Honduras | Nummer 430 - April 2010

„Nichts als hohle Phrasen“

Interview mit Bertha Oliva, Gründerin des Komitees der Angehörigen von Verhaftet-Verschwundenen in Honduras (COFADEH)

Auch nach dem Machtantritt des neuen Präsidenten Porfirio Lobo geht die Verfolgung Oppositioneller in Honduras weiter. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit der Menschenrechtsverteidigerin Bertha Oliva über die aktuelle Situation.

Interview: Tobias Lambert und Marius Zynga

Am 27. Januar hat Porfirio Lobo das Präsidentenamt in Honduras übernommen. Hat sich dadurch an der seit dem Putsch desolaten Menschenrechtslage etwas geändert?
Die Regierung, die in direkter Folge des Putsches vom 28. Juni 2009 steht, hat bisher kein einziges echtes Signal gegeben, wie sie die Menschenrechte verteidigen, schützen, stärken oder fördern will. Im Gegenteil, ich glaube, dass es nach gut einem Monat bereits genügend Belege gibt, um sagen zu können, dass die Rhetorik der aktuellen Regierung nichts als hohle Phrasen beinhaltet.

Wie klingt die Rhetorik?
Die Regierung hat die Einrichtung einer Wahrheitskommission angekündigt. Lobo redet von nationaler Versöhnung und dem Respekt für die grundlegenden Rechte von Männern und Frauen. Es zeigt sich aber, dass er weit davon entfernt ist, diesen Diskurs in die Praxis umzusetzen. Es gibt weiterhin selektive Verfolgungen und systematische Verletzungen der Menschenrechte. Die Einrichtung der Wahrheitskommission wird das Problem nicht lösen. Das einzige, was diese tun wird, ist, den Putsch und die Menschenrechtsverletzungen rein zu waschen und somit zu erlauben, dass diese Situation, in der Menschenrechte systematisch verletzt werden, fortbesteht. Die Mitglieder der Kommission sind keineswegs unparteiisch, sondern stehen auf der Seite der Regierung und haben den Putsch mitgetragen. Letztlich wurden Organisationen wie unsere weder eingeladen, an der Wahrheitskommission teilzunehmen, noch wurde nach unserer Meinung dazu gefragt.

Was genau werfen Sie der Regierung in puncto Menschenrechtsverletzungen vor?
Die Regierung Lobo war allein in ihrem ersten Monat für über 250 Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Angefangen mit Vergewaltigungen von Frauen durch Mitglieder der Polizei und des Militärs bis hin zu politischen Morden. Bis Anfang März wurden bereits fünf Mitglieder der Widerstandsbewegung gezielt getötet. Drei der Ermordeten sind Gewerkschaftsmitglieder, die anderen beiden Bäuerinnen. Das zeigt uns, dass es ideologische Verfolgungen und ein systematisches Vorgehen gibt. Neben illegalen, willkürlichen Verhaftungen finden temporäre Entführungen statt, wobei Leute gefoltert und anschließend wieder freigelassen werden. Zudem gibt es Hausdurchsuchungen im Morgengrauen, obwohl diese laut Gesetz vor sechs Uhr morgens verboten sind.

In welchen Orten finden diese Durchsuchungen statt?
Diese Aktionen finden vor allem an jenen Orten statt, wo die Widerstandsbewegung am stärksten ist. Wir sind sehr besorgt darüber, dass die Durchsuchungen mittlerweile im Beisein von Beamten der Staatsanwaltschaft vollzogen werden. Dadurch soll vorgegaukelt werden, dass keine Menschenrechte verletzt würden. Aber sie legalisieren diese Verletzungen der Menschenrechte. Das ist ein großer Unterschied, der uns Angst macht. Mit Respekt vor den Menschenrechten oder Versöhnung hat das alles nichts zu tun, sondern damit, die Honduraner einzuschüchtern und die Widerstandsbewegung zu zerschlagen.

Wie sieht in einer solch schwierigen Situation die konkrete Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie COFADEH aus?
Die große Notwendigkeit ist es, das Leben derer zu schützen, die sich im Widerstand befinden, beziehungsweise derer, von denen die Agenten des Staates denken, sie seien Teil der Widerstandsbewegung. Um Fälle von Bedrohungen und Einschüchterungen öffentlich zu machen und die Leute zu schützen, brauchen wir eine gewisse Logistik. Außerdem leisten wir juristische Unterstützung für diejenigen, die Opfer der staatlichen Repression geworden sind. Das ist für uns die schwierigste Arbeit, weil sich nur wenige Organisationen darum kümmern.

Wieviele Rechtsfälle werden derzeit betreut?
Es gibt zum Beispiel mehr als 140 Personen, die beschuldigt werden, die Sicherheit des Staates gefährdet zu haben. Für einen großen Teil von ihnen haben wir die Verteidigung übernommen. Durch das Amnestiegesetz der Putschisten könnten einige der vorgeworfenen Delikte vergeben werden. Sich diesem Gesetz zu unterwerfen, würde aber bedeuten, die konstruierten Straftaten anzuerkennen, obwohl die Anschuldigungen vor unabhängigen Richtern niemals Bestand hätten. Wer sich eine vermeintliche Gefährdung der Sicherheit amnestieren lässt, gibt damit eine Mitschuld zu und hätte dann nicht mehr die Möglichkeit, den Staat später für die begangenen Menschenrechtsvergehen zu verklagen. Das ist ein gefährliches Spiel, dem wir uns juristisch, politisch und vor allem menschlich widersetzen müssen.

Inwiefern wird die Arbeit der MenschenrechtsverteidigerInnen in Honduras behindert?
Etwa die Hälfte unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden bisher verfolgt, bedroht oder persönlich angegriffen. Das Büro von COFADEH wurde nach dem Putsch von Polizisten mit Tränengas attackiert. Das alleine schränkt die Arbeit schon enorm ein. Wir Menschenrechtsverteidiger werden angefeindet, weil wir nicht akzeptieren wollen, dass die Putschisten befehlen, dass sie es sind, die das Schicksal und die Freiheit der Menschen dieses Landes in ihren Händen halten. Das hat bereits einen Menschenrechtsverteidiger, Walter Tróchez, das Leben gekostet (Tróchez wurde am 13. Dezember im Zentrum der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa ermordet; Anm. d. Red.).

Von welchen Gruppen geht diese direkte Bedrohung aus?
Es gibt in Honduras Paramilitärs und Todesschwadronen. Der Widerstand hingegen ist friedlich, eine Bewegung der Ideen. Das stört die Machthaber am meisten. Es würde mich nicht wundern, wenn sie versuchen, einen kleinen Teil der Widerstandsbewegung zu infiltrieren und mit Waffen zu versorgen, um eine noch stärkere Repression zu rechtfertigen.

Welche Ziele verfolgt die Widerstandsbewegung zur Zeit?
Das Hauptziel der Widerstandsbewegung besteht darin, mittels einer verfassunggebenden Versammlung einen neuen Gesellschaftsvertrag zu erreichen. Daran müssten alle sozialen Sektoren in Honduras mitarbeiten. Um das durchzusetzen, gibt es andere Ziele, wie die Organisierung und politische Weiterbildung der Mitglieder der Widerstandsbewegung.

Und darüber hinaus?
Es ist notwendig, mittels Mobilisierungen auf nationaler und regionaler Ebene Präsenz zu zeigen. In der Widerstandsbewegung laufen alle Kräfte zusammen. Politische, organisatorische und auch nicht-organisatorische. Denn nicht die gesamte honduranische Bevölkerung ist organisiert oder gehört einer Organisation an. Es gibt viele, die durch die Repression der Sicherheitskräfte politisches Bewusstsein erlangt haben. Mit dieser sozialen Basis des Widerstandes muss man darauf setzen, dass die Regierung Lobo einsieht, dass es sich um eine politische und soziale Kraft handelt, die in Bewegung ist und nicht einfach verfolgt werden kann. Ich glaube, die Widerstandsbewegung nicht als politische Kraft anzuerkennen, ist bisher einer der größten Fehler, den Lobo begangen hat. Denn das bedeutet, die Realität des Landes nicht anzuerkennen.

Der Putsch wurde letztes Jahr von fast allen Ländern der Welt verurteilt. Nun scheint es so, als würde die Regierung Lobo bald weitgehend anerkannt werden. Wie beurteilen sie die internationalen Reaktionen?
Für mich zeigt sich hier eindeutig die Schwäche, Unfähigkeit und Ineffizienz der Vereinten Nationen. Die Länder und Länderblöcke der Welt müssten die Kontrolle über die Situation zurückgewinnen. Das könnte auf diplomatischem Wege oder mit Hilfe der Einberufung einer Versammlung geschehen. So wie im Block über die Nicht-Anerkennung der Putsch-Regierung von Micheletti entschieden wurde, sollte auch im Block entschieden werden, ob die neue Regierung anerkannt wird oder nicht. Stattdessen passiert dies unilateral. Wer soll so noch Vertrauen in die Vereinten Nationen haben? Wofür sind diese gut, wenn sich letztlich sowieso die Position der USA durchsetzt? Für mich ist dies eine ungeheure Respektlosigkeit gegenüber der honduranischen Bevölkerung. Die systematischen und wiederholten Verletzungen der Menschenrechte müssten meiner Meinung nach auf die internationale Agenda gesetzt werden. Doch die internationale Gemeinschaft zeigt keinerlei Besorgtheit.

Woran liegt das?
Die meisten Informationen über die Situation in Honduras kommen über die honduranischen Massenmedien, die den Putsch ja unterstützt haben. Die Desinformation geht so weit, dass fast alle Medien davon sprechen, dass die Verfassungsmäßigkeit, die Ruhe und der Frieden nach Honduras zurückgekehrt seien. Das ist aber völlig falsch. Weder gibt es Ruhe noch Frieden, noch ist die verfassungsmäßige Ordnung wieder hergestellt. Dafür hätte der Putsch rückgängig gemacht werden müssen. Sie haben aber lediglich undemokratische Wahlen veranstaltet.

Auch die Europäische Union (EU) steht kurz vor einer Anerkennung der Regierung. Die spanische Regierung ist bereits vorgeprescht, obwohl sie den Putsch im vergangenen Jahr noch deutlich verurteilt hatte …
Die EU will bis zum EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai in Madrid das geplante Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika ausgehandelt haben. Genau deshalb besteht die Eile, die honduranische Regierung anzuerkennen, obwohl diese gegen Menschenrechte verstößt. Man darf nicht vergessen, dass Lobo ein Präsident der Unternehmer und daher für den Freihandelsvertrag ist. Aber es ist eine Respektlosigkeit gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten der EU, wenn die spanische Regierung Lobo als Präsident anerkennt, ohne dies innerhalb der EU abgesprochen zu haben. Jedes einzelne EU-Land sollte gegen diesen Machtmissbrauch protestieren.

KASTEN:

Bertha Oliva

Die Menschenrechtsverteidigerin Bertha Oliva de Nativí ist Gründerin sowie Koordinatorin des Komitees der Familien von Verhaftet-Verschwundenen (COFADEH). 1981 wurde ihr Ehemann Tomás Nativí, Gründer der Revolutionären Volksunion (URP), von seinem Haus in Tegucigalpa entführt und ist seitdem „verschwunden“. COFADEH setzt sich für die Verteidigung von Menschenrechten, die Aufklärung der Verbrechen und die Reform des politischen Systems in Honduras ein. Bertha Oliva erhielt mehrmals Einschüchterungen und Drohungen für ihre Menschenrechtsarbeit. 2001 wurde sie mit dem vom honduranischen Menschenrechtsbeauftragten ausgeschriebenen „Nationalen Menschenrechtspreis“ ausgezeichnet. Seit dem Putsch im Juni 2009 hat die Bedeutung der Arbeit von COFADEH noch zugenommen.

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