Öl ins Feuer
Die Subventionierung „grüner Projekte“ könnte die Landkonflikte in Honduras weiter zuspitzen
Wir sitzen im Bus und fahren durch die honduranische Landschaft Richtung Bajo Aguán. Ein gelber Zettel ist von innen an die gesprungene Windschutzscheibe geklebt. Er weist uns als Teil der Menschenrechtsmission aus, die in diesen Tagen einen Besuch der agrarwirtschaftlich höchst relevanten Region im Norden des Landes vornimmt. Keiner von uns weiß, was uns erwartet. Man hatte uns mehrmals versichert, dass hier die Krise der honduranischen Demokratie am deutlichsten zu Tage treten würde und die katastrophale Menschenrechtslage am greifbarsten sei. Hier treten sich die Kontrahenten des politischen Konflikts offen gegenüber: Auf der einen Seite die traditionellen Machteliten, in deren Händen sich Wohlstand und Landbesitz konzentrieren, auf der anderen die Bevölkerung, die auf eine gerechtere und sozial verträglichere Gesellschaftsentwicklung hofft. Beide Parteien erheben Anspruch auf das Nutzland in der Region.
Um als „hochverschuldetes Entwicklungsland“ von einem Schuldenerlass zu profitieren, wurde Honduras Ende der 1990er Jahre von der Weltbank verpflichtet, Auflagen zur Armutsbekämpfung zur erfüllen. Die Umsetzung der Landreform, die in den 1970er Jahren beschlossen worden war, sollte Teil dieser Maßnahmen sein. Sie sah die Verteilung agrarwirtschaftlich nutzbarer Flächen des Staatsgebietes an landlose Bauern und Bäuerinnen vor, um ihnen eine Selbstversorgungsgrundlage zu verschaffen. Auch Teile des Aguán-Tales waren hierfür bestimmt. Doch im Zuge neoliberaler Strukturanpassungsmaßnahmen eröffnete ein Modernisierungsgesetz von 1992 die Möglichkeit zu profitorientierter Landnutzung durch Privatunternehmen. InvestorInnen kauften die Grundstücke zu Schleuderpreisen. Damit rückte eine gesicherte Existenz und Ernährungssouveränität für große Teile der honduranischen Landbevölkerung wieder in weite Ferne.
Erst Präsident Manuel Zelaya griff die Reformansätze wieder auf, doch ausgerechnet kurz bevor sein entsprechender Erlass vom April 2008 umgesetzt werden konnte, wurde er aus dem Amt geputscht. Nach den umstrittenen Wahlen von 2009 erfolgten zwischen Bauern- und Bäuerinnenorganisationen der Region und der frisch etablierten Regierung Porfirio Lobos neue Verhandlungen. Obwohl die neuen Machthaber bemüht waren, ihr Image demokratisch aufzupolieren, wurden die Abkommen unter höchst repressiven Bedingungen getroffen. Menschenrechtsorganisationen wie FIAN International prangern an, dass die hohe Präsenz von Militär und privaten Sicherheitskräften für ein Klima der Einschüchterung und Bedrohung sorgten und Morde an Mitgliedern von Bauernorganisationen straflos blieben.
Nachdem die Hoffnungen auf Gerechtigkeit durch den Putsch in sich zusammengefallen waren, hatten Bauernfamilien Siedlungen auf dem umstrittenen Land errichtet, um Druck auf die De-facto Regierung auszuüben, und begonnen, dort Anbau für ihre Zwecke zu betreiben.
In Tocoa, unweit der Atlantikküste, beziehen wir das Hotel, das für die nächsten drei Tage Ausgangspunkt der Menschenrechtsbeobachtung und Medienbegleitung sein wird. Von hier aus brechen wir am folgenden Tag mit unserem gelb gekennzeichneten Kleinbus zu einer bäuerlichen Landbesetzung in Paso Aguán auf, deren Räumung angekündigt worden war. Das Grundstück gehört zum Besitz Miguel Facussés, der mit seinem Palmöl-Unternehmen Dinant einen Großteil des Aguán-Tals vereinnahmt und unter den Bauern und Bäuerinnen als ausgesprochen skrupellos gilt. Begleitet wird die Räumungsankündigung durch eine umfassende Medienkampagne. Konservative honduranische Tageszeitungen berichten von „Terror in Aguán“. Damit meinen sie die Bauernbewegungen und nicht die Großgrundbesitzer, deren Privatarmeen erfahrungsgemäß in Menschenrechtsfragen wenig zimperlich sind. Nach offiziellen Angaben werden 1.000 Maschinengewehre in den Bauernsiedlungen vermutet.
Bei der Ankunft in Paso Aguán bietet sich uns allerdings ein anderes Bild: Bauern, Bäuerinnen, Greise und Kinder packen gerade ihr spärliches Hab und Gut zusammen und räumen das Feld. Den Menschen stehen die Strapazen der letzten Monate deutlich ins Gesicht geschrieben. Die ehemaligen Unterkünfte sind leer, Plastikplanen, die auf den Palmenblatthütten Wände und Dächer abgedichtet hatten, brennen vor sich hin. Persönliche Gegenstände sind in den Wirren des Aufbruchs zurückgelassen worden und liegen im Dreck.
AugenzeugInnen berichten uns, dass eine umfangreiche Entmilitarisierung der Zone kurz vor unserem Eintreffen stattgefunden habe. Trotzdem ist das Militäraufgebot, dem wir vor Ort begegnen, beachtlich. Die Uniformierten sind schwer bewaffnet, ein Maschinengewehr, das am Eingang zur Siedlung positioniert ist, wird bei unserer Ankunft hastig von den Soldaten mit Tarnfolie abgedeckt. Die Obrigkeit gibt sich deeskalierend, wir können uns ungehindert im Gebiet bewegen und dürfen fotografieren.
Nun erfolgt der Auftritt des polizeilichen Einsatzleiters, einem kernigen Typ aus der Hauptstadt, der sich nahezu unbewaffnet in die Menge begibt und dem Pulk aus JournalistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen äußerst redegewandt Frage und Antwort steht. Er wolle die Gesellschaft von innen verändern, man kämpfe für gemeinsame Ziele, erläutert er in Mikrophone und Kameras. Schließlich lässt er es sich nicht nehmen, mit ernster Miene ein selbstverfasstes sozialkritisches Gedicht vorzutragen.
Auf eindringlicheres Nachfragen unsererseits fällt er dann allerdings doch unerwartet aus seiner Rolle. Minutenlang kommt er über die ständige Wiederholung der Worte „Vielen Dank für Ihren Beitrag zum Frieden“ nicht hinaus, es klingt auswendig gelernt.
Immer wieder ermahnt er die Sicherheitskräfte, die Gesichtsvermummung abzunehmen, als wäre dies nicht die übliche Handhabung. Zu den brennenden Überresten der Behausungen kommentiert er, ihm sei kein einziger Fall dokumentierter Brandstiftung durch Polizisten bekannt.
Die vertriebenen Bauern und Bäuerinnen kommen in einer nahegelegenen Gemeinde unter, die nach dem Befreiungstheologen und Revolutionär Guadalupe Carney benannt worden ist. Vor gut zehn Jahren hatten bäuerliche Familien hier ehemaliges Militärgelände und erklärtes Reformland bezogen und seither eine gut organisierte Gemeinschaftsstruktur aufgebaut. Als Bauernbewegung von Aguán nahmen sie an den Verhandlungen mit der Regierung Lobo teil und sollen die Rechte an ihrem Niederlassungsgebiet behalten. Da erhebliche Teile des Abkommens seitens der Regierung allerdings nicht eingehalten wurden, hatten die Anwohner gerade eine Straßenblockade errichtet, deren gewaltsame Räumung vom Militär angedroht worden war. In Anbetracht der anwesenden Menschenrechts- und Mediendelegation wurde das Eingreifen der Truppen jedoch verschoben.
Am zweiten Tag hat ein Soldat vor unserem Hotel Stellung bezogen. Durch die verglaste Gebäudefront hat er Einsicht in die Lobby. Wir ziehen uns zur Besprechung lieber in den hinteren Gebäudeteil zurück. Gemeinsam mit der Medien- und Menschenrechtsdelegation steht für diesen Tag der Besuch verschiedener Fincas an, deren BewohnerInnen bereits formal als Landeigentümer anerkannt sind. Dessen ungeachtet beansprucht der Großgrundbesitzer Miguel Facussé das Land jedoch weiterhin für sich und versucht die Bauern mit Räumungsklagen einzuschüchtern. Private Sicherheitsfirmen sorgen in der Gegend für Angst und Schrecken. Die Bauern und Bäuerinnen auf den Palmölplantagen berichten von vermummten Sicherheitskräften, die das Feuer auf Zivilisten eröffneten. Einer der Bauern präsentiert neun Schusswunden an seinem Oberkörper.
Bei der Fahrt von einer Siedlung zur nächsten zieht über Kilometer hinweg der immer gleiche Anblick am Busfenster vorbei: Stelenartig stehen die abgeernteten Palmenstämme in Reih und Glied. Von der tropentypischen Biodiversität ist dazwischen wenig geblieben. Die Kleinbauern und Landlosen, die in diesem Kontext wirtschaften müssen, befinden sich in unmittelbarer Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern und Abnehmerfirmen. Umweltschutzorganisationen wie Rettet den Regenwald e.V. warnen seit Jahren vor den ökologischen und sozialen Konsequenzen des Ölpalmenanbaus.
Weil das Palmöl, das aus den Früchten der Bäume hergestellt wird, in Agrokraftstoffen allerdings eine bessere Kohlendioxid-Bilanz aufweist als herkömmliche fossile Brennstoffe, kann bei seinem Anbau die Reduktion von Treibhausgasausstoß geltend gemacht werden. Damit wird er Gegenstand von Emissionshandel und im Sinne des Kyotopotokolls als „grünes Projekt“ anrechenbar.
Ausgerechnet Dinant, die Firma Miguel Facussés, könnte bald zu den NutznießerInnen dieser Förderungen gehören. Sie erhält bereits finanzielle Unterstützung durch Gesellschaften der Weltbank und eine Kooperation mit der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft befindet sich in Planung.
Ein Umstand, der die Position von Bauern und Bäuerinnnen in Aguán weiter verschlechtert. Dass die Sozialverträglichkeitsstandards für derartige Projektfinanzierung in Bajo Aguán bisher bei Weitem nicht eingehalten wurden, verdeutlicht auch die traurige Bilanz von 19 ermordeten Mitgliedern verschiedener Bauernorganisationen seit Januar 2010.
Juan Galindos, Vizepräsident der Vereinten Bauernbewegung des Aguán (MUCA), beschreibt die verzweifelte Situation: „Wir haben Angst vor den paramilitärischen Strukturen, die hier offensichtlich aufgebaut werden, aber wir müssen weiter für unsere Rechte eintreten. Wenn wir es nicht schaffen, unseren rechtmäßigen Landbesitz zu verteidigen – wo sollen wir dann hin?“