Fernsehen | Nummer 529/530 - Juli/August 2018

NETFLIX REVOLUTIONÄR

Interview über alternative Medien in Zeiten zunehmender Repression

Fernsehen muss nicht immer langweilig sein. Die LN sprachen mit Martina und Santiago vom anarchistischen Fernsehsender Antena Negra u.a. über Medienpolitik in Argentinien, die Repression gegen soziale Bewegungen und was ein revolutionäres Netflix sein könnte. Der Community-Fernsehsender wurde im Jahr 2005 gegründet. Von 2009 bis 2012 strahlte Antena Negra als analoger Kanal 24 Stunden täglich Fernsehprogramm aus. Heute gibt es Antena Negra TV im Internet (www.antenanegratv.com.ar).

Interview: Caroline Kim & David Rojas Kienzle

Was macht Antena Negra aus?

Martina: Antena Negra war von Anfang an ein solidarisches Projekt. Gerade auf dem Land wurden viele Radios von Nachbarn aufgebaut. Da kam dann zum Beispiel jemand und sagte: „Mein Hund Pirulito ist verschwunden. Könnt ihr mir helfen, ihn zu finden?“ Das war auch ein Teil der Community-Radios, die dann zu politischen Projekten wurden. Antena Negra ist auch von Anfang an im Nationalen Netzwerk von Alternativen Medien RNMA gewesen.

 

Wie funktioniert das RNMA?

Martina: Als Netzwerk von Medien aus dem ganzen Land, das sich antibürokratisch, antiautoritär und antikapitalistisch definiert. RNMA hat nie staatliche Werbung akzeptiert. Andere Netzwerke schon. In gemeinsamen Treffen diskutieren wir unsere Beziehungen zum Staat, wie wir weitere Medien aufnehmen können und wie wir uns technisch weiterentwickeln. Ein Treffen im Jahr ist für die Öffentlichkeit, wir Medien organisieren Workshops, um Informationen zu vergesellschaften. Es ist also auch ein Ort politischer Bildung.

Santiago: Unsere Agenda ist die der sozialen Bewegungen und eine Achse des RNMA ist die gute Beziehung zu ihnen. Tatsächlich rufen die uns an und sagen: „Hey, heute passiert dies oder das.“ Sie wissen, dass bei uns das, was sie sagen wollen, so weitergegeben wird, wie sie es sagen wollen. Die Massenmedien wollen vielleicht eher Schlagzeilen oder einen Bericht machen, damit die Person auf der anderen Seite des Bildschirms die interviewte Person hasst. Die sozialen Bewegungen haben das verstanden.

 

Im Jahr 2009 wurde von der Kirchner-Regierung ein progressives Mediengesetz verabschiedet. Hatte das Einfluss auf eure Arbeit?

Martina: Das neue Mediengesetz sah zwar vor, dass 33 Prozent der Sendelizenzen an gemeinnützige Medien vergeben werden sollten. Der Graubereich dessen, was als gemeinnützig gilt, ist aber groß. Zum Beispiel zählen auch die Ford-Stiftung und die Kirche dazu. Dieses Gesetz, das so progressiv erscheint, ist es eigentlich nicht. Außerdem wurden Lizenzen für einzelne Viertel von vielleicht zehn Blöcken vergeben, aber nicht für ganz Buenos Aires.

Santiago: Das Gesetz wurde nicht so umgesetzt, wie es geplant war. Wir vom RNMA haben das von Anfang an kritisiert.

Martina: Außerdem muss man, um eine Lizenz zu bekommen, eine Unmenge an bürokratischem Papierkram erledigen, der nicht nur Geld gekostet hat, sondern auch Dinge, wie einen Vereinsvorsitzenden, ein Mitarbeiterregister etc. verlangt, die Community-Medien nicht haben.

Santiago: Wir mussten einen rechtlich Verantwortlichen benennen und dafür eine Kooperative gründen. Eine Lizenz haben wir trotzdem nicht bekommen, obwohl wir eigentlich alle technischen Voraussetzung erfüllt haben. Wir hatten es dann satt zu warten und haben einfach angefangen, zu senden.

 

Wie sah dann euer Programm aus?

Martina: Es gab eine Literatursendung, eine Mathesendung, Musiksendungen. Das Programm war sehr voll, weil es viele Gruppen gab, die Fernsehen machen wollten. Insgesamt waren es bestimmt 80 Leute, die am Kanal beteiligt waren.

 

Gab es Probleme damit, als Piratensender zu senden?

Santiago: Das Problem mit Frequenzen ist sehr ähnlich wie das mit Wohnraum: Hier gibt es ein Haus – niemand benutzt es. Warum kann der, der kein Haus hat, es nicht besetzen? Das ist die gleiche Situation, nur mit einer Sache die etwas abstrakter ist, der Frequenz.

Martina: Im März 2015 sind wir auf digitale Übertragung umgestiegen. Wir waren nicht mal 40 Minuten auf Sendung, als zwei Techniker von der privaten Sicherheitsfirma Prosegur aufgetaucht sind, die uns dazu aufgefordert haben, den Sender abzuschalten, weil wir ihre Frequenz stören und die Kommunikation mit zehn Banken behindern würden. Das haben wir nicht gemacht. Vier Monate später haben 40 Polizisten den Kanal gestürmt, alles kaputt gemacht und das Übertragungsgerät mitgenommen.

 

Warum die Beschlagnahmung?

Martina: Prosegur hatte uns angezeigt. Strafrechtlich verfolgt wurde dann unser Vorsitzender. Das ist die Form des Staates, uns zu kriminalisieren. Sie verlangen, dass wir eine bestimmte Rechtsform haben, um eine Lizenz zu bekommen. Wer dann am Ende verantwortlich ist, ist aber nicht das Kollektiv, sondern nur ein Vertreter. Damit hat ein bis heute andauernder Strafprozess angefangen.

 

Seitdem könnt ihr nicht mehr senden?

Martina: Wir wurden von Anwälten von der Correpi, einem Antirepressionskollektiv, unterstützt und haben erst das Übertragungsgerät zurückbekommen. Dann wurde uns aber angedroht, dass sie die Leute, gegen die der Prozess läuft, ins Gefängnis stecken würden, wenn wir unser Equipment nicht abgeben würden. Wir haben uns dazu entschlossen, dieser Forderung nachzukommen, um niemanden auszuliefern und seitdem gibt es den Sender so nicht mehr.
Das alles ist während der Regierung von Kirchner passiert. Dass sie den Sender beschlagnahmt haben, war ein Beleg dafür, dass ihre progressive Politik keine war und dass es keine Absicht gab, Community-Medien zu unterstützen.

Santiago: Zumindest nicht die, die der Politik der Regierung nicht nahestanden. Es gab einige Netzwerke, die zu dieser Zeit profitiert haben – jetzt unter Macri aber gar nicht mehr.

 

Stichwort Macri: Merkt ihr als Medienmacher*innen einen Unterschied zur Vorgängerregierung?

Martina: Die neoliberale Politik mit ihren Konsequenzen hat zu starken Protesten geführt und die Repression hat sich mit der Wahl von Macri im Dezember 2015 immer mehr zugespitzt. Einer der großen Unterschiede zwischen der Regierung von Cristina und der von Macri ist, dass es Staatspolitik wird, auf Demonstrationen Leute festzunehmen. Heute ist ein Fokus von Antena Negra mit Videojournalismus auf Demos zu sein und Gegeninformation über soziale Netzwerke zu verbreiten.

 

Seid ihr auch selber von Repression betroffen?

Santiago: Auf der ersten Demonstration für Santiago Maldonado, am 1. September 2017, haben wir live übertragen. Dabei wurden zwei unserer Kollegen festgenommen. Wir gehen immer mindestens zu zweit raus, einer filmt, einer passt auf, macht also Security.
Als sie filmen, wie eine Frau festgenommen wird, nimmt die Polizei die beiden fest, weil sie die Polizisten behindert hätten. Heute schlagen wir uns auch mit dieser Strafanzeige herum.
Unsere Kollegen waren nicht die einzigen, die damals verhaftet wurden. Am gleichen Tag gab es noch 30 weitere Festnahmen. Es wird auf einmal angefangen, neue Straftaten anzuwenden, um Festnahmen zu rechtfertigen. Wie die der „öffentlichen Einschüchterung“, die sich auf Krawall und Anstiftung zum Chaos bezieht.

 

War das vorher anders?

Santiago: Bisher gab es eine „Demo-Kombi“, die verhängt wurde: Straßenblockaden und Angriff und Widerstand gegen Ordnungskräfte. Das sind Ordnungswidrigkeiten, die in Amtsgerichten verhandelt werden. Die „öffentliche Einschüchterung“ ist eine Straftat, die jetzt zusätzlich angewendet wird, damit es in die Zuständigkeit eines Bundesgerichts geht. Dadurch kannst du nun im Gefängnis landen, das hat die Dynamik verändert.

Martina: Das gewaltsame Verschwinden von Santiago war ein Wendepunkt bei den Demonstrationen im Land. Verschwundene sind ein sehr sensibles Thema in der argentinischen Gesellschaft. Es gehen also sehr viele Menschen auf die Straße, von der kirchneristischen Fortschrittsbewegung, über Linksparteien, bis hin zum Anarchismus. Und es gab einen Boom an Verhaftungen.
Santiago: Das gewaltsame Verschwinden von Santiago oder auch die Ermordung von Marielle zeigen, wie sich das kapitalistische Projekt in Lateinamerika in Anschlägen, Morden und Verschwindenlassen niederschlägt.

 

Wie verändert sich seither die Situation in Argentinien?

Martina: Auch die Proteste aufgrund der Rentenreform am 14. Dezember letzten Jahres waren einschneidend, das war auch eine riesige, super heterogene Demo. Polizeigewalt, wie es sie da gab, haben wir bisher noch nicht erlebt. In zwei Wochen gab es 300 Festnahmen. Auch diese Reformen sind ein sensibles Thema in der argentinischen Gesellschaft, da es die gleichen neoliberalen Reformen wie im Jahr 2001 sind. Nicht nur, dass die Renten bis ins Erbärmliche gekürzt werden, es betrifft auch andere Bereiche der Arbeit – Weihnachtsgeld wird gestrichen, Outsourcingpolitiken etc. Nach der fortschrittlichen Regierung des kirchnerismo, die zumindest eigentlich einen Wohlfahrtsstaat machen wollte, gehen wir hin zu einer Situation, die ganz eindeutig rechts ist. Und all das wird getragen von den Leuten selbst, viele Leute haben die Regierung gewählt.

 

Wie ist die Situation der Medien in diesem Szenario?

Martina: Es gab öffentliche Gelder, die für alternative Medienprojekte vergeben wurden, die mit der Macri-Regierung gestrichen wurden. Nun gibt der Staat keine Gelder mehr. Die jetzige Situation ist also super prekär. Alternative Medien konzentrieren sich nun mehr aufs Internet oder auf soziale Netzwerke. Aber auch jetzt mit dem globalen Panorama – Facebook verkauft Daten, Youtube will Geld… Wir sehen ziemlich schwarz.
Santiago: Es werden auch wieder Medien geschlossen. Zuvor gab es in 30 Jahren keine Beschlagnahmungen in Medienanstalten.

 

Hat die Repression Wirkung gezeigt?

Martina: Diese Kämpfe sind sehr anstrengend für die sozialen Bewegungen, weil wir uns alle mehr darauf konzentrieren müssen, unsere Genossen freizubekommen, anstatt weiter kämpfen zu können.

Santiago: Das ist eine klare Schwächungstaktik. Da wir auf einmal andere Aufgaben machen, die wir nicht geplant haben, wie z.B. Leute aus Gefängnissen herauszuholen. Oder mehr arbeiten zu müssen, weil das Geld nicht mehr reicht. Eine der ersten Strategien, die die Regierung Macri angewendet hat, waren Massenentlassungen in verschiedenen Branchen. Das schaffst du gar nicht, über das alles zu berichten. Das ist auch eine Zermürbung, die dich einfach sehr mitnimmt.

 

Wie seht ihr die Zukunft von eurem Projekt?

Santiago: Wir würden total gerne wieder auf Sendung gehen. Aber das bedeutet einen hohen Preis zu zahlen, nicht nur finanziell. Zunächst das verlorene Übertragungsgerät. Aber auch der Kraftakt, zu wissen, dass sie jeden Moment wiederkommen, alles beschlagnahmen und den ganzen Sender kaputt machen können. Alles 24 Stunden bewachen zu müssen, falls die Polizei kommt. Wir wissen nicht, ob wir das schaffen können, vor allem, wenn es dann gar nicht so viele Leute empfangen können.

Martina: Wir sind dabei, eine audiovisuelle Plattform aufzubauen, wo das ganze Material wie auf einer Art revolutionärem Netflix angeschaut werden kann. Unsere Idee ist es, dort Live-Übertragungen zu machen und ein Archiv aus dem Material bereit zu stellen, mit dem wir Fernsehen gemacht haben.

Santiago: Das alles ist Material, das es sonst nirgendwo gibt. Und es auf einer Festplatte zu haben, wo es niemand anschauen kann, bringt ja nichts. Deswegen wollen wir einen Ort schaffen, wo Leute diese Sachen finden können, anstatt Trash-TV zu schauen.


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