Neue Wege der Musica Popular Brasileira
Interview mit Chico Cécar
Wie sind deine Erfahrungen heute im Unterschied zu deiner ersten Tounee in Deutschland?
Das erste Mal war ich 1991 in Deuschland auf Tournee. Damals war ich nicht so bekannt und arbeitete noch als Journalist. Ich wurde vom Instituto Cultural Brasil-Alemanha eingeladen, zwei Konzerte auf dem Tübinger Straßenfest zu spielen, habe danach aber noch weitere Auftritte gehabt. Diese Reise war sehr wichtig, weil ich mich danach entschieden habe, mit dem Journalismus aufzuhören und mich nur mit Musik zu beschäftigen.
Die Reaktionen des Publikums hier waren so gut, daß ich dachte, es könnte in Brasilien ebenso gut laufen. Ich habe aber das Bedürfnis, geographisch mit dem Volk meines Landes in Verbindung zu sein. Jetzt bin ich wieder hier, allerdings unter viel besseren Bedingungen als damals, und mein drittes Album, „Beleza, Mano“ erscheint gerade in Brasilien, Deutschland, Frankreich und Japan.
Wie ist es für dich, hier mit deiner Band Cuscuz Clâ als Vorgruppe von Gilberto Gil zu spielen?
Gil ist ein Ast des sehr fruchtbaren Baumes der Música Popular Brasileira (MPB). Von diesem Ast bin ich ein Zweig, das heißt, ich gehöre zu einer neuen Generation von Künstlern, die Gils Weg sowie dem von Caetano Veloso und Djavan folgen.
Es gibt in Brasilien viele KritikerInnen, die dich mit Caetano vergleichen. Stimmt dieser Vergleich noch?
Immer weniger. Er selbst hat mir gesagt, daß ich mir nicht so viele Gedanken darüber machen sollte, auch Djavan wurde am Amfang wurde mit Gil, Milton Nascimento und Chico Buarque verglichen. Wenn man sich heute sein erstes Album hört, wird deutlich, daß er nur mit sich selbst verglichen werden kann. Dasselbe würde mit meiner Musik geschehen, meinte Caetano.
Glaubst du, daß die neuen Wege in der MPB vielleicht ihre Ursprünge in der politischen Öffnung Brasiliens haben könnten?
Ja. Und ich denke, es hat auch etwas mit Selbstbewußtsein zu tun. Es fing mit dem Amtsenthebungsverfahren von ex-Präsident Fernando Collor an, als die Leute gemerkt haben, daß sie ihr eigenes Schicksal in die Hände nehmen und wichtige Entscheidungen treffen könnten. Sie entdeckten, daß Brasilien viel Gutes zu bieten hat. Das gleiche gilt auch für Musik und Kunst. Außerdem nach sind die Gründe für diese neuen Wege auch in der „Entleerung“ des brasilianischen Rocks der 80er Jahre zu finden.
Von dieser Generation machen noch die Titas und die Paralamas do Sucesso weiter, aber schon vorher haben sie mit der MPB viel geflirtet. Lobâo macht heute MPB, Fernanda Abreu mischt Funk mit Sambabeats. Ich denke, daß die 90er Jahre das Ende der Ghettos signalisieren. Es gibt keine Rap-, Rock- oder pure MPB-Ghettos mehr. Alles wurde gemischt. Die Musik, die ich heute mache, oder die von Daude oder Lenine ist genau diese Stilmischung. Außerdem haben schon erfolgreiche Sängerinnen wie Maria Bethania, Daniela Mercury und Zizi Possi neue Komponisten in ihr Repertoire aufgenommen.
Wenn man an die Manguebit-Szene aus Recife denkt, die versucht die neuen Trends der weltweiten Popmusik mit traditionellen und regionalen Rhythmen zusammenzubringen, meinst du, daß das eine Art neuer Tropicalismus sein könnte?
Dieses Phänomen ist eigentlich nicht so neu. Zum Beispiel versuchte Pixinguinha, Chorinho mit Foxtrot zu mischen. Es ist witzig, daß trotz diesen Mischungen die Musik immer echt brasilianisch klang und klingt. Schließlich wurden nicht nur in Recife, sondern in ganz Brasilien die traditionellen Rhythmen wiederentdeckt. Der Manguebit hat aber nicht dieselbe Kraft wie der Tropicalismus, der ihm den Weg bereitet hat.