Nebenaußenpolitik mit Hauptabsichten
Zur Affäre Schmidbauer/Mauss/Kolumbien
In der Nacht vom zwölften auf den dreizehnten Dezember 1996 kam es im Parlament in Bogotá zu einer denkbar knappen Abstimmung in Sachen” Kampf gegen die Narco-Mafia”: Mit 59 zu 57 Stimmen wurde die Gesetzesvorlage der Regierung verabschiedet. So widersprüchlich wie die Regierung von Staatspräsident Ernesto Samper ist, dem nicht nur von der US-Regierung vorgeworfen wird “das Bett mit der Drogenmafia zu teilen” (US-Senator Jesse Helms), so widersprüchlich ist das Gesetz selbst: Es ermöglicht einerseits die Auslieferung von Drogenbossen an die USA, “das einzige”, so der Korrespondent der “Frankfurter Rundschau”, Ulrich Achermann, “was die Größen im kolumbianischen Kokaingeschäft wirklich fürchten”.(1) Gleichzeitig sieht es die Möglichkeit der Vermögensbeschlagnahmung bei Drogenbaronen vor, allerdings nur von solchem, das seit 1991 angehäuft wurde. Die bisher geltenden gesetzlichen Regelungen, die auch die Beschlagnahme von in den achtziger Jahren angehäuften Vermögen ermöglichten, wurden aufgehoben. So bleibt unter anderem das Drei-Milliarden Dollar Erbe des Drogenbosses Pablo Escobar verschont.
Verwundern kann die Widersprüchlichkeit des Gesetzes und die knappe Abstimmung indes kaum. Wurde doch im Hochsicherheitsgefängnis von Bogotá in der Zelle der Gebrüder Rodriguez Orejuela, den Bossen des Cali-Kartells, eine lange Liste mit den Namen von Abgeordneten gefunden. Jede einzelne Parlamentarier-Stimme soll ihnen 25.000 US-Dollar wert gewesen sein.
Dieses Gesetz wäre vermutlich noch günstiger für die Drogen-Bosse ausgefallen, wenn nicht wenige Wochen vorher eine deutsche Nebenaußenpolitik in Kolumbien in einem “Scherbenhaufen” (Norbert Gansel) geendet hätte. Wieder einmal wollte die Bundesregierung die aufsteigende Weltmacht spielen. Der Berg kreißte und gebar die sprichwörtliche Maus(s). Und die sitzt nun selbst im Hochsicherheitsgefängnis in Kolumbien mit denjenigen Drogen-Baronen ein, denen sie freies Geleit und eine Legalisierung ihrer Vermögen ermöglichen wollte.
Umrisse der Bonner Nebenaußenpolitik
Fünf Mosaiksteine charakterisieren das Bild der Bonner Nebenaußenpolitik in Kolumbien – also einer geheimen, über die offizielle Bonner Politik hinausgehenden Version.
Erstens: Seit etwa 1984 ist die Bundesrepublik in Kolumbien mit einer Nebenaußenpolitik präsent. Von Anbeginn wurde sie durch den “Privatagenten Mauss” personifiziert. Dieser war mindestens bis Ende der siebziger Jahre mit offiziellem Auftrag deutscher geheimer Dienste aktiv. Unter anderem war es Klaus Kinkel als Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), der diesen zwielichtigen Undercover-Agenten für den Pullacher Dienst verpflichtete. Im Dezember 1996 mußte der BND anläßlich der Verhaftung von Mauss in Kolumbien zugeben, daß dieser seit 1984 in Kolumbien aktiv war und daß diese Aktivitäten von der Bundesregierung – so Schmidbauer in der Parlamentsdebatte – “positiv begleitet” wurden. Dadurch werden andere Aktivitäten von Mauss in diesem Zeitraum in ein völlig neues Licht – und in Regierungsnähe gerückt. (2) Darauf wird zurückzukommen sein.
Der entscheidende Hebel, mit dem diese Nebenaußenpolitik umgesetzt wurde, war der Einstieg in die “Entführungsindustrie”. Mit dieser Branche sind viel Geld und somit Einflußmöglichkeiten verbunden. Da es sich hier allerdings um einen illegalen Wirtschaftszweig handelt, lag der Einsatz eines Privatagenten nahe, von dem die Bundesregierung gegebenenfalls hätte sagen können, sie wisse nichts von dessen Handeln.
Der Einstieg in die Entführungsbranche öffnete zugleich den Zugang zur Guerilla. Mauss scheint bereits damals das besondere Spiel getrieben zu haben, mit dem er auch im Sommer 1996 im Fall von Frau Schoene, der Ehefrau eines BASF-Managers, die Lösegeldforderungen steigerte. Der Guerilla verhalf er so zu besonders hohem Gewinn und sich zu einer verbesserten Verhandlungsposition.
Der SPIEGEL berichtete über einen solchen Deal Ende der achtziger Jahre:
“Der Mannesmann Konzern wollte damals eine 700 Kilometer-Pipeline von den kolumbianischen Ölfeldern an die Karibik-Küste verlegen – mitten durch das Guerilla-Gebiet. Die Rebellen der ELN drohten mit Sabotage und Entführungen. Der damalige Projektleiter erinnert sich heute voller Verachtung an den Helfer Mauss. Der habe Räuber-und-Gendarm gespielt, als die Guerilla ein Camp und wertvolles Baugerät gesprengt und die ersten Geiseln genommen hatte. Er habe das Leben der Geiseln gefährdet. Um die Guerilla ruhigzustellen, ließ Mauss im Dschungel Kindergärten und Hospitäler bauen. Er soll zusätzlich einige Millionen Dollar an die klammen Rebellen gezahlt haben…Guerilleros gäben keine Quittungen, sagt Zipfel lakonisch. In Anbetracht der Bescheidenheit der Forderungen der Guerilla war es absolut schleierhaft, warum man Herrn Mauss beauftragt hat, wundert sich Zipfel noch heute.” Der Fall Mannesmann war in Kolumbien damals ein Politikum. Die Regierung in Bogotá erließ ein Gesetz, das ausländischen Firmen das Zahlen von Schmier- und Lösegeldern verbietet. Mittlerweile will die Regierung nur noch vorab informiert werden.(3)
Herr Zipfel mag recht haben, daß der Mauss-Einsatz aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn machte und nur teuer war. Vor dem Hintergrund der skizzierten Nebenaußenpolitik jedoch, machten die Mauss-Aktivitäten durchaus politischen Sinn.
Zweitens: Bis 1994/95 hatte sich die Bonner Regierung in internationalen Kreisen einen solchen Namen im kolumbianischen Entführungsgeschäft gemacht, daß Bonn – und hier Schmidbauer und Mauss – als erste Adresse in Entführungsfällen von FirmenvertreterInnen galten.
Dänische und italienische FirmenvertreterInnen, die in Kolumbien entführt wurden, sollen unter Einschaltung der Bundesregierung und Mauss wieder die Freiheit erlangt haben – nach Übermittlung erheblicher Lösegeldzahlungen.
1996 war es schließlich der Entführungsfall von Vertretern der argentinischen Stahlfirma Techint, der im fernen Bonn gelöst werden sollte. Dazu ein Auszug aus der Bundestagsdebatte: Volker Beck (Bündnis 90/Die GRÜNEN): “Können Sie uns erklären, wie argentinische Unternehmen überhaupt auf die Idee kommen, sich in einem solchen Fall an die Bundesregierung beziehungsweise an das Bundeskanzleramt zu wenden, um in dieser Frage zu vermitteln?” Bernd Schmidbauer: “…Ich gehe davon aus, daß Geschäftsverbindungen der Firma zu anderen Firmen, die von Geiselnahmen betroffen sind, der Grund dafür sind, daß sich ein Land wie Argentinien …mit der Bitte um Hilfe an uns wendet.”(4)
Dieses starke deutsche Engagement im kolumbianischen Geiselgeschäft hatte den Nachteil, daß damit Mauss’ Aktivitäten der Konkurrenz, zum Beispiel dem CIA, nicht geheim bleiben konnten.
Andererseits erhöhte sich damit natürlich das Gewicht dieser Nebenaußenpolitik und damit der Einfluß von Bonn/Mauss bei der Guerilla und bei der kolumbianischen Regierung mit dem steigenden Umsatz im Geiselgeschäft.
Drittens: Mitte der neunziger Jahre scheint bei der Bonner Regierung der Eindruck entstanden zu sein, der in Kolumbien erreichte Einfluß sei groß genug, um ein großes Rad zu drehen. Der Gedanke reifte, in Sachen “nationaler Konsens” in Kolumbien zu vermitteln – mit eigenen Hintergedanken und Interessen. Im Dezember 1996 sollte es in Kolumbien zur Bildung eines “Runden Tisches” kommen, an dem Regierung und Guerilla Platz nehmen sollten. Einer der Vermittler sollte dabei Daniel Ortega sein, mit dem es, so Schmidbauer, “in Bonn ein langes Gespräch gab.” (5)
Im Rahmen dieses Runden-Tisch-Projekts wollte dann auch Kanzler Kohl sich als Friedensstifter feiern lassen. Ein Treffen zwischen Schmidbauer und Samper in New York, das im Sommer 1996 stattfand und an dem auch Werner Mauss teilnahm, diente der Vorbereitung. Die Tatsache, daß Samper zu seinem Besuch in New York bei der UNO ein US-Visum benötigte und die US-Presse den kolumbianischen Präsidenten als jemanden bezeichnete, der gemeinsame Sache mit den Drogenbossen machte, deutet bereits auf den nur mühsam verborgenen Interessenkonflikt zwischen Bonn und Washington hin.
Teil dieses Aussöhnungsplanes war auch der Versuch, den Drogenbossen eine legale Basis zu verschaffen. So wurde in einem gemeinsam von einem Beauftragten der kolumbianischen Regierung und Schmidbauer entworfenen “inoffiziellen schriftlichen Angebot” am 29. Mai den Drogenhändlern garantiert, daß sie bei Selbststellung nicht an die USA ausgeliefert würden und Teile ihres Vermögens zur Gründung einer neuen beruflichen Existenz im Ausland behalten dürften.(6) Offensichtlich waren sich die Bonner Strippenzieher sehr sicher, daß sie kurz vor einem außenpolitischen Durchbruch standen. Der Staatsminister fürs Grobe, Bernd Schmidbauer, wurde in der zitierten Bundestagsdebatte an einer Stelle ausgesprochen heftig, als Norbert Gansel davon sprach, dieser habe “eine außenpolitische Initiative gestartet, die nun gescheitert” sei.
Darauf Schmidbauer: “Herr Gansel, ich widerspreche ihnen ganz entschieden, daß dies gescheitert ist. Die Sondierungsgespräche waren sehr erfolgreich. Die ersten Bemühungen…zur Bildung eines Runden Tisches…sind so gelaufen, daß dessen Bildung fest auf Anfang Dezember terminiert war. Ich widerspreche ihnen ganz entschieden.” (7)
Viertens: Eine gewisse Rolle bei der beschriebenen Bonner Nebenaußenpolitik spielten die Interessen deutscher Konzerne. Das Projekt von Mannesmann wurde bereits erwähnt. Der Siemens-Konzern verfolgt im Land ebenfalls wirtschaftliche Interessen; unter anderem geht es um ein großes U-Bahn-Projekt.
Insgesamt wäre es jedoch falsch, die Bonner Nebenaußenpolitik primär mit solchen Wirtschaftsinteressen zu erklären. Es handelt sich wohl vielmehr um eine auf längere Sicht angelegte politische Strategie.
Fünftens. Die kolumbianische Regierung spielt in diesem Zusammenhang offensichtlich eine ähnlich zwielichtige Rolle wie die Bundesregierung. Sie war spätestens seit 1987 offiziell über die Rolle von Mauss und in Umrissen über die Bonner Nebenaußenpolitik informiert. Damals gab es einen Kontakt zwischen der Kohl-Regierung und der Regierung in Bogotá; Bonn bat, Mauss nicht zu enttarnen. Im Gegenzug soll das Bundeskriminalamt Hilfe bei der Aufstellung einer kolumbianischen Sondereinheit geleistet haben.(9)
Mindestens bis Oktober 1996 scheint die Regierung Samper geneigt gewesen zu sein, das deutsche Spiel mitzuspielen; der Gesandte Sampers zu Schmidbauer, der zumindest an einem der “insgesamt rund sechs Sondierungsgespräche teilnahm, war immerhin der kolumbianische Innenminister Serpa. Gut vorstellbar ist, daß die Regierung Samper gerade als Ergebnis des Drucks aus den USA die deutsche Initiative aufgreifen wollte, um so ein Gegengewicht zu schaffen.
Ganz offensichtlich haben sich am Ende andere Interessen durchgesetzt. Der folgende Frage-Antwort-Wechsel in der Bundestagsdebatte beschreibt dies trefflich:
Hermann Bachmaier (SPD): “Herr Staatsminister, nachdem der Herr Mauss nach ihren Schilderungen seine Aufgabe so bravourös erledigt hat, wie erklären Sie sich dann, daß er akkurat zu Beginn dieser Sondierungsgespräche über einen Friedensprozeß in Medellín…verhaftet worden ist und schwerster Straftaten beschuldigt wird?”
Bernd Schmidbauer: “Ich kann ihnen das nicht beantworten.”(10)
Verschleierung der Bonner Kolumbien-Politik
“All das ist gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt geschehen. Ich höre da immer etwas von Nebenaußenpolitik. Einen größeren Schwachsinn kann es überhaupt nicht geben.” (Bernd Schmidbauer, Bundestagsdebatte am 4. Dezember 1996)
Die Umrisse der eben skizzierten Bonner Nebenaußenpolitik wurden nur durch das Einwirken von Kräften publik, die aus Bonner Sicht nicht vorgesehen waren. Wäre Mauss nicht verhaftet worden, hätten Kanzler Kohl und Außenminister Kinkel an Weihnachten 1996 eine Art kolumbianische Bescherung vorgeführt und sich als Friedensbringer feiern lassen – Seit’ an Seit’ mit Daniel Ortega. Die Vorarbeit, von Werner Mauss und Bernd Schmidbauer wäre dann ausge’blendet worden. Zumindest Mauss hätte dies bei seiner Gage von ein paar Millionen Dollar wohl verschmerzen können.
Von Anfang an und bis zur Verhaftung Mauss’ und seiner Ehefrau war die Nebenaußenpolitik konspirativ abgesichert. Der Aufwand, der dabei betrieben wurde, war erheblich.
– Alle beschriebenen Treffen in Bonn mit Mauss und mit kolumbianischen Vertretern waren geheim. Geheim war auch, daß Mauss und Ehefrau Ida bei dem Treffen Schmidbauer-Samper in New York mit von der Partie waren.
– Mauss wurde der kolumbianischen Regierung als offizieller Vertreter der Bundesregierung präsentiert. Seine Rolle als “Privatagent” blieb der kolumbianischen Seite zumindest offiziell verborgen. Das bei Mauss gefundene Schreiben, erstellt von der deutschen Botschaft in Bogotá, wies diesen als “in offizieller Mission” reisend aus.
– Mauss war mit mehreren deutschen Pässen ausgestattet worden. Diese wurden von “ehemaligen” BND-Mitarbeitern erstellt. Eine solche Konspiration gegenüber der kolumbianischen Regierung wäre dann völlig unnötig gewesen, wenn Mauss nicht auch gegenüber dieser ein doppeltes Spiel gespielt hätte.
– Indem die Bundesregierung behauptet, es habe mit Mauss “kein dienstlich-offizielles Arbeitsverhältnis” bestanden, entband sie sich auch von der Notwendigkeit, über die Mauss’schen Tätigkeiten im Rahmen der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) zu berichten. Groteskerweise beantwortete Schmidbauer in der Bundestagsdebatte einige Fragen zu Mauss nicht und verwies darauf, dazu werde er – nunmehr! – in der PKK Stellung nehmen.
– Auf Vermittlung der Bundesregierung und von Werner Mauss weilten im Juni 1995 führende Vertreter der Guerilla-Organisation ELN in Deutschland. Manfred Such (Bündnisgrüne) stellte im Bundestag die Frage, inwieweit die Bundesregierung die Einladung der “drei führenden ELN-Guerilleros, Manuel Perez sowie Comandante Nicolas und Comandante Antonia García, die zu den meistgesuchtesten Straftätern Kolumbiens gehören, zu Vorträgen und Diskussionen mit PolitikerInnen nach Deutschland und Frankreich…mit den kolumbianischen Gesetzen vereinbar halte.”
Schmidbauer antwortete darauf mit einem nebulösen Wortschwall.
Er sagte unter anderem:
“Das ist eine sehr breit angelegte Frage, weil diese Zusammenkünfte…nach meiner Kenntnis nicht stattgefunden haben…Ich schließe nicht aus, daß es Gespräche mit der Guerilla gegeben hat. Aber ich glaube nicht, daß man in jedem einzelnen Fall dieser Gespräche irgend jemandem Rechenschaft ablegen muß. Vielmehr ist das die freie Entscheidung jedes einzelnen, im übrigen auch anderer Fraktionen. Ob die bei ihnen aufschlagen (sic), weiß ich nicht, aber es gibt vielfältige Gespräche, in denen wir mit vielen Gruppen reden…” (11)
Gelegentlich wird darüber lamentiert, Schmidbauer und das Bundeskanzleramt hätten diese Nebenaußenpolitik am Außenministerium vorbei betrieben. Das dürfte sich als Ente erweisen. Dagegen spricht bereits, daß aus dem Außenministerium und von Kinkel selbst keine Andeutung dieser Art kam, obwohl es eine gute Gelegenheit gewesen wäre, sich angesichts des Scherbenhaufens, vor dem das Bundeskanzleramt heute steht, entsprechend zu profilieren.
Dagegen sprechen aber auch folgende zwei Details:
– Die Pässe für Mauss wurden von dem ehemaligen BND-Oberst Joachim Philip ausgestellt. Dieser (Deckname: Panten) spielte zu Kinkels BND-Zeiten dort eine wichtige Rolle. Kinkel hatte ihn bei dubiosen Waffengeschäften mit dem Irak gedeckt. (13)
– Im Zusammenhang mit der Affäre Mauss wurde von dem MdB Bachmaier im Bundestag angesprochen, daß “der Madrider Resident des BND, Herr Fischer-Hollweg, Aktivitäten im Zusammenhang mit den Befreiungsaktionen von Mauss unternommen habe.”
Darauf reagierte Bernd Schmidbauer gereizt und mit dem Verweis, er werde diese Frage nur in der PKK beantworten. Tatsächlich dürfte besagter Fischer-Hollweg eine zentrale Rolle in der Affäre gespielt haben und weiter spielen. Dieser Herr (Deckname: Dr. Eckerlin) war von Klaus Kinkel als BND-Chef dazu eingesetzt worden, das BND-Netz in Lateinamerika auszubauen. (14) Es ist höchst unwahrscheinlich, daß Kinkel nicht von diesen früheren engen Mitarbeitern über die Aktivitäten von Schmidbauer und Mauss informiert worden wäre – einmal abgesehen davon, daß er selbst es war, der Mauss für den BND erstmals angeheuert hatte.
Vor allem aber sprechen politische Gründe dafür, daß es gewissermaßen eine deutsche Außenpolitik “aus einem Guß” gab, mit voll integrierter Nebenaußenpolitik: Es mußte Teil der Konspiration sein, daß die offizielle deutsche Außenpolitik in Kolumbien vom Auswärtigen Amt repräsentiert wurde, wohingegen für die Nebenaußenpolitik der Minister fürs Grobe und sein Privatagent fürs Illegale zuständig waren.
So kann heute zumindest der Eindruck erweckt werden, als sei das Auswärtige Amt an dem Scheitern dieser Nebenaußenpolitik nicht beteiligt und als müßte nur der nach außen als zweitrangig gewertete Schmidbauer den Scherbenhaufen zusammenkehren.
Weltpolitik und kleine Großmacht Deutschland
Otto Schily (SPD): “Sie sagen, es gibt offensichtlich Staaten minderen Rechts, in denen Sie sich ein Interventionsrecht anmaßen.” (Bundestagsdebatte vom 4. Dezember 1996).
Mehrmals wurde in der Bundestagsdebatte zum Thema Mauss und Kolumbien direkt und indirekt erwähnt, daß Kolumbien schließlich ein Staat besonderer Art sei. Bei dem CDU-MdB Rupert Scholz hieß es zum Beispiel: “Man kann nicht ein Land wie Kolumbien… an klassischen außenpolitischen Standards messen und… von Souveränität reden. Hier mischt sich international organisierte Kriminalität… mit einem desolaten Zustand des Staates, dem man in vielfältiger Weise mit Mitleid und Hilfsbereitschaft begegnen muß. (15)
Offensichtlich praktizierte das Bundeskanzleramt mit Verweis auf die nicht vorhandene Souveränität Kolumbiens und auf die hier geforderte “Hilfsbereitschaft” eine typische neokoloni-ale und neoimperialistische Politik: verfolgt werden die eigenen Interessen, wobei behauptet wird, diese deckten sich mit den “wirklichen Interessen” Kolumbiens. So mußte Schmidbauer in der Bundestagsdebatte am 4. Dezember eingestehen, daß die Bundesregierung Fragen, die Kolumbiens Regierung in Zusammenhang mit Mauss gestellt hatte und die seit gut zwei Wochen vorlagen, noch immer nicht beantwortet hatte.
Diese deutschen Interessen laufen darauf hinaus, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und nach der Einverleibung der DDR sich nicht mehr mit der Rolle der Weltwirtschaftsmacht begnügen will.
Das neue Bonner Großmachtstreben wird zunehmend abenteuerlicher. Die Kolumbien-Affäre weißt beispielsweise viele Parallelen zum Plutonium-Skandal auf. Dort wurde versucht, Rußland als nur bedingt souveränen Staat vorzuführen. Behauptet wurde, daß es in Rußland eine kriminelle Atommafia gebe, die die Menschheit gefährde. Am Ende erwies sich, daß BND nunmehr mit Bundes-Nuklear-Dealer zu übersetzen ist und daß dieser Dienst als Agent Provokateur auftrat. Im übrigen verbirgt sich hinter diesem Skandal ein zentrales Thema der neuen Bonner Großmachtpolitik, nämlich die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland zu einer Atommacht und damit gleichwertig zu den übrigen Großmächten wird.
Seit einigen Jahren versucht die Bonner Regierung, die deutschen Positionen in Lateinamerika auszubauen. Sie gerät dabei, weit direkter als in Jugoslawien oder Somalia, in Widerspruch zu den US-Interessen. Mehrfach waren Kanzler Kohl und Außenminister Kinkel, begleitet von Industriellen, in Lateinamerika zu Besuch. Dort, wo deutsche Interessen bereits mit einigem materiellen Gewicht vertreten sind, vollzieht sich die deutsche Offensive in einigermaßen geordneten Bahnen der Diplomatie. Mexiko beispielsweise soll zu einem Freihandelsabkommen mit der EU bewegt und damit teilweise wieder aus der Bindung an die USA und Kanada, die mit dem NAFTA erfolgte, herausgesprengt werden. Dabei hat die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage hin nicht bestritten, daß Mexiko durch ein solches Abkommen ein jährliches Handelsdefizit von rund zwei Milliarden Dollar zu erwarten hätte. Stattdessen verwies sie darauf, Mexiko könne bei einem solchen Freihandelsabkommen andere Interessen als rein wirtschaftliche haben. (17)
Ähnlich argumentierte die Bonner Regierung gegenüber Kolumbien: Ausspielen des deutschen Gewichts gegen das bisher dominierende US-Schwergewicht. Die Bonner Nebenaußenpolitik in Kolumbien richtet sich ganz offensichtlich gegen die US-Regierung, die dieses Land als ihren Hinterhof betrachtet – und die ihre arrogante Haltung gegenüber diesem Land aufgrund der eigenen Vormachtstellung kaum zu verbergen versucht. Insbesondere mußte der Bonner Plan, im Rahmen der nationalen Versöhnung den Drogen-Bossen eine legale Zukunft zu verschaffen, in Washington als Affront aufgefaßt werden.
Immer wieder tauchte in der Bundestagsdebatte der Verweis auf die USA auf. Freimut Duve äußerte hierzu: “Ich stelle fest, daß es keine offizielle Information unseres engsten Verbündeten, der USA, gegeben hat, die in Kolumbien besondere Sicherheitsinteressen gerade im Umgang mit der Narco-Guerrilla… haben.” (18)
Auf dem Höhepunkt der Krise gab es offensichtlich auch ein Treffen zwischen Schmidbauer und dem US-Gesandten Holbrooke. Und viel spricht dafür, daß es die USA selbst waren, die dabei ein weiteres Mal die deutschen Großmachtbestrebungen in die Schranken wiesen – wie schon zuvor beispielsweise durch die Enthüllung der deutschen Verstrickung in den Bau einer Giftgasfabrik in Libyen. Der Bündnisgrüne MdB Lippelt führte diesbezüglich in der Debatte aus: “Es gibt zwei Linien in der Bekämpfung des Terrorismus. Die Verhaftung von Mauss hat natürlich damit etwas zu tun, daß jemand, der eine andere Linie vertrat, ihn verhaften ließ. Damit sind Sie aber in eine innenpolitsche Auseinandersetzung in einem anderen Land geraten…” (19)
Bleibt die Frage, warum die Bundesregierung und Schmidbauer im Bundestag und in der Öffentlichkeit jede Kritik an Mauss’ Aktivitäten abwehrten und das gesamte Spektrum seiner illegalen Auftritte – einschließlich der persönlichen Bereicherung und der wahrscheinlichen aktiven Beteiligung an der kolumbianischen Entführungsindustrie – entweder verteidigten oder Unwissenheit vortäuschten.
Nun: Die Maus(s) sitzt im Loch und wenn sie aus diesem nicht bald herausgeholt wird, dann pfeift sie. Mauss war eben jahrzehntelang nicht Privat-, sondern Staatsagent. Noch diesen Sommer trafen sich der kolumbianische Innenminister Serpa und Schmidbauer auf seinem Anwesen im Hundsrück zur Absprache von Details der abenteuerlichen Großmachtpolitik. Vor allem aber war Mauss Staatsagent, ausgestattet mit BND-Pässen und mit Schutzbriefen vergleichbarer Art wie jetzt in Kolumbien – und dies bei noch weitaus heikleren Missionen. Was wäre, wenn Mauss über solche andere Missionen plauderte, etwa jene, die er betrieb, als er noch von BND-Chef Klaus Kinkel für ein Jahressalär von 650.000 Mark arbeitete? Was wäre, wenn er über den Vertrag plauderte, der zwischen dem Madrider BND-Residenten Fischer-Hollweg und ihm in Sachen Kolumbien laut Erich Schmidt-Eenboom abgeschlossen worden sein dürfte? (20) Und welche Turbulenzen entstünden, wenn Mauss über seine Mission plauderte, die ihn am 9. Oktober 1987 nach Genf und am 11. Oktober von dort wieder zurück in die Bundesrepublik Deutschland führte – immerhin landete er dort wenige Stunden vor Barschels letzter Reise und Ankunft und logierte im Nachbarhotel. Wenige Stunden nach der Entdeckung der Barschel-Leiche flog er wieder zurück nach deutschen Landen. Nicht zuletzt führte er gelegentlich denselben Decknamen “Roloff”, den Barschel als denjenigen Kontaktmann genannt hatte, der mit ihm in Genf dringend zu reden wünschte…(20)
(1) Frankfurter Rundschau vom 14.12.1996
(2) Schmidbauer hat seine Formulierung, mit Mauss habe es zwar kein offizielles Dienstverhältnis gegeben, seine Aktivitäten in Kolumbien seien jedoch von der Bundesregierung “positiv begleitet worden”, in der Parlamentsdebatte auch auf den frühen Zeitpunkt 1984ff bezogen. Siehe Bundestagsprotokoll, Debatte vom 14.12.1996; S.13008.
(3) Der Spiegel Nr. 37/1996
(4) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.12999.
(5) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13007.
(6) Nach El Espectator vom 1.12.1996; dpa vom 2.12.1996
(7) Bundestagsdebatte, a.a.o., S.13007.
(8) Kurzbericht über Lateinamerika, herausgegegen von der Deutsch-Südamerikanischen Bank, Hamburg, Februar 1995, S.86.
(9) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13011.
(10) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13019.
(11) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13016f.
(12) Der Spiegel Nr. 50/1996
(13) Nach: Erich Schmidt-Eenboom, Der Schattenkrieger – Klaus Kinkel und der BND, Düsseldorf 1995, S.81.
(14) Schmidt-Eenboom, a.a.O., S.35ff.
(15) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13027.
(16) Siehe Winfried Wolf, Haiti – Aroganz im Armenhaus – Bonner Diplomatie, Rassismus und Armutsentwicklung, Köln 1996, S.27f.
(17) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Winfried Wolf und der Gruppe der PDS, Oktober 1996; La Jornada (Mexiko D.F.) vom 31.7. 1996.
(18) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13034.
(19) Bundestagsdebatte, a.a.O., S.13023.
(20) Erich Schmidt-Eenboom im Deutschlandfunk vom 4.12.1996, nach: Fernseh-/Hörfunkspiegel, Inland I vom 5.-12.1996, S.8
(21) Vgl. Winfried Wolf, “Es war doch Mord”, in: Abendzeitung (Wien) vom 3.12.1987; Winfried Wolf, “Barschel bis zum Abwinken – Mordmotiv: Südafrika”, in Sozialistische Zeitung/SoZ vom 5.10.1995; Stefan Aust, Mauss – Ein deutscher Agent, Hamburg 1988, S.388.
Winfried Wolf ist MdB, Mitglied der PDS-Gruppe im Bundestag und Mitglied im Ausschuß für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Jüngste Veröffentlichungen zum Thema “Dritte Welt”: 500 Jahre Conquista – die Dritte Welt im Würgegriff, Köln 1992 (ISP); Haiti – Arroganz im Armenhaus – Bonner Diplomatie, Rassismus und Armutsentwicklung, Köln 1996 (ISP).