Nummer 509 – November 2016 | Peru

(ÖL-)SCHLAMMSCHLACHT IM AMAZONAS

Eine erneute Ölpest im peruanischen Tiefland befeuert Privatisierungspläne des Erdölsektors – um Umweltschutz geht es dabei aber nicht

Seit Ende vergangenen Jahres häufen sich die Unfälle entlang der wichtigen Nor-Peru Erdölpipeline (Oleoducto Nor-Peru). Immer wieder sind die Flüsse des peruanischen Amazonasgebiets von Verschmutzungen durch Öl betroffen. Indigene Gemeinschaften werden dadurch vergiftet, die Umwelt zerstört. Das Equipment der staatlichen Erdölgesellschaft Petro-Peru ist überaltert, doch Spezialist*innen vermuten auch gezielte Sabotage hinter den Vorfällen.

Von Thilo F. Papacek
(Foto: Privat)

Es war der siebte Unfall in diesem Jahr. Am 25. September berichtete der Dorfvorsteher der indigenen Gemeinde Monterrico in der nordöstlichen Tieflandregion Loreto, Pastor Dahua, von einer erneuten Ölpest. Diesmal trat das Öl etwa zwei Stunden entfernt von der Gemeinde Nueva Alianza aus der Pipeline aus. Über einen Kilometer lang und etwa eineinhalb Meter tief ist der Ölsee, der entstanden ist. In angrenzenden Gewässern sind bereits tote Fische gefunden worden. Die Gefahr ist groß, dass das Öl in den nahegelegenen Marañón-Fluss eindringt und so noch größeren Schaden anrichtet. Viele umliegende Gemeinden sorgen sich um ihre Gesundheit und fürchten die Umweltverschmutzung. Pastor Dahua, der in Kontakt mit nationalen Umweltorganisationen steht, wurde telefonisch von der Gemeinde Nueva Alianza über den Unfall benachrichtigt. Kurz zuvor hatte er einen Helikopter zweimal über das Gebiet fliegen sehen. Danach machten sich einige Dorfbewohner*innen auf den zwei Stunden langen Weg, um den entstandenen Schaden zu begutachten.
Immer wieder gibt es im amazonischen Tiefland – nicht nur in Peru, auch in Bolivien, Brasilien oder Ecuador – Unfälle bei der Erdölförderung. Doch, was in den vergangenen Monaten in Peru geschieht, ist besorgniserregender. Praktisch jeden Monat seit Dezember ereignet sich ein ähnlicher Vorfall, bei dem Erdöl aus der Nordperuanischen Ölpipeline austritt.
Vor einigen Wochen, anlässlich des fünften Erdölunfalls in diesem Jahr, veröffentlichte die rechte, neoliberal orientierte Zeitung El Comercio am 4. September ein Editorial, in dem sie die „Modernisierung“ des staatlichen Erdölkonzerns Petro Peru verlangte. Laut El Comercio gebe es für das Staatsunternehmen zu wenige Anreize, etwas zu ändern. So werde es „anfällig dafür, die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, um eine langfristig durchführbare Operationalität zu gewährleisten, schleifen zu lassen.“ Auf diese Weise arbeite Petro Peru allein durch Steuern und auf Kosten aller Peruaner*innen weiter. Insbesondere diejenigen, die im Staatsunternehmen „die letzte Bastion der unternehmerischen Tätigkeit des Staates“ sehen, würden sich gegen Modernisierungsversuche aber wehren. Der Text nannte namentlich den Abgeordneten für die linke Frente Amplio, Manuel Dammert, und den Präsidenten der Nationalen Koalition der Gewerkschaften von Petro Peru, Juan Castillo More. Sie sähen in den Modernisierungsplänen, die das Kabinett des neu gewählten Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski präsentiert hatte, eine „verdeckte Privatisierung“.
Gewerkschaftschef Castillo More schrieb zu dem Editorial einen Antwortbrief, der am 15. September auch in der Zeitung publiziert wurde. Darin erklärte er, El Comercio zeige mit dem Editorial, dass es auch in der neuen Regierung wieder „seine Rolle als Nabelschnur“ für diejenigen einnehmen wolle, die weitere Privatisierungen fordern. „Sie wollen, wie schon früher, die Agenda der neuen Regierung diktieren“, warf Castillo More dem Blatt vor. „Hohe Funktionäre von Petro Peru, die nur aus politischen Überlegungen an ihre Posten gekommen sind und die weder Erfahrung in der Materie noch Sachkenntnis besitzen, erklären, die Ölaustritte seien die Folge davon, dass in den vergangenen 16 Jahren weder Inspektionen noch Wartungsarbeiten durchgeführt worden sind“, schrieb er weiter. Das seien alarmistische Aussagen, die von einer sensationslüsternen Presse aufgegriffen würden und an der Realität vorbeigingen. Bewusst werde so versucht, das Image des Staatskonzerns zu beschädigen, um weitere Privatisierungen von Ölfeldern vorzubereiten. El Comercio arbeite dazu mit einer Lobby Hand in Hand, die in dem Staatskonzern eine Beute sehe, warf Castillo More dem Blatt vor.
Etwa ein Viertel aller Vorfälle gingen auf direkte Sabotage zurück, erklärte Castillo More. Auch am 25. September in der Gemeinde Nueva Alianza wurde kurz vor der Entdeckung des Lecks ein unbekannter Hubschrauber gesichtet – viele sehen in solchen Ungereimtheiten Hinweise auf Sabotageaktionen. Aber Erdölunfälle kommen in der Region schon seit langem immer wieder vor. Und seit Jahrzehnten ist die Art, wie der peruanische Staat auf solche Umweltkatastrophen reagiert, mangelhaft.
Wenn man sich jedoch anschaut, wie Privatunternehmen im peruanischen Amazonasgebiet Öl fördern und mit Unfällen umgehen, wird deutlich, dass weitere Privatisierungen keine Lösung für die sich häufenden Ökokatastrophen sind. 2011 wurde Edwin Alejandro Berrospi als Umweltspezialist angefragt, um die Folgen eines Öllecks zu untersuchen, das in der indigenen Gemeinde Pucacuro in der Provinz Trompeteros in Loreto vorgefunden wurde. Dort war aus den Förderanlagen des argentinischen Unternehmens Plus Petro Öl ausgelaufen und hatte eine cocha, einen abgeschnittenen Flussarm im Amazonasgebiet, verschmutzt.
„Für die Bevölkerung ist das größte Problem, dass die Fische und das Wasser verseucht werden. Die indigenen Gemeinschaften im Tiefland leben vor allem von Fisch und haben auch keinen anderen Zugang zum Wasser als über die cochas und die Flüsse“, sagte Berrospi den Lateinamerika Nachrichten. Er ist Umweltingenieur aus dem zentralperuanischen Pasco und arbeitet für die Umweltorganisation Muqui, die sich unter anderem für Menschen einsetzt, die von den Folgen von Bergbau und Erdölförderung betroffen sind.
„Der See war voller Ölschlamm. Alle Fische in dieser cocha wurden vergiftet, unglaublich viele sind gestorben“, erzählte Berrospi über den Vorfall an der cocha Atiliano von 2011. Das hatte auch Folgen für die Gesundheit der Anwohner*innen: „Diese cocha ist die wichtigste Nahrungsquelle für die Menschen aus der nahegelegenen Siedlung der Indigenen. Die Menschen des Dorfes haben diesen Fisch gegessen und davon gesundheitliche Beeinträchtigungen davongetragen.“
Auf den Unfall habe das private Unternehmen aus Argentinien völlig unangemessen reagiert, erklärt Berrospi: „Die Indigenen beschwerten sich, aber die Firma blieb untätig. Die Produktion ging weiter. Vertreter der Firma sagten: Das sind nur Zwischenfälle, eigentlich arbeiten wir sauber weiter! Aber das stimmte nicht, es trat ständig Öl aus.“
Grund für den Unfall war die fahrlässige Steuerung der Anlage durch Plus Petro: „Um die Produktivität der Förderanlage zu erhöhen, haben sie mehr gepumpt als vorgesehen. Durch die größere Menge gab es mehr Reibung in den Rohren und die Temperatur in der Pipeline erhöhte sich. So stieg der Druck, die Rohre bekamen Risse und Öl trat aus.“
Das argentinische Unternehmen Plus Petro sei beileibe nicht das einzige, das durch mangelhafte Wartung seiner Anlagen die Gesundheit der amazonischen Bevölkerung aufs Spiel setze und Umweltkatastrophen in Kauf nehme, erzählt Berrospi weiter: „Ein ähnlicher Fall, den ich untersucht habe, ereignete sich 2012 in der Region Ucayali, in der Caanan de Cachiyacu. Dort ging der Unfall vom kanadischen Unternehmen Maple Gas aus. Der ganze Ucayali-Fluss (zusammen mit dem Marañón ein Quellfluss des Amazonas; Anm. d. Red.) war vom Unfall betroffen.“
Seit Beginn der Ölförderung im Amazonasgebiet kommt es regelmäßig zu Unfällen. Als in den 1990er Jahren unter der Regierung Fujimori zahlreiche staatliche Ölquellen privatisiert worden waren, änderte sich die Situation aber nicht: Auch private Erdölunternehmen verschmutzen die Umwelt. Die kanadische Firma Maple Gas ist beispielsweise seit über 40 Jahren in Peru aktiv. Entschädigung für die zahlreichen Umweltschäden, die in den Jahrzehnten entstanden sind, fordern Indigene, die um ihre Fördergebiete herum leben, vergeblich.
Denn auch ohne Unfälle sind die Folgen der Erdölforderung im Tiefland enorm: „Viele Dörfer werden für die Ölindustrie umgesiedelt. Und da viele indigene Dorfgemeinschaften keine legalisierten Landtitel haben, ist es für die Ölfirmen ein leichtes, sie einfach zu vertreiben“, erzählt Berrospi. Hinzukommen massive Umweltprobleme, gibt Berrospi zu bedenken: „Für die Förderanlagen werden große Waldflächen gerodet. Dadurch ist viel Bodenverlust zu beklagen. Wenn die Vegetation verschwindet, sind die Erosionsschäden nach Regenfällen auch viel schlimmer.“
Auch beim staatlichen Unternehmen Petro Peru kommt es zu diesen Problemen sowie zu Unfällen, zuletzt sogar vermehrt. Sind Forderungen nach einer Modernisierung bei Petro Peru somit nicht auch berechtigt? Das bejaht Berrospi, doch er gibt etwas anderes zu bedenken: „Einige Spezialisten vermuten, dass hinter den häufigen Ölunfällen bei Petro Peru eine Mafia steht, die Sabotage begeht. Es wird vermutet, dass man mit den häufiger aufkommenden Unfällen argumentieren kann, dass private Unternehmen vorsichtiger sind und weniger Unfälle produzieren. Damit wollen interessierte Parteien dann weitere Privatisierungen legitimieren.“ Berrospi steht in der Debatte mit El Comercio auf der Seite Manuel Dammerts und Castillo Mores: „El Comercio hat sich noch nie für die Interessen der indigenen Gemeinschaften interessiert, die von der Erdölförderung betroffen sind. Sie haben nur ihre ökonomischen Interessen im Kopf. Sie wollen, dass der Erdölsektor privatisiert wird. Sie haben schon früher die neoliberale Politik des Fujimorismus unterstützt.“
Doch wie würde eine Politik aussehen, die angemessen auf die aktuelle ökologische Krise in Peru reagiert? „Ich glaube, dass Petro Peru weiter als Staatsunternehmen operieren sollte. Aber die Infrastruktur muss modernisiert werden, viele Werkteile sind veraltet. Aber es ist keine Lösung, das Unternehmen zu verkaufen“, meint Berrospi. Doch eines ist ihm am wichtigsten: „Petro Peru sollte seine Mechanismen in der Umweltkontrolle verbessern, insbesondere was die Partizipation der betroffenen Bevölkerung angeht. Sie sollten in wichtigen Fragen mitentscheiden müssen.“
Glaubt Berrospi, dass die neue Regierung eine solche Politik durchsetzen wird? Darauf antwortet er mit einem klaren „Nein“ und führt aus: „Wir erwarten nichts von Pedro Pablo Kuczynski, im Gegenteil. Er ist ein Neoliberaler, der die selbe Politik verfolgt wie seine Vorgängerregierungen, Fujimori, Alan García oder Ollanta Humala und so weiter. Sein politisches Modell basiert auf Extraktivismus. Er will die Wirtschaft ausschließlich über den Abbau und Export von natürlichen Rohstoffen beleben. Die Bevölkerung ist ihm dabei völlig egal.“

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