Olga
Die Geschichte einer Revolutionärin
Olga wurde geboren als Tochter von Leo Benario, einem Rechtsanwalt in München und einflußreichen Persönlichkeit der Sozialdemokratie während der Weimarer Zeit, und Eugenie Gutmann Benario, die ihrerseits aus einer reichen jüdischen Familie stammte. Mit 15 Jahren war Olga bereits aktiv in der kommunistischen Jugend und bekannt für ihre Verwegenheit.
Nach einer spektakulären Aktion, in der Olga ihren Partner, den bekannten deutschen Kommunisten Otto Braun, aus der Haftanstalt Berlin-Moabit befreite, flüchtete sie vor der deutschen Polizei in die Sowjetunion. Dort wurde sie militärisch geschult und stieg schnell auf in der Stufenleiter der kommunistischen Hierarchie. Sie sollte teilnehmen an der wichtigsten Mission der Kommunistischen Internationale (Komintern) in Lateinamerika. In ihrer Verantwortung lag die persönliche Sicherheit von Luis Carlos Prestes, mythenumrankter brasilianischer Revolutionär. Luis Carlos Prestes an sich war schon eine Legende. Gemeinsam mit einem kleinen Heer war es ihm in der Absicht, gegen Elend und Unterdrückung zu kämpfen, gelungen, zu Pferd und zu Fuß das gesamte brasilianische Territorium zu durchqueren. Die ganze brasilianische Armee wurde gegen ihn aufgeboten, aber er wurde nie wirklich besiegt. Schließlich mußte auch Prestes fliehen und ging in die Sowjetunion. Er würde zurückkehren, um 1935 den ersten kommunistischen Umsturzversuch auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu leiten.
Während der riskanten Reise quer durch Europa und die Vereinigten Staaten, getarnt als ein wohlhabendes Paar aus Portugal, verliebten sich Olga und Prestes ineinander.
In Brasilien stießen die beiden auf die anderen Gesandten der Komintern: Arthur Ewert, ehemaliger Reichstagsabgeordneter und seine Frau Elisa, genannt Sabo; die Argentinier Rodolfo und Carmen Ghioldi; der US-Amerikaner Victor Allen Barron, das russische Paar Pavel und Sofia Stuchewski, verantwortlich für die Finanzen und für das ganze Netz der Komintern in Lateinamerika; die Deutschen Jonny und Erika de Graf, er Sprengstoffexperte, sie Schreibkraft und Fahrerin. Im Untergrund begannen sie, den Aufstand zu organisieren.
Doch der Aufstand mißlang, die Bewegung zerschlagen. Viele wurden verhaftet oder ermordet.
Olga und Prestes flohen, und einige Wochen noch konnten sie sich vor den Polizei-Schergen des Staatsschutzes von Rio de Janeiro verbergen. Am Morgen des 5. März 1936 wurden die zwei Flüchtigen gestellt. Die Polizisten hatten den Befehl, Prestes zu erschießen. In einem verzweifelten Akt stellte sich Olga zwischen die Schützen und ihren Liebhaber – Prestes überlebte. Beide wurden verhaftet. In der Einsamkeit ihrer Einzelzelle entdeckte Olga, daß sie von Prestes schwanger war. Glücklich träumte sie noch davon, freizukommen und Luis wiederzusehen. Einige Tage später jedoch wurde Olga an das nationalsozialistische Deutschland ausgeliefert.
In dem Gestapo-Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße 15 bekam Olga ihre Tochter, Anita Leocádia. Olga versuchte, ihre Tochter von den vier schmutzigen Wänden ihrer Zelle abzulenken. Und das erste Mal in ihrem Leben hatte sie wirklich Angst. Denn sie wußte, daß man ihr Anita Leocádia wegnehmen würde, sobald sie sie nicht mehr stillen kann.
Neun Monate später wurde ihr das Kind entrissen. Aufgrund einer von ihrer Schwiegermutter initiierten internationalen Kampagne (ihre eigene Mutter weigert sich, etwas zu unternehmen) wurde das Kind gerettet und der Familie übergeben. Schmerzerfüllt befand sich Olga jedoch noch lange Zeit in dem Glauben, daß ihre Tochter in ein nazistischen Heim übergeben wurde. Tagelang nahm sie nichts zu sich, stand nicht mehr auf. Sie dachte an die Tochter, an die Zärtlichkeit ihrer winzigen Hände; Olga wollte sterben. Doch nach und nach begann sie wieder zu hoffen, eines Tages ihr Kind und Prestes wiederzusehen. Nur nicht aufgeben.
Sie wurde ins KZ Ravensbrück eingeliefert. Dort entschied sie sich, ihre Leidensgenossinen zu organisieren und anzuführen. Gemeinsam versuchten sie den Hunger, den Wahnsinn und die Gewalt zu überleben.
Gleichzeitig hatten die stalinistischen Säuberungsaktionen ihre Höhepunkte. Fast alle Freunde Olgas wurden verhaftet oder ermordet. 1939, nach dem Hitler-Stalin-Pakt, gab es Anzeichen, daß man Olga freilassen könnte, doch die sowjetischen Regierung unternahm nichts.
Olga sah Prestes und ihr Kind nicht wieder. 1942 ermordeten sie die Nazis in einer Gaskammer bei Bernburg.
Luis Carlos Prestes wurde mit der Absetzung der Regierung Vargas 1945 freigelassen. Die Tochter Anita lebt heute in Rio de Janeiro.
Die Geschichte von Olga Benario ist der Spiegel einer Epoche des Obskurantismus und des Terrors. Es ist das faszinierende und erschütternde Abbild einer Frau, die glaubte, mit ihren Träumen, ihrem Mut und sogar mit ihrem Tod die Welt erleuchten zu können.
Zum Weiterlesen empfehlen wir das Buch “Olga” von Fernando Morais, das die Autorin zur Zeit für eine Verfilmung bearbeitet.