Entwicklungspolitik | Nummer 231/232 - Sept./Okt. 1993

Ökologische Rückkehr zu Malthus

Simone Bröschke

Die bevölkerungspolitische Debatte heute

T. R. Malthus’ Geist treibt auch nach seinem Tod 1830 weiter sein Unwesen. Malthus’ “Kampf ums Dasein” wurde im 19. Jahrhundert von Darwin ins Tierreich übertragen und schließlich von den Sozialdarwinisten wiederum auf die Gesellschaft angewandt. Nach 1922 wurden in den USA und Großbritannien Geburten per Gesetz geregelt. Die “Qualität” des Nachwuchses statt “Quantität”- das Streben nach qualitativ hochwertiger menschlicher Ressource, gut ausgebildetem “Ausgangsmaterial” statt purer Masse beeinflußt – nicht nur zu jener Zeit – die eugenischen Überlegungen.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beziehen sich bevölkerungspolitische Maßnahmen vorerst noch auf nationale “Probleme”, die Vermehrung der “minderwertigen” internen Bevölkerung sollte gestoppt werden. Erst in der Nachkriegszeit treten die Entwicklungsländer in den Vordergrund des Interesses der Industrieländer in bevölkerungspolitischen Fragen. Das Wachstum der Weltbevölkerung ist den westeuropäischen Ländern und den USA seither ein Dorn im Auge. Der Mythos, daß Bevölkerungskontrolle die Lösung für Probleme wie Armut und (neu im Denken) Umweltzerstörung schafft, sitzt fest.
Die typischen Vorstellungen und Positionen über Folgen der “Bevölkerungsexplosion” kreisen meist um folgende Überlegungen: “Überbevölkerung” wird in der Entwicklungspolitik häufig als Ursache für “Unterentwicklung” angegeben; An ihr scheitern die Bemühungen, die Lebensbedingungen in der Dritten Welt zu verbessern. Die Folgen weltweiter Verteilungsungerechtigkeiten werden dem “Problemfeld” Bevölkerungswachstum zugeschrieben. Darum werden immer mehr Entwicklungshilfegelder für familienplanungs- bzw. bevölkerungspolitische Programme reserviert. So startete 1969 die Weltbank erste bevölkerungspolitische Programme in Kenia und 1972 richtete die WHO spezielle Programme zur Erforschung neuer Verhütungsmittel ein – eine umfangreiche Versuchsreihe an armen Frauen in den Entwicklungsländern.

Malthus und kein Ende

Die Angst vor der wachsenden Bevölkerung wird beispielsweise deutlich bei Paul Ehrlich, der zu seiner Zeit beim BMZ Anfang der 70er Jahre neomalthusianisches Vokabular benutzte und die Bedrohung durch das Bevölkerungswachstum gleichrangig sah mit der Verschmutzung von Luft und Wasser und sie als so gefährlich wie Atomwaffen einstufte – die Dritte Welt als Chaospotential. 1984 titelt auch der SPIEGEL einen Artikel mit “Hört auf, wir sind schon zu viele!” Dieser Bericht über die Weltbevölkerungskonferenz in Mexiko nennt zwar Ursachen von “Unterentwicklung” und Armut, hebt dann aber das “generative Verhalten” als wichtigste Ursache hervor: Familienplanung und ein notwendiger Wandel bürgerlicher Werte und Tugenden entschieden über das Wohl und Wehe von “Entwicklung”.
Die internationalen Entwicklungshilfe-Organisationen betreiben heute nicht mehr “Bevölkerungspolitik”, sondern “Familienplanung” und wollen dem Charakter der selbstbestimmten Geburtenregelung so begrifflich gerechter werden. Familienplanung wird mittlerweile als Teil medizinischer Grundversorgung konzipiert, statt offen Zwangsmaßnahmen zu vertreten, die auf Widerstand und Kritik stoßen. Heute wirken materielle Anreize, sozialer Druck oder eben die Verbindung mit “Gesundheitsprogrammen”, die Familienplanungsmaßnahmen zum Ziel führen sollen. So proklamiert die GTZ die “gesunde Familie”, beziehungsweise seit neuestem die “gesunde Familie und ihre Umwelt”.
Die Ökologisierung der Probleme, die angeblich durch die explosionsartige Zunahme der Weltbevölkerung verursacht sind, bestimmt nunmehr die Positionen. Die Debatte der Bevölkerungspolitik verlagert sich heute auf die Themenkopplung von Bevölkerungsentwicklung und Umwelt. Es wird ein direkter Zusammenhang zwischen der globalen ökologischen Krise und dem Bevölkerungswachstum in den südlichen Ländern hergestellt. Die Forderung nach Bevölkerungskontrolle wird lauter, die Warnung vor dem “Menschenboom” drastischer.

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