Neuerscheinung mit alten Fehlern
Roberto Massari gehört zu jener Generation europäischer Intellektueller, die rund um das Jahr 1968 in Massen nach Kuba reisten, um Solidarität zu demonstrieren und um die Mechanismen einer Revolution zu studieren, die damals nicht nur im Trikont, sondern auch in der Linken der Industrienationen das Bewußtsein prägte. Aus dieser Zeit stammt auch, “in großen Zügen”, wie er uns wissen läßt, Massaris “Geschichte Kubas”. Und ganz im Geiste des Jahres 1968 ist sie gewidmet “den Menschen in Kuba, den Arbeitern und Arbeiterinnen, die diese Erfahrung unter Einsatz ihres eigenen Lebens oder mit ihrem täglichen Engagement möglich gemacht haben.” Die Frage ist jedoch, ob Massari diesen Arbeiterinnen und Arbeitern mit der vorliegenden Arbeit tatsächlich einen Dienst erwiesen hat.
Gewiß, wenn man auf etwa 150 Seiten die Geschichte eines Landes wie Kuba beschreiben will, eine Geschichte also, die mehr noch als diejenige vieler anderer Gesellschaften Lateinamerikas von den Erfahrungen von Conquista, Genozid, Encomienda und Sklavenhaltung, von kolonialer und neokolonialer Ausbeutung, von Imperialismus und Interventionismus geprägt ist, dann kann man dies nicht in aller Ausführlichkeit tun. Selbst dann nicht, wenn man auf das bisher letzte Kapitel dieser Geschichte, auf die Kubanische Revolution als Versuch mit all dem Schluß zu machen, verzichtet: Man muß Abstriche machen, kürzen. Daß man dabei aber ausgerechnet bei den Subjekten und Leidtragenden der Geschichte, bei den Vorfahren der “Arbeiter und Arbeiterinnen” also, ansetzt, ist gerade bei einem Autor, der nicht müde wird, seine Solidarität mit der Revolution zu betonen, nicht einzusehen.
Massari tut die Wirklichkeit der Conquista, die sich in Kuba in erster Linie als Ausrottung vollzog, in einem Halbsatz ab. Auf die über dreihundert Jahre hinweg praktisch unverändert unmenschlichen Lebensumstände afrikanischer und afroKubanischer Sklavinnen und Sklaven wird ebensowenig eingegangen wie auf diejenigen ihrer “moderneren” Nachfahren, der Zuckerarbeiterinnen und Zuckerarbeiter. Neokolonialismus tritt in erster Linie als wirtschaftliche Ausbeutung in Erscheinung, was zweifellos richtig ist, nur: kann man deswegen alle Folgen von Korruption über Repression und ständige Menschen-rechtsverletzungen bis hin zur Prostitution unerwähnt lassen?
Was Massari anstattdessen beschreibt, und hier liegen auch ohne Zweifel seine Stärken, ist Geistesgeschichte, Geschichte politischer Ideen, insbesondere im Hinblick auf ihren antikolonialen und emanzipatorischen Gehalt. Angefangen von den ersten Versuchen der mambises, im zehnjährigen Krieg 1868 – 1878 die Unabhängigkeit von Spanien zu erreichen, über den Klassiker José Martí, dem allein er gute zehn Seiten widmet, bis zum Angriff auf die Moncada – Kaserne 1953, den er etwas hochgegriffen als Beginn der castristischen Revolution bezeichnet, gelingt es ihm gut, die Denkweise und Motivation der bestimmenden Persönlichkeiten darzustellen. Leider vermeidet Massari es jedoch, den Brückenschlag zur politischen Theorie der Bewegung des 26. Juli zu vollziehen: Interessant wäre es in diesem Zusammenhang gewesen, zu erfahren, was etwa von den Ideen eines Julio Antonio Mella, der 1925 die KP Kubas gründete, was andererseits vom Gedankengut Eduardo Chibás’, des Gründers der orthodoxen Partei, der auch Fidel Castro entstammt, in die Revolution einfloß, was davon heute wie bewertet wird.
Massaris Arbeit gibt einen guten Überblick über antiimperialistische und revolutionäre Strömungen in Kuba, wobei der Schwerpunkt auf den 80 Jahren zwischen dem Beginn des zehnjährigen Krieges und dem Ende des zweiten Weltkrieges liegt. Alle anderen Bereiche der Kubanischen Geschichte werden nur kurz gestreift. Ein etwas weniger prätentiöser Titel, der dies auch zum Ausdruck brächte, hätte dem Werk besser angestanden.
Roberto Massari: Geschichte Kubas. Von den Anfängen bis zur Revolution. 157 ; 157 Seiten, Frankfurt/Main (dipa) 1992, ISBN 3-7638-0181-2