Musik | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

Neue Wege der Musica Popular Brasileira

Interview mit Chico Cécar

Ein ehemaliger Musikjounalist versucht, die alte Idee der brasilianischen Worldmusik, tropicalismo in die 90er zu transportieren. Er ist gerade zum zweiten Mal in Deutschland auf Tornee – jetzt schon als Brasiliens erfolgreichster Popstar. Seine Musik ist grenzenlos, sie geht vom Reggae, Funk, über die Ballade bis zum Experi­mentalismus und ist popig, ohne kommerziell zu sein. Ein perfekter Crossoverkünst­ler mit eigenen Ideen, von denen er seit Anfang seiner Karriere überzeugt war: Ein Brasilianer der 90er Jahre.

Marie Leâo, Alina Gonzalez

Wie sind deine Erfah­rungen heute im Unterschied zu deiner ersten Tounee in Deutschland?

Das erste Mal war ich 1991 in Deuschland auf Tournee. Da­mals war ich nicht so bekannt und arbeitete noch als Journalist. Ich wurde vom Instituto Cultural Brasil-Alemanha eingeladen, zwei Konzerte auf dem Tübinger Straßenfest zu spielen, habe da­nach aber noch weitere Auftritte gehabt. Diese Reise war sehr wichtig, weil ich mich danach entschieden habe, mit dem Jour­nalismus aufzuhören und mich nur mit Musik zu beschäftigen.
Die Reaktionen des Publi­kums hier waren so gut, daß ich dachte, es könnte in Brasilien eben­so gut laufen. Ich habe aber das Bedürfnis, geographisch mit dem Volk meines Landes in Ver­bindung zu sein. Jetzt bin ich wie­der hier, allerdings unter viel besseren Bedingungen als da­mals, und mein drittes Al­bum, “Beleza, Mano” er­scheint gerade in Brasilien, Deutsch­land, Frank­reich und Japan.

Wie ist es für dich, hier mit deiner Band Cuscuz Clâ als Vorgruppe von Gil­ber­to Gil zu spielen?

Gil ist ein Ast des sehr frucht­baren Baumes der Música Po­pular Brasileira (MPB). Von diesem Ast bin ich ein Zweig, das heißt, ich gehöre zu einer neuen Gene­ra­tion von Künstlern, die Gils Weg sowie dem von Ca­etano Ve­loso und Djavan fol­gen.

Es gibt in Bra­silien viele Kri­tikerInnen, die dich mit Cae­tano vergleichen. Stimmt dieser Vergleich noch?

Immer weniger. Er selbst hat mir gesagt, daß ich mir nicht so viele Gedanken darüber machen sollte, auch Djavan wur­de am Amfang wurde mit Gil, Mil­ton Nascimento und Chico Buarque verglichen. Wenn man sich heute sein erstes Al­bum hört, wird deutlich, daß er nur mit sich selbst verglichen werden kann. Das­selbe würde mit meiner Musik geschehen, meinte Caetano.

Glaubst du, daß die neuen Wege in der MPB viel­leicht ihre Ursprünge in der po­litischen Öffnung Brasiliens haben könn­ten?

Ja. Und ich denke, es hat auch etwas mit Selbstbe­wußtsein zu tun. Es fing mit dem Amts­enthebungsverfahren von ex-Präsident Fernando Collor an, als die Leute gemerkt haben, daß sie ihr eigenes Schicksal in die Hände nehmen und wichtige Ent­scheidungen treffen könnten. Sie entdeckten, daß Brasilien viel Gutes zu bieten hat. Das gleiche gilt auch für Musik und Kunst. Außerdem nach sind die Gründe für diese neuen Wege auch in der “Entleerung” des brasilianischen Rocks der 80er Jahre zu finden.
Von dieser Generation ma­chen noch die Titas und die Pa­ralamas do Sucesso weiter, aber schon vorher haben sie mit der MPB viel geflirtet. Lobâo macht heu­te MPB, Fernanda Ab­reu mischt Funk mit Sambabeats. Ich den­ke, daß die 90er Jahre das Ende der Ghettos signalisieren. Es gibt keine Rap-, Rock- oder pure MPB-Ghettos mehr. Alles wurde ge­mischt. Die Musik, die ich heute mache, oder die von Daude oder Lenine ist genau diese Stil­mi­schung. Außerdem haben schon erfolgreiche Sängerinnen wie Maria Bethania, Daniela Mer­cury und Zizi Possi neue Komponisten in ihr Repertoire auf­genommen.

Wenn man an die Man­guebit-Szene aus Recife denkt, die versucht die neuen Trends der weltweiten Popmusik mit tra­ditionellen und regionalen Rhyth­men zusammenzubringen, meinst du, daß das eine Art neu­er Tropicalismus sein könnte?

Dieses Phänomen ist ei­gentlich nicht so neu. Zum Bei­spiel versuchte Pixinguinha, Chor­inho mit Foxtrot zu mi­schen. Es ist witzig, daß trotz diesen Mischungen die Musik immer echt brasilianisch klang und klingt. Schließlich wurden nicht nur in Recife, sondern in ganz Brasilien die traditionellen Rhythmen wiederentdeckt. Der Man­guebit hat aber nicht die­selbe Kraft wie der Tropicalis­mus, der ihm den Weg bereitet hat.

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