Bolivien | Nummer 369 - März 2005

Neun neue Minister für ein bisschen Ruhe

Die Autonomiebewegung in Santa Cruz zwingt Mesa zur Kabinettsumbildung

Die Unterstützung bröckelt, die Präsident Carlos Mesa während der letzten 16 Monate genoss. Im Februar vermochte nur eine weitreichende Neubesetzung des Kabinetts die Regierung an der Macht zu halten. Vor allem in In Santa Cruz ist Mesa unbeliebt. In der zweitgrößten Stadt des Landes sind nur14 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass Mesa seine Sache gut mache. Permanent sieht sich der Präsident gezwungen, auf den Druck der verschiedenen radikalen gesellschaftlichen Sektoren zu reagieren.

Blas Urioste

Die Lage in Bolivien bleibt spannend. Neun der insgesamt 16 Minister des Kabinetts von Präsident Carlos Mesa mussten kurz vor dem Karneval ihren Hut nehmen. Der Grund dafür war nicht, dass der Präsident eine Neubesetzung wollte, sondern dass verschiedene Akteure der Zivilgesellschaft den Wechsel vehement gefordert hatten. Bereits 24 Stunden nach Vereidigung des neuen Kabinetts musste Mesa ein erneute personelle Änderung vornehmen. Die von ihm zuerst ernannte Gesundheitsministerin María Teresa Paz, konnte zwar Erfahrung in der Gesundheitspolitik aufweisen, gehörte aber der diskreditierten Partei MNR (Nationalistisch-Revolutionäre Bewegung) des ehemaligen Präsidenten Sánchez de Lozada an. Die Gewerkschaft des Gesundheitswesens mobilisierte zu einem Streik, um ihren Amtsantritt zu verhindern. Die Ministerin sei nicht im Konsens mit den Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen ausgewählt worden, und außerdem als Mitglied der MNR eine Mörderin, lautete die Begründung der Gewerkschaft. Bei der Vereidigung der Nachfolgerin machte Mesa seinem Ärger Luft. Er beschwerte sich darüber, dass jede Gruppe partout die eigenen Interessen durchsetzen wolle und ihm dadurch keine Möglichkeit bliebe, irgendetwas zu entscheiden.

Die Personaldecke

Die Tatsache, dass der Präsident nicht einmal mehr in der Lage ist, das eigene Kabinett zu bestimmen, ist Ausdruck seiner schwierigen Lage. Ziel der Umbildung des Kabinetts – der größten seit dem Regierungsantritt im Oktober 2003 – war, die verschiedenen Bündnispartner der Regierung stärker einzubinden und gleichzeitig die Gegner zu besänftigen. Das ist allerdings keine leichte Aufgabe, angesichts der sehr dünnen Personaldecke, auf die Mesa zurückgreifen kann. Der parteilose Mesa will mit keiner der Parteien zusammenarbeiten, da er ihnen jegliche Repräsentativität abspricht. So ist es sehr schwierig, Menschen mit Erfahrung in der Politik für sein Projekt zu gewinnen. Dutzende haben das Angebot abgelehnt. Etliche weigern sich, in einer Gruppe zu arbeiten, die „keinen Plan besitze und wenn überhaupt, die Aufgabe einer politischen Feuerwehr übernommen habe“, wie aus Regierungskreisen zu hören war. Es ist daher nicht überraschend, dass die meisten Minister des alten und neuen Kabinetts sich aus dem Freundes- und Bekanntenkreis des Staatsoberhaupts rekrutieren. Einer der Minister stammt aus dem weiteren Beraterkreis des inoffiziellen Koalitionspartners und MAS-Vorsitzenden Evo Morales (Bewegung zum Sozialismus). Eine andere Quelle für die Berufung von MinisterInnen sind die Überreste der MBL (Bewegung Freies Bolivien). Die linksintellektuelle Partei regierte zusammen mit Sánchez de Lozada in den 90er Jahren und trat bei der letzten Wahl in gemeinsamen Listen mit der MNR an. Die MBL stellt zur Zeit vier Minister und verdankt ihre Macht zwei Faktoren: der persönlichen Freundschaft vieler ParteigenossInnen mit Mesa und der wichtigen Rolle einiger ihrer Führungspersönlichkeiten bei dem Sturz ihres ehemaligen Bündnispartners Sánchez de Lozada.
Gleich mehrere der zurückgetretenen MinisterInnen werden zukünftig als BeraterInnen an Mesas Seite weiterarbeiten. Der Präsident musste in einigen Fällen AnwärterInnen aus der zweiten Reihe ins Ministeramt heben, wollte jedoch auf ihm nahestehende MitstreiterInnen nicht verzichten. In Hinblick auf die kommende Politik der Regierung wird dadurch vor allem eines deutlich: der Wechsel ist voraussichtlich nicht inhaltlicher Natur.

Autonomie oder Constituyente

Zurzeit sind die Diskussionen um die geplante Verfassungsgebende Versammlung und die Autonomiebestrebungen hauptsächlich im Osten des Landes die Hauptthemen auf der Regierungsagenda. Noch zum Jahreswechsel war das nicht vorauszusehen. Bis dahin war die Frage der Autonomie für Regierung und Öffentlichkeit eher zweitrangig und die Diskussion um die Verfassungsgebende Versammlung erhitzte die Gemüter. Am 28. Januar, als sich je nach Quelle zwischen 150.000 und 350.000 Menschen in Santa Cruz versammelten, um Autonomie für ihr Departement zu fordern, änderte sich das rasch. Plötzlich trauten sich öffentliche Persönlichkeiten, die Notwendigkeit einer Verfassungsgebenden Versammlung vor 2007 in Frage zu stellen, andere sogar, das ganze Unterfangen für unnötig zu erklären.
Das Departement Santa Cruz ist die reichste Region des Landes. Hier wird 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet. Zahlreiche Cruceños fordern nun einen Dezentralisierungsprozess nach dem spanischen Modell der autonomías. Die Region will also in Santa Cruz die Steuern zum Teil selbst erheben und verwalten.
Obwohl Mesa nach seinem Amtsantritt versprochen hatte, sich der Sache anzunehmen, vernachlässigte er sie angesichts anderer Themen, die ihm dringlicher erschienen. Besonders pikant ist das Ganze, weil außer Santa Cruz auch Tarija nach Autonomie streben könnte, wenn Santa Cruz Erfolg haben sollte. Damit wären die beiden Departements, die über die meisten Erdgasvorkommen verfügen, wichtige Entscheidungsträgerinnen in der Steuergesetzgebung und in der Zukunft des wichtigsten Industriezweigs. Darüber, wie mit dem Erdgas politisch zu verfahren sei, würde nicht mehr die Zentralregierung und das Parlament in La Paz alleine befinden. Die Fragen bezüglich der Konditionen des Exports und die Verstaatlichung oder höhere Besteuerung der Erdgasförderung waren zentrale Punkte im Streit, der 2003 zum Sturz von Sánchez de Lozada geführt hatte. Für die Hauptakteure der Revolte von Oktober 2003 würde dies eine herbe Niederlage bedeuten. Deshalb organisieren sie sich, um die Autonomie von Santa Cruz zu verhindern.

Neuer Akteur…

Santa Cruz wartete lange Zeit ab und beobachtete, wie die Forderungen anderer Sektoren erfüllt wurden. Die Cruceños identifizieren sich traditionell sehr stark mit ihrer Region. Dabei spielt die Ablehnung des Zentralismus eine wichtige Rolle. Diese Identität konnte aufgrund mangelnder Angebote der Regierung politisch genutzt werden und führte so zur Bildung einer neuen Front gegen die Regierung Mesa. Anfänglich drohte die Führung von Santa Cruz mit einer einseitigen und verfassungswidrigen Autonomieerklärung. Dies wurde verhindert, indem der Präsident einlenkte, nur einen Tag nachdem er seinem Kabinett versichert hatte, dass er in dieser Frage auf keinen Fall nachgeben würde. Er versprach ein Referendum zur Frage der Autonomie und rief zu direkten Wahlen der Departmentsregierungen auf. Die Führung von Santa Cruz verlangte aber weitere Opfer, darunter den Rücktritt einiger Minister. So wurde Mesa zur Entlassung seiner MitarbeiterInnen gezwungen.

…oder neues Gesicht?

In vielen politischen Analysen wird in diesem Prozess ein Wiedererstarken der Kräfte gesehen, die im Oktober 2003 die Macht verloren haben. Die traditionellen politischen Parteien büßten mit dem Sturz der Regierung Sánchez de Lozada stark an Legitimation und Ansehen ein. Gemeinsam mit weiten Teilen der Unternehmerschaft und den gesellschaftlichen Kräften, die die überwiegend neoliberalen Reformen der letzten 20 Jahre unterstützt haben, beginnen sie sich jetzt anscheinend wieder zu artikulieren. Immerhin hatten zuvor über 75 Prozent der WählerInnen kontinuierlich für Parteien gestimmt, die diese Reformen mit trugen. Die Initiative zur Diskussion über die Zukunft des Landes liegt nicht mehr allein bei denjenigen, die in La Paz und El Alto Sánchez de Lozada stürzten. Es sollte nicht vergessen werden, dass die MNR in den meisten Departements im Ostens des Landes bei den letzten Wahlen die Mehrheit stellte oder wie in Tarifa zweitstärkste Partei wurde. Im Oktober 2003 ging in diesen Regionen das Leben ganz normal weiter, während in El Alto und La Paz gekämpft wurde.
Während Felipe Quispe die Ausweisung „aller Juden, Kroaten und Libanesen“ fordert – in Anspielung auf die Herkunft vieler Führungspersönlichkeiten aus Santa Cruz – will Evo Morales hinter der Bewegung im Osten „oligarchische Machenschaften“ erkannt haben. „Wir sind 300.000 Oligarchen“ antworteten die selbstbewussten autonomistas. In dieser Diskussion spielt die Regierung Mesa eher eine Zuschauerrolle. Sie versucht, wie eine Trapezkünstlerin die Zeit zu überbrücken, bis eine dieser Seiten das Machtspiel für sich entscheiden kann. Alle hoffen, dass die Entscheidung mit der Verfassungsgebenden Versammlung kommen wird, wann immer diese auch stattfindet. Spätestens 2007 wird es soweit sein, dass beide Blöcke sich zur Wahl stellen. Bis dahin wird Mesa noch öfters nachgeben müssen. Denn er hat bewusst darauf verzichtet, eigene Entscheidungen mit Gewalt durchzusetzen. Das wissen beide Seiten und versuchen so, die jeweils eigene Position so weit wie möglich zu stärken, um am Ende als Sieger dazustehen. Es gibt keine Agenda der Regierung, sondern lediglich Forderungskataloge der KontrahentInnen. Mesa steht dazwischen, muss beide Seiten bedienen und kann nur abwarten.


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