Migration | Nummer 251 - Mai 1995

Olga

Die Geschichte einer Revolutionärin

Idealistin? Spionin der Roten Armee? Abenteuerin? Söldnerin der Revolution? Hel­din der Arbeiterbewegung? Romantikerin? Ihr bewegtes Leben zwischen den Konti­nenten, ihr politischer Kampf und ihr früher Tod durch die Gewalt der Naziherr­schaft haben Olga Benario Prestes zu einer Legende werden lassen. Wer war sie wirklich?

Rita Buzzar

Olga wurde geboren als Toch­ter von Leo Benario, einem Rechtsanwalt in München und einflußreichen Persönlichkeit der Sozialdemokratie während der Weimarer Zeit, und Eugenie Gutmann Benario, die ihrerseits aus einer reichen jüdischen Fa­milie stammte. Mit 15 Jah­ren war Olga bereits aktiv in der kom­munistischen Jugend und be­kannt für ihre Verwegenheit.
Nach einer spektakulären Ak­tion, in der Olga ihren Partner, den bekannten deutschen Kom­munisten Otto Braun, aus der Haftanstalt Berlin-Moabit befrei­te, flüchtete sie vor der deut­schen Polizei in die Sowjetunion. Dort wurde sie militärisch ge­schult und stieg schnell auf in der Stufenleiter der kommunisti­schen Hierarchie. Sie sollte teil­nehmen an der wichtigsten Mis­sion der Kommunisti­schen Inter­nationale (Komintern) in Latein­amerika. In ihrer Ver­antwortung lag die persönliche Sicherheit von Luis Carlos Prestes, mythen­umrankter brasilianischer Revo­lutionär. Luis Carlos Prestes an sich war schon eine Legende. Gemeinsam mit einem kleinen Heer war es ihm in der Absicht, gegen Elend und Unterdrückung zu kämpfen, gelungen, zu Pferd und zu Fuß das gesamte bra­silianische Ter­ritorium zu durch­queren. Die ganze brasilia­nische Armee wurde gegen ihn aufge­boten, aber er wurde nie wirklich besiegt. Schließ­lich mußte auch Prestes fliehen und ging in die Sowjetunion. Er würde zurück­kehren, um 1935 den ersten kommunistischen Umsturzver­such auf dem lateinamerika­nischen Kontinent zu leiten.
Während der riskanten Reise quer durch Europa und die Ver­einigten Staaten, getarnt als ein wohlhabendes Paar aus Portugal, verlieb­ten sich Olga und Prestes ineinander.
In Brasilien stießen die beiden auf die anderen Gesandten der Komintern: Arthur Ewert, ehe­maliger Reichstagsabgeordneter und seine Frau Elisa, genannt Sabo; die Argentinier Rodolfo und Carmen Ghioldi; der US-Amerikaner Victor Allen Barron, das russische Paar Pavel und So­fia Stuchewski, verantwortlich für die Finanzen und für das ganze Netz der Komintern in Lateinamerika; die Deutschen Jonny und Erika de Graf, er Sprengstoffexperte, sie Schreib­kraft und Fahrerin. Im Unter­grund begannen sie, den Auf­stand zu organi­sieren.
Doch der Aufstand mißlang, die Bewegung zerschlagen. Vie­le wurden verhaftet oder er­mordet.
Olga und Prestes flohen, und einige Wochen noch konnten sie sich vor den Polizei-Schergen des Staatsschutzes von Rio de Janeiro verbergen. Am Morgen des 5. März 1936 wurden die zwei Flüchtigen gestellt. Die Po­lizisten hatten den Befehl, Prestes zu erschießen. In einem verzweifelten Akt stellte sich Olga zwischen die Schützen und ihren Liebhaber – Prestes über­lebte. Beide wurden verhaftet. In der Einsamkeit ihrer Einzelzelle entdeckte Olga, daß sie von Prestes schwanger war. Glück­lich träumte sie noch davon, freizu­kommen und Luis wieder­zusehen. Einige Tage später je­doch wurde Olga an das natio­nalsozialistische Deutschland ausgeliefert.
In dem Gestapo-Frauenge­fängnis in der Berliner Barnim­straße 15 be­kam Olga ihre Toch­ter, Anita Leocádia. Olga ver­suchte, ihre Toch­ter von den vier schmutzigen Wänden ihrer Zelle abzulenken. Und das erste Mal in ihrem Leben hatte sie wirklich Angst. Denn sie wußte, daß man ihr Anita Leocádia wegnehmen würde, sobald sie sie nicht mehr stillen kann.
Neun Monate später wurde ihr das Kind entrissen. Aufgrund ei­ner von ihrer Schwiegermutter initiierten internationalen Kam­pagne (ihre eigene Mutter wei­gert sich, etwas zu unternehmen) wurde das Kind gerettet und der Familie übergeben. Schmerzer­füllt befand sich Olga jedoch noch lange Zeit in dem Glauben, daß ihre Tochter in ein nazisti­schen Heim übergeben wurde. Tagelang nahm sie nichts zu sich, stand nicht mehr auf. Sie dachte an die Tochter, an die Zärtlichkeit ihrer winzigen Hän­de; Olga wollte sterben. Doch nach und nach begann sie wieder zu hoffen, eines Tages ihr Kind und Prestes wiederzusehen. Nur nicht aufgeben.
Sie wurde ins KZ Ravens­brück eingeliefert. Dort ent­schied sie sich, ihre Leidensge­nossinen zu organisieren und an­zuführen. Gemeinsam versuch­ten sie den Hunger, den Wahn­sinn und die Gewalt zu überle­ben.
Gleichzeitig hatten die stalini­stischen Säuberungsaktionen ihre Höhepunkte. Fast alle Freunde Olgas wurden verhaftet oder ermor­det. 1939, nach dem Hitler-Stalin-Pakt, gab es Anzeichen, daß man Olga freilassen könnte, doch die sowjetischen Regierung unternahm nichts.
Olga sah Prestes und ihr Kind nicht wieder. 1942 ermordeten sie die Nazis in einer Gaskam­mer bei Bernburg.
Luis Carlos Prestes wurde mit der Absetzung der Regierung Vargas 1945 freigelassen. Die Tochter Anita lebt heute in Rio de Janeiro.
Die Geschichte von Olga Be­nario ist der Spiegel einer Epo­che des Obskurantismus und des Terrors. Es ist das faszinierende und er­schütternde Abbild einer Frau, die glaubte, mit ihren Träumen, ih­rem Mut und sogar mit ihrem Tod die Welt erleuch­ten zu können.

Zum Weiterlesen empfehlen wir das Buch “Olga” von Fern­ando Morais, das die Autorin zur Zeit für eine Verfilmung bear­beitet.

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