Oaxaca – Frauen in Bewegung
„Trotz Angst sind wir Frauen weiter dabei!”
Wir mussten improvisieren.“ Patricia Jiménez Alvarado, Pressesprecherin der Koordination der Frauen von Oaxaca COMO, beschreibt im Gespräch den Alltag im besetzten Fernsehsender. „Die Arbeit war schwierig, denn die meisten von uns hatten so etwas noch nie gemacht. Doch es gab sehr viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Wir gründeten Kommissionen, für Finanzen, Lebensmittelversorgung, Pressearbeit, Sicherheit, in die sich die Frauen aufteilten. Oft hatten wir Angst und trauten uns nicht hinaus, weil wir als aktive Frauen nun sichtbar und angreifbar waren.“
COMO ist die einzige reine Frauenorganisation in der APPO (siehe Kasten). Hervorgegangen aus einer Frauendemonstration am 1. August 2006, der marcha de las cacerolas – des Kochtopfmarschs –, besetzten mehrere Hundert Frauen spontan den regionalen staatlichen Fernsehsender Canal 9. Nach zum Teil handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Belegschaft begannen die Frauen mit der Ausstrahlung eines selbst gestalteten Programms. Sie konnten damit sowohl den diversen Sektoren der am Aufstand Beteiligten eine Stimme geben als auch den Lügen der Regierungssender etwas entgegen setzen. Doch die Repression blieb nicht aus. „In unsere Autos und Häuser wurde eingebrochen, wir wurden per Telefon beschimpft und wir erhielten Morddrohungen,“ berichtet Patricia Jiménez. „Doch wir haben durchgehalten. Wir haben gemeinsam geweint und uns dann gegenseitig wieder aufgebaut. Es war ein Zusammenhalt, den ich zuvor nie erlebt hatte.“ Dabei seien sie so verschieden, sagt sie. Nicht nur organisierte Frauen wie sie aus der Lehrergewerkschaft seien dabei gewesen. Auch Marktfrauen, Unternehmerinnen, junge Studentinnen und Arme aus den Vororten stießen dazu. „Viele sagten uns, wie stolz es sie machte, dass wir einfach im Fernsehen auftraten und sprachen. Auf den Demos liefen sie vorn, malten Parolen an die Wände, wachten an den Barrikaden. Unser Leben änderte sich zu 100 Prozent. Es war eine klare Entscheidung mitzumachen.” Durch die Besetzung haben mehr Frauen Mut gefasst, öffentlich das Wort zu ergreifen, glaubt sie.
Frauenpower
Ähnlich sieht das Elena, eine junge Studentin vom Land, die dem 200-köpfigen Koordinationsrat der APPO angehört. Seit Beginn der Besetzung des Uniradios war sie begeistert mit dabei: „Ich habe durch meine Mitarbeit im Uniradio, das wir mit circa 300 Leuten betrieben, viel mitbekommen. Zu uns kamen Frauen, die niemals zuvor öffentlich gesprochen hatten. Sie sagten ihren Ehemännern, dass sie sich ihr Essen selbst zubereiten sollten, wenn sie Hunger hätten. Sie erkannten, dass auch sie stark sind und die Bewegung gegen Ulises Ruiz unterstützen können; nicht nur die Männer, die an den Barrikaden standen. Zum Teil waren Paare in den gleichen Gruppen aktiv, für sie war es leichter. Andere mussten sich gegen ihre Familien durchsetzen. Aber allen war klar: Wir haben als Frauen eine Stimme, wir können nicht auf die Männer hören, wenn wir mitmachen wollen.”
Die diversen von der APPO betriebenen Radiosender waren für die Mobilisierungen auf den Straßen Oaxacas von immenser Bedeutung. Immer wieder wurden sie von Paramilitärs zerstört und ihre BetreiberInnen angegriffen. Doch Elena berichtet, wie ihre Angst mit jeder Aktion schwand. Auch auf dem Land hätten plötzlich mehr Frauen mitgemacht. Sie seien zu den Großdemonstrationen gefahren und hätten die Regierungsgebäude verschiedener Landkreise besetzt. „Dabei waren und sind die Forderungen dieselben, ob Frauen, Männer, Kinder, Alte: Weg mit Ulises Ruiz, her mit den Gefangenen, endlich Gerechtigkeit und Demokratie!“.
Der Kampf gegen den Machismo sei hart und lang, sagt Elena. Innerhalb der APPO hätten sie zumindest einen Frauenanteil von mindestens 30 Prozent im Koordinationsrat durchsetzen können. Zugleich ist die Angst vor erneuter Repression auch heute allgegenwärtig. „Doch wir Frauen sind trotzdem weiter dabei!“, sagt sie kämpferisch.
Frauen im Untergrund
Etliche Frauen mussten bis heute aus Angst vor einer drohenden Festnahme oder wegen Morddrohungen ihre gewohnte Umgebung, ihre Familien und die Arbeit in ihren Organisationen verlassen. So etwa Berta Muñoz, Ärztin und Universitätsdozentin aus Oaxaca. Sie hatte die Verarztung der Verletzten koordiniert, als die Bundespolizei PFP Ende November 2006 die Bewegung angriff. Zuvor schon war sie durch ihre Mitarbeit im subversiven Uniradio zu einer Ikone des Widerstands geworden. Täglich hatte sie ihre Stimme gegen den Gouverneur erhoben. Sehr viele kannten und bewunderten sie.
Gegen Muñoz liegt nun offenbar ein Haftbefehl vor – so wie fast gegen die gesamte Führung der APPO. Im Interview mit der Internationalen Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte CCIODH sagte sie: „Am 28.11.06 hatte ich mich entschieden unterzutauchen. Es gab sogar Drohungen und Gerüchte, dass sie mich verschwinden lassen wollen. Ruiz’ Mörderbanden, die in Zivil und vermummt schon einige von uns umbrachten, haben mich im Auge, wahrscheinlich wegen meiner Arbeit am Radio. Auch meine erwachsenen Kinder, die ebenso wie ich bedroht wurden, sind seitdem an unterschiedlichen, geheimen Orten. Ich kann sie leider nicht sehen.“
Indigene AnarchistInnen
Dolores Villalobos Cuamatzin ist Sprecherin des Indigenen Rats der Völker Oaxacas/Ricardo Flores Magón (CIPO/RFM), benannt nach einem Anarchisten, der während der Mexikanischen Revolution für die Rechte der indigenen Bevölkerung stritt. Wie viele indigene Frauen ist sie in der APPO aktiv. Für sie ist der Aufstand im Sommer letzten Jahres „eine Explosion vergangener Ereignisse“. „Es gab keine Lösung für die vielen Probleme: die Landfrage, Wasserprivatisierung, Umwelt zerstörende Großprojekte, Ungerechtigkeit; weder in der Stadt noch auf dem Land.“
Der CIPO ist seit langem in 13 Landkreisen aktiv. Sein Ziel ist, die demokratischen indigenen Traditionen der dörflichen Selbstverwaltung zu bewahren und weiter zu entwickeln und „Gerechtigkeit von unten aufzubauen, ohne die korrupten Parteien“. Daher habe sich der CIPO dem Aufstand angeschlossen, so Villalobos. Mittlerweile sei er in der APPO eine treibende Kraft geworden. „Die lange Erfahrung der indigenen Dörfer im Widerstand und in der Selbstorganisierung sind wertvoll in diesem breiten und vielfältigen Bündnis, das die APPO darstellt. Wir müssen anfangen, eigene Strukturen aufzubauen, ganz praktisch im Alltag, nicht nur theoretisieren. Daher unterstützen wir die Idee der Autonomie, die von der zapatistischen Bewegung vorangetrieben wird, und nicht den naiven Glauben an rein parlamentarische Veränderungen.“
Die meisten Frauen, die in der Bewegung aktiv wurden, erfuhren bald staatliche oder paramilitärische Gewalt. Immer wieder wurden AktivistInnen bedroht, geschlagen, festgenommen und sogar ermordet. Die CCIODH spricht von 23 Toten im Kontext des Konfliktes. Auf dem Höhepunkt der Repression, am 25. November 2006, wurden mehr als 220 Menschen durch die Bundespolizei PFP auf den Straßen Oaxacas willkürlich verhaftet, darunter 88 Frauen. Im Zuge dessen bildeten sich mehrere Vereinigungen, in denen Angehörige, AnwältInnen und Mitglieder der APPO aktiv wurden. Eine davon ist die Kommission der Angehörigen von Verschwundenen, Inhaftierten und Ermordeten (Cofadappo). Sprecherin Yolanda Gutiérrez Ortiz erzählt, wie sie dazu kam, sich einzumischen: „Mein Sohn wurde am 25.11. festgenommen, daher bin ich aus der Hauptstadt angereist. Nie hätte ich gedacht, dass unser Staat so mit den Menschen umgehen kann! Ich habe mein Leben gelebt und war nie besonders politisch interessiert oder kritisch eingestellt. Nun sehe ich, was wirklich los ist in Mexiko und ich schäme mich dafür. Mit meinen 47 Jahren fange ich an aktiv zu werden. Mein Sohn sitzt im Gefängnis und ist erstaunt, dass seine Mutter sich so entwickelt hat.“ Seitdem steht Yolanda der Presse Rede und Antwort, geht zur Rechtsberatung und demonstriert mit vielen anderen Betroffenen vor den Gefängnissen. Am 13. Januar wurde sie nach einer harmlosen Aktion sogar von der Polizei mit dem Tode bedroht: „Wir versuchten zu flüchten, als die Polizei den Kundgebungsplatz und die Mahnwache vor dem Knast räumte. Es gab willkürliche Festnahmen. Stundenlang mussten wir, in der Mehrzahl Frauen, in den Büschen hocken. Wir wollten Hilfe holen. Doch an wen wendet man sich in solch einem Fall? An die Polizei, die gerade vermummt eine friedliche Kundgebung aufmischt? Als sie uns aufstöberten, wurde mir ein Gewehr in die Seite gestoßen und gedroht, dass dies mein Ende sei. Aber wir lassen uns von diesem faschistoiden Terror nicht einschüchtern. Wir werden weitermachen, bis alle Gefangenen frei sind und Ulises Ruiz endlich abtritt!“
Kasten:
Die APPO in Oaxaca
Die Volksversammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) ist sehr heterogen. Neben sozialen Organisationen, indigenen Gemeinden und politischen Gruppierungen haben sich Tausende von unorganisierten, vor allem marginalisierten Menschen aus den Vororten von Oaxaca-Stadt seit Sommer 2006 der Bewegung angeschlossen. Entgegen den herrschenden patriarchalen Vorstellungen beteiligten sich Frauen massiv und selbstständig in der APPO. Doch der Staat antwortet auf die soziale Bewegung für Demokratie und Gerechtigkeit mit Repression und Kriminalisierung. Hunderte von AktivistInnen landeten wegen fingierter Delikte hinter Gittern, etliche verschwanden spurlos, wurden in den Untergrund gedrängt oder sogar umgebracht. 23 Tote zählt der Konflikt bis heute. Auf Bestrafung der Schuldigen und gerechte Gerichtsprozesse gibt es wenig Hoffnung. Im Moment versucht die APPO, sich zu reorganisieren, die Ereignisse auszuwerten, auf den Straßen Präsenz zu zeigen und die Kriminalisierung zurückzudrängen.
Weitere Infos:
APPO: www.asambleapopulardeoaxaca.com
Bericht der CCIODH: http://cciodh.pangea.org