El Salvador | Nummer 234 - Dezember 1993

Neue Terrorkampagne gegen die Opposition

Noch vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfes in El Salvador am 20. November haben die Todesschwadronen mit einer neuen Terrorkampagne gegen die politische Opposition begonnen. Die Abstände zwischen den Morden an FMLN-Mitgliedern werden immer kürzer, Ende Oktober wurden zwei hochrangige Repräsentanten der FMLN ermordet. Wie immer stellt die Regierung die Morde als “normale” Kriminalität dar und leugnet die Existenz von Todesschwadronen in El Salvador. Gleichzeitig wurden dem Präsidentschaftskandidaten der rechtsextremen Regierungspartei ARENA, Armando Calderón Sol, Verbindungen zu den Todesschwadronen nachgewiesen.

Michael Krämer

Der Mord an Francisco Veliz

Wie jeden Tag brachte Francisco Veliz am 25. Oktober seine eineinhalbjährige Tochter zum Kindergarten. Kurz nachdem er aus dem Auto gestiegen war, näherten sich zwei Männer, die aus einem rotem Pick-Up mit verdunkelten Scheiben gestiegen waren und schossen ihm aus nächster Nähe in den Kopf. Veliz brach tödlich getroffen zusammen, seine Tochter, die er in seinen Armen hielt, lag blutüberströmt neben ihm. Die Täter flohen in Begleitung weiterer Autos in ihrem Pick-Up – es wurde nichts gestohlen. Zwei Polizisten, die in unmittelbaren Nähe des Tatortes waren, gaben an, nichts bemerkt zu haben. Ein Mord in klassischer Manier der Todesschwadronen.
Francisco Veliz war während des Krieges in der Politisch-diplomatischen-Kommission der ehemaligen Guerilla FMLN und aktuell Vorstandsmitglied der PRTC (eine der fünf FMLN-Organisationen), Mitglied des Nationalrates der FMLN und Kandidat für die Hauptstadt San Salvador bei den Parlamentswahlen am 20. März 1994. Er war damit der bisher hochrangigste FMLN-Repräsentant, der seit Abschluß des Friedensvertrages Anfang 1992 ermordet wurde.
Nur zwei Tage später wurden zwei ehemalige KämpferInnen der FMLN in der Nähe des Guazapa-Vulkanes brutal ermordet. Die 18-jährige Justa Victoria Orellana Cortez wurde in ihrem Haus durch einen Schuß in den Kopf ermordet, als sie gerade ihr einmonatiges Baby stillte.

Die Diagnose der Regierung: Eifersuchtsdramen und Raubüberfälle

Im letzten Jahr wurden vier Mitglieder der FMLN von Todesschwadronen ermordet, in den ersten zehn Monaten diesen Jahres sind es bereits 21. Die Regierung hat offensichtlich kein Interesse, die Morde aufzuklären und den Ex-Guerilleros ausreichend Schutz zu gewähren. Ihr Tenor ist: es gibt keine Todesschwadronen mehr, die Morde seien auf Raubüberfälle, Eifersuchtsdramen oder persönliche Streitigkeiten zurückzuführen. Die Untersuchungen der Morde blieben bislang ergebnislos. Nach dem Mord an Francisco Veliz mußte Präsident Cristiani reagieren. Das diplomatische Corps verurteilte den Mord und Augusto Ramírez Ocampo, Chef der UN-Beobachtergruppe ONUSAL, nahm am Trauerzug für Veliz teil. Präsident Cristiani drückte öffentlich “sein Bedauern über die Vorfälle” aus und bat die Regierungen der USA, Spaniens und Großbritaniens um Unterstützung bei der Aufklärung der Morde.
Die Regierung kann die Existenz von Todesschwadronen nicht mehr glaubhaft bestreiten. Gleichzeitig kann sie aber kein Interesse an einer wirklichen Aufklärung der Strukturen der Todesschwadronen haben. Während des zwölfjährigen Krieges in El Salvador haben die Todesschwadronen immer eng mit den staatlichen “Sicherheitskräften” zusammengearbeitet. Die Kommandozentrale war beim militärischen Geheimdienst DNI und dem Generalstab angesiedelt, und es deutet nichts darauf hin, daß sich seit Abschluß des Friedensvertrages daran grundsätzlch etwas geändert hätte. Die Todesschwadronen sind für die Dreckarbeit zuständig: Folter, Mord und das Verschwindenlassen von politischen GegenerInnen.

Unmut an der FMLN-Basis

Auch die FMLN ist in einer verzwickten Situation. Nicht nur, daß ihre Mitgleder wieder Opfer der Todesschwadronen werden, beunruhigt die Führungsspitze der ehemaligen Guerilla. An der Basis wächst der Unmut über den Friedensprozeß. Vielen ehemaligen KämpferInnen geht es heute schlechter als während des Krieges. Es gibt bereits einige Gruppen, die sich gegen den erklärten Willen der FMLN-Spitze wiederbewaffnet haben und die Anschläge der Todesschwadronen nun ihrerseits mit Attentaten gegen Militärs, Großgrundbesitzer und bekannte Mitglieder von Todesschwadronen beantworten wollen, beziehungsweise teilweise bereits damit begonnen haben.
Der Mord an Comandante Carmelo

FMLN-Koordinator Shafik Handal bereitete sich gerade auf eine Reise zu einer Krisensitzung mit UN-Generalsekretär Boutros Ghali in New York vor, als die Ermordung von Heleno Hernán Castro Aviles bekannt wurde. Castro Aviles – bekannter unter seinem Guerillanamen Carmelo – war am 30. Oktober auf dem Weg zu einem Treffen mit Vertretern der Europäischen Gemeinschaft, als sein Wagen gerammt wurde, er anhalten mußte und aus nächster Nähe in Mund und Kopf geschossen wurde. Carmelo war während des Krieges einer der wichtigsten militärischen Chefs der FMLN-Organisation ERP gewesen. Als FMLN-Vertreter in der “Comisión de Tierras” war er für die Übergabe von Land an ehemalige FMLN-KämpferInnen vor allem in der Region Usulután zuständig, wo die Großgrundbesitzer wegen der guten Böden der Landübergabe besonders ablehnend gegenüberstehen. Carmelo hatte bereits seit einiger Zeit Todesdrohungen erhalten. ERP-Chef Joaquin Villalobos meinte dann auch bei der Beisetzung von Carmelo, daß “wahrscheinlich Großgrundbesitzer” für den Mord verantwortlich seien.
Der bekannte Anwalt José María Méndez, ein guter Freund des FMLN-CD Vizepräsidentschaftskandidaten Francisco Lima, erhielt von der berüchtigten Todesschwadron “Maximiliano Hernández Martínez” einen Brief mit der Aufforderung, Francisco Lima bis spätestens 15. Dezember zum Rücktritt von seiner Kandidatur zu bringen – andernfalls würde seine Familie entführt und seine Ehefrau ermordet. Auch Lima und seine Familie erhielten Todesdrohungen.

Die geheimen Dokumente der USA

Selbst die USA, die über Jahrzehnte jedes Verbrechen früherer Regierungen in El Salvador mitgetragen haben, geben jetzt an, sich an der Aufklärung der Morde und der Aufdeckung der Strukturen der Todesschwadronen beteiligen zu wollen. Der neue US-Botschafter in San Salvador, Alan Flanigan, sicherte der FMLN in einem Gespräch die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten zu, in denen genaue Verbindungen zwischen salvadorianischen Todesschwadronen und ihren Helfershelfern in den USA belegt werden. Die “Wahrheitskommission”, die im Auftrag der Vereinten Nationen bis zum März 1993 die Menschenrechtsverletzungen in El Salvador zwischen 198o und 1991 aufdecken sollte (vgl. LN 226), hatte noch vergeblich versucht, Einsicht in die brisanten Dokumente zu erhalten.

Von der Todesschwadron in den Präsidentenpalast?

Anfang November wurde Parteichef Armando Calderón Sol, bis vor kurzem noch Bürgermeister von San Salvador, offiziell zum Präsidentschaftskandidaten von ARENA nominiert. Calderón Sol gehört zum rechten Flügel innerhalb der Partei. Erst vor wenigen Wochen hatten elf inhaftierte Militärs, die bei der Amnestie im März 1993 nicht freigelassen wurden, im Gefängnis von Santa Ana ausgesagt, daß Calderón Sol früher selbst Mitglied einer Todesschwadron gewesen sei. Calderón Sol habe unter anderem mit dem im letzten Jahr verstorbenen ARENA-Gründer Roberto d’Aubuisson Anfang 1980 in der “Breiten Nationalistischen Front” (FAN) zusammengearbeitet. Die FAN hatte beispielsweise im März 1980 beschlossen, Bomben im Landwirtschaftsministerium, das wenige Tage vorher eine Agrarreform initiiert hatte, zu legen. Am 17. März 1980 explodierten tatsächlich Sprengsätze in den Büros des Landwirtschaftsministeriums in San Salvador, Zacatecoluca, Ahuachapan und San Miguel. Auf der entscheidenden Sitzung hatte auch Calderón Sol teilgenommen. Ziel der Aktivitäten der FAN war es, die “Regierungsjunta” zu destabilisieren und die bescheidenen Reformen, die die Junta in Gang gesetzt hatte, zu torpedieren.
Isidro López Sibrián, früher Offizier der berüchtigten Nationalgarde und seit 1986 wegen Entführungen – er war bereits seit 1984 aus der Nationalgarde entlassen- und illegalem Waffenbesitz inhaftiert, sagte in einem Interview, daß er bereits Anfang des Jahres der “UN-Wahrheitskommission” Angaben über Verbindungen von Politikern und Geschäftsleuten zu den Todesschwadronen gemacht habe, diese aber im Abschlußbericht der Kommission nur teilweise auftauchten.
Einiges weist darauf hin, daß die Wahrheitskommission gerade im Bereich der Todesschwadronen wichtige Informationen zurückgehalten hat, die führende salvadorianische Politiker aber auch die US-Administration belastet hätten. Calderón Sol ist einer von ihnen. Noch hat er gute Chancen, der nächste Präsident El Salvadors zu werden. Zumal in den weitgehend von der Regierung und der extremen Rechten kontrollierten Medien über Calderón Sols Beteiligung am rechten Terror gegen die Regierungsjunta Anfang 1980 nichts zu erfahren war. Im Fernsehen und in fast allen Radios wurden die Aussagen der in Santa Ana inhaftierten Militärs verschwiegen, nur die kleine Tageszeitung “Diario Latino” hatte darüber berichtet.

Cristiani leugnet und bestätigt ARENA-Beteiligung an den Todesschwadronen

Mitte November haben die USA tatsächlich wie angekündigt einen Teil der geheimen Dokumente des CIA und des Pentagon veröffentlicht. Diesmal kann die salvadorianische Regierung die Verbindung ihrer Leute zu den Todesschwadronen nicht mehr leugnen. Sowohl Calderón Sol als auch der derzeitige Vizepräsident, Francisco Merino, haben demnach Verbindungen zu den Todesschwadronen. Auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz verwahrten sich Cristiani, Merino und Verteidigungsminister Humberto Corado gegen die Beschuldigungen aus den USA. Dabei bestätigten sie aber indirekt die Richtigkeit der Enthüllungen, als Cristiani ankündigte, daß die Regierung juristisch prüfen werde, ob nicht eine Verletzung internationaler Verträge in Sachen Spionage vorliege.

Wir bitten darum, die beigeheftete Postkarte abzuschicken, um die Vereinten Nationen dazu aufzufordern, endlich alle Informationen über die Strukturen der Todesschwadronen offenzulegen und gemäß den Empfehlungen der “UN-Wahrheitskommission” eine genaue Untersuchung der Todesschwadronen durchzusetzen.

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