was fehlt seien nicht einige zusätzliche Workshops sondern ein kontinuierlicher Prozess, bei dem die SiedlerInnen selbst in Arbeitsgruppen Lösungen für die wichtigsten Probleme suchen können, meint ein Galipanero, der anonym bleiben möchte. Er kritisiert, dass die WissenschaftlerInnen von der Universität nur ihr Honorar im Auge und daher wenig Interesse an einer wirklichen Umsetzung des Plans gehabt hätten. Die Entwürfe für den Flächennutzungsplan seien zudem nicht sorgfältig und exakt gewesen, hört man von verschiedenen Seiten. Ob sich die SiedlerInnen von Galipán bei all den Rivalitäten irgendwann zusammenraufen, ist mehr als ungewiss.
Partizipation ist gerade deshalb ein so komplexer Prozess, weil bestehende lokale Machtverhältnisse nie unberührt davon bleiben. Eines zeigt das Beispiel von Galipán jedenfalls deutlich: Um soziale Ungleichheiten und Machtstrukturen abzubauen statt diese noch zu verstärken, ist ein politischer Einsatz notwendig, der über den üblichen Projektzyklus hinaus reicht.

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