Nein zur Gewalt gegen Frauen
Zum Jahresende powert noch einmal die nicaraguanische Frauenbewegung
Während das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) konstatiert, daß in Nicaragua inzwischen über zwei Drittel aller Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, beobachten Menschenrechts- und Frauenorganisationen gleichzeitig eine kontinuierliche Zunahme der Gewalt gegen Frauen und Kinder. “Nicaragua charakterisiert sich durch seine mit Gewalt beladene Geschichte. Die Diktatur, der lange Bürgerkrieg … und auch heute noch sind bewaffnete Auseinandersetzungen und Entführungen gängige Mittel im Kampf gegen das herrschende politische und ökonomische System. In den letzten vier Jahren hat zudem die Gewalt innerhalb der Familie spürbar zugenommen. Viele Männer haben ihre Arbeit verloren, sind frustriert, flüchten in den Alkohol, und zu Hause fangen sie dann an, ihre Frauen und Kinder zu schlagen”, so Paola Zuniga, eine der Aktivistinnen vom “Frauennetz gegen Gewalt”.
Die weibliche Bevölkerung Nicaraguas hat hauptsächlich zwei Möglichkeiten, Schlagzeilen in der Presse zu machen: Entweder als Opfer vergewaltigt, ermordet und zerstückelt oder – genauso sensationalistisch – vermarktet als strahlende Gewinnerin eines regionalen, nationalen oder weltweiten Schönheitswettbewerbes. Weder die Gewalt noch die Misswahlen kennen dabei eine untere Altersgrenze. Miss Baby aus Leon erscheint auf der selben Seite der Tageszeitung wie ein gleichaltriges, mißhandeltes Mädchen. Umfassende Daten über das Ausmaß der Gewalt gibt es trotz der vielen Pressemeldungen nicht. Ein für Zentralamerika einmaliges “Frauenkomissariat”, das nur mit weiblichen Polizistinnen besetzt ist, registriert nur einen Bruchteil der Gewalttaten, die in der Hauptstadt begangen werden. Und obwohl viele andere Gewaltopfer sich an eines der über zwanzig landesweiten Frauenzentren wenden, ist die Zahl der tatsächlichen Übergriffe nur schwer zu schätzen.
Frauennetz
Im “Frauennetz gegen Gewalt” haben sich mehr als 20 Frauenzentren lose zusammengeschlossen. Das Netz gehört damit zu den wenigen Bewegungen Nicaraguas, die noch nicht von inneren Streitigkeiten oder Finanznöten aufgerieben worden sind. An diesem Aktionsbündnis sind u.a. die Frauengesundheitszentren von Si Mujer und Ixchen, die Stiftungen Xochiquetzal und Puntos de Encuentro und seit diesem Jahr sogar einige Frauenzentren von AMNLAE, der sandinistischen Frauenorganisation, die bisher mit den unabhängigen Frauen nicht zusammenarbeiten wollten, beteiligt. “Es werden jedes Jahr mehr Frauen, die wegen Mißhandlungen, Vergewaltigungen oder Morddrohungen zu uns kommen. Dies ist für uns ein Indiz, daß die häusliche Gewalt stetig zunimmt. Gleichzeitig wissen aber jetzt auch immer mehr Frauen, wohin sie sich wenden können und daß sie dieses Unrecht nicht stillschweigend ertragen müssen. Das werten wir als einen Erfolg unserer Kampagne”, so Paola.
Das “Frauennetz gegen Gewalt” hat u.a. zwei Broschüren erarbeitet und veröffentlicht, die kostenlos landesweit mit Auflagen von über 50 000 Exemplaren verteilt wurden. In der leicht verständlich geschriebenen Broschüre mit dem Titel “Was machen und wohin gehen im Falle von Gewalt?”, werden die verschiedenen Arten von emotionaler, körperlicher und sexueller Gewalt und der Gewaltzyklus innerhalb der Familie beschrieben. Ebenso wird auf anschauliche Weise die rechtliche Situation der Frauen dargestellt. Ein Extrakapitel erläutert, was frau erwartet, wenn sie Anzeige erstattet. Indirekt ist das Gesetz dabei auch in Nicaragua noch immer auf der Seite des Mannes: Verläßt eine Frau das Haus, z.B. auf der Flucht vor ihrem Agressor, hat sie kaum Chancen, dorthin wieder zurückzukehren, da es üblicherweise auf den Namen des Mannes in das Grundbuch eingeschrieben ist. Ein Schwangerschaftsabbruch, selbst nach Vergewaltigung, ist in Nicaragua, wie in den meisten Ländern Lateinamerikas, illegal. Vergewaltigung in der Ehe kennt das Gesetz nicht. Obwohl es im Strafgesetzbuch Artikel gibt, die bei körperlichen oder sexuellen Mißhandlungen Bestrafung der Täter vorsehen, ist die Beweisführung schwierig, und es kommt letztlich nur zu wenigen Verurteilungen.
In der Broschüre “Seien wir anders – Nein zur Gewalt in der Straße, im Haus und im Bett”, wenden sich die Autorinnen an Jugendliche beiderlei Geschlechts und zeigen, wie Gewaltstrukturen entstehen und wie sie abgebaut werden können. In einem Land, in dem die staatliche Sozial- und Bildungspolitik weit davon entfernt ist, ähnlich gutes didaktisches Material zu produzieren, sind die beiden Publikationen Mangelware und sehr begehrt. Sie werden im ganzen Land sowohl von Einzelpersonen als auch von Gruppen genutzt, um Wege aus der Gewalt zu finden.
Interamerikanische Konvention als Druckmittel
Im Juni diesen Jahres hat Nicaragua zusammen mit Argentinien, Brasilien, Costa Rica, Honduras, der Dominikanischen Republik und Venezuela bei der Generalversammlung der lateinamerikanischen Staaten (OEA) eine interamerikanische Konvention zur Vorbeugung, Sanktionierung und Vernichtung der Gewalt gegen Frauen unterzeichnet. Die 25 Artikel umfassende Konvention bietet die rechtliche Grundlage, um Frauen umfassend vor körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt im öffentlichen und im privaten Bereich zu schützen. Gleichzeitig zu einer veränderten Rechtspraxis zugunsten der Frauen sieht die Konvention weiterhin vor, daß der Staat den Gewaltopfern Hilfe anbieten muß. Dazu zählt die Einrichtung von Frauenhäusern und psychologischen Beratungsstellen, die Anstellung speziell geschulten Personals in den Justizapparaten, sowie die Bereitstellung staatlicher Mittel zur Zahlung von Wiedergutmachung. Die Aktivistinnen wissen, daß es noch Jahre dauern kann – wenn überhaupt – bis diese Konvention im Parlament ratifiziert und in die Praxis umgesetzt wird. Dennoch läuft die Kampagne auf Hochtouren und die Frauenbewegung setzt auf den Trumpf der Konvention. Die Regierung Violeta Chamorros, deren Frauen- und Gesundheitspolitik seit der Weltbevölkerungskonferenz vom Opus-Dei-Mitglied und Erziehungsminister Humberto Belli diktiert wird, gerät dadurch zunehmend in Widersprüche.” Die Konvention stärkt uns den Rücken und ist ein wichtiges Instrument, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, daher brauchen wir die 40 000 Unterschriften”, so Norma Rivera, Schauspielerin und Feminstin.