Land und Freiheit | Nummer 335 - Mai 2002

Neue Hoffnung auf Umverteilung

Die Landreform kehrt auf die politische Tagesordnung Guatemalas zurück

Nach dem Friedensabkommen von 1996 war die Frage nach der Umverteilung von Land in Guatemala zum Tabuthema geworden. Die Schwere der Hungersnöte des vergangenen Jahres und die Unfähigkeit bestehender Institutionen, die Probleme zu lösen, bringen die Menschen nun dazu, sich wieder zu mobilisieren.

Frank Garbers

Wie kaum ein anderes Thema gilt die Frage der Landverteilung als historischer Kernkonflikt in der guatemaltekischen Gesellschaft. Die Forderung nach einer Landreform gehörte zu den Themen mit der größten politischen Sprengkraft im vergangenen Jahrhundert und war nicht zuletzt einer der treibenden Faktoren des bewaffneten Konfliktes, der das Land mehr als drei Jahrzehnte erschütterte. Mit der Aufstandsbekämpfungspolitik der 1980er Jahre wurde die Landfrage für fast zwei Jahrzehnte zu einem politischen Tabuthema, das auch nach dem Friedensabkommen zwischen der Guerilla URNG und der Regierung selbst von den Bauernorganisationen nur mit großer Vorsicht und Zurückhaltung angegangen wurde.
In den letzten Monaten sind jedoch substanzielle Veränderungen spürbar. Mit Vehemenz kehrt die Diskussion um eine grundlegende Reform des Agrarsystems und eine Strategie ländlicher Entwicklung, die den Namen wirklich verdient, auf die politische Tagesordnung Guatemalas zurück.
Die Faktoren, die zu dieser Entwicklung geführt haben, sind vielfältig. Von grundlegender Bedeutung sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich in den letzten Jahren für die Landbevölkerung kontinuierlich verschlechtert haben. Insbesondere die Kaffeekrise macht deutlich, dass sich das traditionelle Agroexportmodell überholt hat. Die Weltmarktpreise für Kaffee sind zwar auch in früheren Zeiten auf Tiefstände gesunken, es kehrt jedoch in Guatemala die Einsicht ein, dass angesichts der massiv auftretenden neuen Billiganbieter der Kaffeeanbau seinen Stellenwert für die guatemaltekische Ökonomie entgültig verloren hat. Schon werden Kaffeeplantagen minderer Qualität nicht mehr abgeerntet oder sogar abgeholzt. Für die Landbevölkerung hat dies schwer wiegende Auswirkungen, da zehntausende Familien ihre einzige Einkommensquelle als Tagelöhner verlieren. Kommen zu diesem Verlust des Geldeinkommens noch Einbrüche in dem landwirtschaftlichen Subsistenzanbau hinzu – etwa durch Umwelteinflüsse wie Trockenheit etc. – so führt dies direkt in die Hungersnot, wie im letzten Jahr im Osten des Landes geschehen. Dass die Menschen in verschiedenen Landesteilen Guatemalas immer wieder Hunger leiden müssen, ist nichts Neues. Neu ist allerdings das Bedrohungsausmaß, den der Hunger in Guatemala erreicht hat.

Der Hunger erreicht eine neue Dimension

Neu ist auch, dass sich die guatemaltekische Presse des Themas annimmt. Hier kommt ein weiteres Charakteristikum der aktuellen Situation zum Ausdruck: die fast schon permanent zu nennende Regierungskrise, die maßgeblich von der Presse angeheizt wird. Den Hintergrund bildet ein tief greifender Konflikt zwischen dem Unternehmenssektor, der praktisch alle Tageszeitungen im Land kontrolliert, auf der einen Seite und der FRG Regierung (Frente Repúblicano de Guatemala) auf der anderen. Hierdurch wird ein Klima politischer Instabilität geschaffen, das vor allem durch große Frustration über die Auswüchse der Korruption geprägt ist. Den „Teufel“ einer Agrarreform an die Wand zu malen, mag vor diesem Hintergrund dem Unternehmenssektor durchaus in sein Kalkül zu passen. Die Widersprüche innerhalb der politischen und ökonomischen Eliten des Landes lassen sich jedoch auch ausnutzen, um neue Konzepte ländlicher Entwicklung nachhaltig auf der politischen Tagesordnung zu platzieren.
Einen weiteren Beitrag hierzu leistet die Krise jener Institutionen, die in den Friedensabkommen geschaffen wurden, um die Agrarproblematik einer Lösung näher zu bringen. Allen voran die von der Weltbank propagierte marktgestützte Verteilung von Land, die durch die Schaffung eines Landfonds (FONTIERRA) nach dem Friedensabkommen in Guatemala implementiert wurde, stößt an ihre konzeptionellen und praktischen Grenzen. Eine von der NGO-Koordination CONGCOOP erstellte Studie kommt zu dem Schluss, dass „unter den gegebenen Bedingungen FONTIERRA keine Auswirkung hinsichtlich einer Erhöhung des Zugangs zu Land für landlose Campesinos hat“. Die Studie der CONGCOOP nennt unter anderem folgende Kritikpunkte an FONTIERRA:
Das Antragsverfahren bei FONTIERRA für Gruppen von Landlosen oder Dorfgemeinschaften ist kompliziert, Zeit raubend und kostspielig. Zudem öffnet es Tür und Tor für Korruption innerhalb des Verwaltungsapparates.
Die Nachhaltigkeit der Landverteilung ist auf Grund der Vergabe von Krediten nicht gesichert. Schaffen es die Gruppen nicht, genug Einkommen zu erwirtschaften, um die Kredite zurückzuzahlen, laufen sie Gefahr, ihr Land wieder an die Banken zu verlieren.
Die finanzielle Ausstattung von FONTIERRA reicht nicht aus, um die bestehende Nachfrage nach Land zu befriedigen. Nach Daten des US-amerikanischen Entwicklungshilfeministeriums AID von 1998 suchen zwischen 400.000 und 450.000 Familien in Guatemala nach Land. FONTIERRA schafft es lediglich 1 bis 2 Prozent der Nachfrage zu decken.
Gerade im letzten Punkt kommt der Hauptwiderspruch der marktgestützten „Landreform“ in Guatemala zum Ausdruck. Unter den aktuellen sozialen Bedingungen übersteigt die Nachfrage bei weitem das Angebot. Wird mehr Geld in den Landfonds gepumpt, steigen lediglich die Preise für Land. während das Angebot nahezu gleich bleibt. Die finanzielle Ausstattung FONTIERRAS bleibt also zwangsläufig unzureichend. Die wirklichen NutznießerInnen des Landfonds sind die LandbesitzerInnen, die weit überzogene Preise für „ihr“ Land erzielen können, dessen Besitzverhältnisse nicht selten historisch und juristisch fragwürdig sind.

Wachsende Frustration bei Landlosen

Angesichts dieser Situation, sind die Erwartungen, die die Friedensabkommen insbesondere bei der Landbevölkerung auf eine Veränderung ihrer Lebensbedingungen nährten, weitgehend enttäuscht worden. Diese Frustration lässt bei vielen Gruppen von Landlosen die Bereitschaft steigen, durch Maßnahmen wie etwa Landbesetzungen einen Ausweg aus ihrer Situation zu suchen. Obwohl niemand über systematische Zahlen verfügt, gilt es als gesichert, dass die Zahl der Besetzungen sprunghaft gestiegen ist. Seit Ende vergangenen Jahres sind wenigstens zwischen 30 und 40 neue Landbesetzungen zu verzeichnen, ein Großteil davon im Osten des Landes, in den Departments Baja und Alta Verapaz, sowie in Izabal. Selbst das Büro FONTIERRAS war bereits Ziel einer Besetzung durch eine Gruppe Landloser, die dadurch eine Beschleunigung ihres Verfahrens erreichen wollten.
Der Kampf um Land vermag wieder Menschen zu mobilisieren. So schafften es die campesino-Organisationen im vergangenen Oktober aus dem Stand landesweit ca. 30.000 Personen auf die Straße zu bringen. Diese Zahl reflektiert sowohl Stärke als auch Schwäche der Bewegung. Einerseits erscheint sie angesichts der Tragweite der Problematik zu gering, andererseits gibt es derzeit wohl keinen anderen politischen Sektor in Guatemala, der überhaupt eine solche Menge von Menschen mobilisieren kann.
Doch weniger Landbesetzungen und Demonstrationen haben die Landfrage wieder in die öffentliche Diskussion gebracht, als vielmehr die Erarbeitung und Veröffentlichung verschiedener Vorschlagspapiere zur ländlichen Entwicklung. Bereits im letzten Jahr legte die Indígena- und Campesino-Organisation CONIC ein eigenes Dokument zur ländlichen Entwicklung vor. Eine „Plattform für ländliche Entwicklung“, die sich aus CONIC, der Menschenrechtsorganisation CALDH, dem Sozialforschungsinstitut AVANCSO und der Landpastorale der katholischen Kirche zusammensetzt, arbeitet ebenfalls seit vergangenem Jahr an einem gemeinsamen Vorschlagspapier. Dieselbe Plattform veröffentlichte kürzlich einen Vorschlag, der in seinem Kern darauf abzielt, jene durch die Krise der Kaffeewirtschaft frei werdenden Ländereien zu festgelegten Preisen aufzukaufen bzw. in bestimmten Fällen zu konfiszieren, um sie landlosen Campesinos zur Ernährungssicherung zur Verfügung zu stellen.

Umverteilung alleine reicht nicht aus

Auch die Nationale Koordination der Campesino-Organisationen (CNOC) stellte im März ihr Vorschlagspapier für ländliche Entwicklung vor. Vorausgegangen war eine eineinhalbjährige Vorbereitungszeit, in der die Basis der bedeutensten Campesino-Organisationen des Landes konsultiert worden war und die in einem nationalen Treffen über ländliche Entwicklung im September 2001 ihren Höhepunkt fand. Mehr als 350 Delegierte verabschiedeten Forderungen, die erstmals auch wieder die Notwendigkeit einer Agrarreform betonen, welche die Elemente der Konfiszierung und Enteignung von Land einschließt. Darüber hinaus erkennt der Vorschlag der CNOC jedoch an, dass eine alleinige Umverteilung von Land nicht ausreicht, um die Lebensverhältnisse in den ländlichen Gebieten nachhaltig zu verbessern. Konkrete Forderungen hinsichtlich einer alternativen Entwicklung der Landwirtschaft und des Umweltschutzes sind deshalb ebenso Teil des Vorschlagspapiers wie solche über die allgemeine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, die Menschenrechte, das Justizwesen sowie die Stärkung und Effektivierung staatlicher Dienstleistungen. Der Rolle der Frauen und der Geschlechterbeziehungen in der ländlichen Entwicklung wie auch der Frage der indianischen Identität werden als Querschnittsthemen besondere Bedeutung beigemessen.
Mit der Erarbeitung des Vorschlagspapiers der CNOC wurde ein bedeutender Schritt in Bezug auf die Einheit der Campesino-Organisationen gemacht. Zwar sind die lange Zeit lähmenden Konflikte zwischen den Campesino-Organisationen nicht gänzlich ausgeräumt, der Charakter einer gemeinsamen politischen Plattform, der dem Papier gegeben wurde, lässt jedoch hoffen, das die schlimmsten Zeiten überwunden sind.
Eine größere politische Bedeutung werden die Vorschläge der CNOC jedoch nur dann erlangen, wenn es gelingt, andere gesellschaftliche Gruppe jenseits des Campesino-Spektrums als Verbündete zu gewinnen. So versucht die CNOC derzeit auf der Grundlage ihres Vorschlagspapiers einen Dialogprozess mit Organisationen der Volksbewegung, der Kirche sowie dem NGO-Sektor anzuregen, der die Bildung einer Allianz für ländliche Entwicklung zum Ziel hat. Nur eine solche Allianz kann die politische Stärke entwickeln, die notwendig ist, um der Regierung und dem Unternehmersektor Zugeständnisse abzuringen
Präsident Portillo kündigt einen eigenen Vorschlag zur ländlichen Entwicklung an und beabsichtigt seinerseits, hierüber einen Dialogprozess anzuregen. Auf Grund der starren Haltung der Regierung, die für eine Landreform nicht die politischen Bedingungen gegeben sieht, muss dieser Dialog jedoch zum derzeitigen Zeitpunkt inhaltsleer und ohne Ergebnisse bleiben.
Die Vertretung der Agrounternehmer CONAGRO stellt einerseits Gemeinsamkeiten mit dem Vorschlag der CNOC fest – allerdings ohne anzugeben, wo diese liegen sollen – und betont andererseits die Gefahr einer Gewaltspirale, die von den Landbesetzungen und den Forderungen nach einer Agrarreform ausgeht. Tatsächlich mehren sich die Übergriffe und Bedrohungen gegen Personen, die im Bereich der Landproblematik aktiv sind. Während die Ermordung von lokalen AktivistInnen landloser Gruppen schon lange beinahe gängige Praxis ist, verstärken sich in jüngster Zeit auch die Bedrohungen gegen Organisationen und Personen, die auf nationaler Ebene in der Landfrage aktiv sind, wie etwa dem Forschungsinstitut AVANCSO oder dem Bischoff Ramazini, der als Leiter der Landpastorale in Landkonflikten zu vermitteln versucht. Es bleibt zu hoffen, dass die neuerlich beginnende gesellschaftliche Diskussion um die Landfrage nicht noch einmal durch Gewalt beendet wird.

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