Nicaragua | Nummer 443 - Mai 2011

Ortega im Höhenflug

In Nicaragua deutet alles auf eine Wiederwahl Daniel Ortegas hin

Die Umfragewerte für Daniel Ortega sind so hoch wie nie seit der Abwahl der Sandinisten im Jahr 1990. Die liberalen Oppositionsparteien schaffen es nicht, glaubwürdige Alternativen zur aktuellen Politik zu präsentieren und stehen laut Umfragewerten vor einem historischen Debakel.

Eberhard Albrecht

Seit Ende März ist auch offiziell klar, wer am 6. November 2011 in Nicaragua zur Wahl stehen wird. Fünf politische Gruppierungen haben beim Obersten Wahlrat (CSE) ihre Kandidaten für Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft eingeschrieben. Neben der Allianz „Vereint triumphiert Nicaragua“ unter Führung der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) stellen sich drei liberale Parteiallianzen sowie die ebenfalls liberale Einzelpartei ALN zur Wahl. Nennenswerte Ergebnisse werden dabei wohl nur die Bündnisse um die sandinistische FSLN und die liberalen Parteien PLC und PLI erziehlen.
Bereits seit Monaten ist bekannt, dass Daniel Ortega erneut als Präsidentschaftskandidat der FSLN antritt. Obwohl die Oppositionsparteien Ortegas Kandidatur für verfassungswidrig halten und dessen Ausschluss verlangten, wies der von der FSLN dominierte Wahlrat alle Anfechtungen zurück. Der CSE beruft sich dabei auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom Oktober 2009, das Daniel Ortega entgegen den Verfassungsbestimmungen seine erneute Kandidatur erlaubt (siehe LN 426).
Neben Ortega stellt sich ein weiterer Altbekannter zur Wahl: Der wegen Geldwäsche und Korruption zu 20 Jahren Haft verurteilte und seit Januar 2009 freigesprochene Ex-Präsident Arnoldo Alemán kandidiert für „seine“ liberale PLC. Der dritte nenneswerte Kandidat für die Präsidentschaft ist der Journalist Fabio Gadea, der für die „Nationale Union für die Hoffnung“ unter Führung der PLI antritt (siehe LN 438). Als sein Vize wurde Edmundo Jarquín benannt, der 2006 Präsidentschaftskandidat der Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS) war. Die MRS ist der wichtigste Partner in Gadeas Allianz. Wirkliche Neuerungen gab es also auch auf Seiten der Opposition nicht.
Für Überraschungen sorgte indes die Bekanntgabe des Vizepräsidenten der FSLN, die den ehemaligen Chef der Streitkräfte Omar Hallesleven als Kandidaten zum Vizepräsidenten benannte. Damit hatte niemand gerechnet. Geschickt hat Ortega bei diesem Schachzug Macht und Reputation der Streitkräfte für seine politischen Ziele genutzt. Die Militärs werden es mit Wohlwollen registrieren, dass einer der ihren mit der Kandidatur geehrt wird. Und die NicaraguanerInnen, die bei Meinungsumfragen seit Jahren die Streitkräfte als die vertrauenswürdigste Institution bezeichnen, werden sich im November bei der Stimmabgabe zusätzlich von ihrer Sympathie für das Militär leiten lassen. Nebenbei weist die Kandidatur von Hallesleven auf das Selbstbewusstsein hin, mit dem Ortega in die nächste Wahl geht. Die FSLN, die seit 1990 nie eine Mehrheit in der Nationalversammlung hatte, tritt zwar wieder als Allianz „Vereint triumphiert Nicaragua“ an, wählt aber als Vize erstmals eine Person aus ihren eigenen Reihen. Hallesleven, im Sandinistischen Volksheer (EPS) aufgestiegen, ist seit ewigen Zeiten in der FSLN aktiv.
Und Ortegas Selbstbewusstsein scheint momentan durchaus berechtigt. In einer Ende März durchgeführten Meinungsumfrage gaben 47,8 Prozent der Befragten an, ihm im November ihre Stimme geben zu wollen. Für Fabio Gadea sprachen sich 12,8 Prozent und für Arnoldo Alemán sogar nur 5,7 Prozent der Befragten aus. Wenn man bedenkt, dass die FSLN seit 1990 bei Wahlen nie mehr als 40 Prozent erreicht hat, sind das bemerkenswerte Zahlen. Für die Opposition hingegen sind die aktuellen Umfragewerte vernichtend. Sie konnte sich gegenüber den Ergebnissen der vorangegangen Umfrage vom Dezember 2010 nicht verbessern.
Noch bemerkenswerter als die Wahlpräferenzen sind jedoch die Zustimmungswerte zur aktuellen Regierungspolitik. Laut Umfrage sind 58 Prozent mit der Politik Ortegas einverstanden. Nur 19 Prozent sind unzufrieden. Vor einem Jahr war dies noch umgekehrt. Damals erklärten sich 22 Prozent mit der Regierungspolitik zufrieden und 55 Prozent unzufrieden. In einem Augenblick, da die gesamte Presse des Landes der Regierung mehr als kritisch gegenüber steht, ist das beachtlich.
Dennoch ist auch diese Zustimmung zur Regierung nicht uneingeschränkt. Eindeutige Kritik einer großen Mehrheit der Befragten findet zum Beispiel die Art und Weise, wie Ortega seine Wiederwahl durchgesetzt hat. Und auch das Verhalten des Obersten Wahlrats, der im November keine Wahlbeobachtung gestatten will, kritisieren die meisten. Dass trotzdem so viele außerhalb der traditionellen Anhängerschaft der FSLN Ortega wählen wollen, kann man deshalb mit Sicherheit als vehemente Kritik an der Opposition interpretieren. Dass es den liberalen Parteien nicht gelungen ist, sich auf einen einzigen Kandidaten oder eine Kandidatin zu einigen, sondern dass die PLC den WählerInnen den korrupten Arnoldo Alemán präsentiert und die ALN einen ehemaligen Offizier der somozistischen Guardia, ist an sich schon ein Skandal. Entscheidend aber ist, dass keine Oppositionspartei bisher glaubwürdige Alternativen zur Politik der FSLN aufgezeigt hat. Zu den sozialen Problemen, die den WählerInnen am meisten unter den Nägeln brennen, hat man von der Opposition nichts gehört. Doch auch andere Fragen bleiben bisher unbeantwortet: Wie will eine neue Regierung die Beziehungen zu Venezuela gestalten? Wie steht sie zu dem für die nicaraguanische Wirtschaft immens wichtigen Erdölabkommen mit diesem Land? Die Opposition bleibt bei ihrer einzigen politischen Aussage, dass eine Wiederwahl Ortegas verfassungswidrig ist und wiederholt diese bis zur totalen Ermüdung aller.
Was die WählerInnen hingegen von einer FSLN-Regierung unter Daniel Ortega zu erwarten haben, das haben sie in den letzten vier Jahre erlebt. Die sozialen Vergünstigungen für die Ärmeren der Bevölkerung sind vielfältig. Da gibt es nicht nur die bekannten Programme wie das Null-Hunger-Programm. Da wird in Managua der Fahrpreis der Stadtbusse subventioniert und Staatsangestellte erhalten einen Solidaritätsbonus. RentnerInnen und BewohnerInnen der Armenviertel bekommen Zuschüsse für Strom, Wasser und Telefon und vor kurzem wurden 100 Familien, die bisher im Zentrum von Managua in den Ruinen des Erdbebens von 1972 gelebt hatten, in Sozialwohnungen umgesiedelt. Aber auch besser gestellte HandwerkerInnen oder KleinunternehmerInnen wissen zu schätzen, dass die Zeiten der unkalkulierbaren Stromausfälle vorbei sind. Sie erkennen an, dass die Regierung – vor allem mit der Unterstützung Venezuelas – die Stromerzeugung systematisch ausgebaut hat. Die liberalen Vorgängerregierungen haben das Problem 16 Jahre lang nicht in den Griff bekommen.
Ein weiterer Grund für die augenblickliche Popularität der Regierung ist zudem der schwelende Grenzkonflikt zwischen Nicaragua und Costa Rica (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Im vergangenen Oktober hatte Nicaragua mit Baggerarbeiten im Mündungsdelta des Grenzflusses Río San Juan begonnen. Da dort der Grenzverlauf zwischen den beiden Ländern umstritten ist, entwickelte sich schnell ein eskalierender Konflikt: Costa Rica reklamierte Grenzverletzungen und Umweltschäden, Nicaragua schickte Soldaten, was Costa Rica wiederum als Angriff auf seine Souveränität auffasste. Das Problem beschäftigt inzwischen den Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. In Nicaragua, wie auch in Costa Rica, ist jedenfalls Patriotismus angesagt. Nicas sticheln gegen Ticos und das Volk schart sich um die Regierung, die den Popularitätszuwachs sichtlich genießt.
Es ist daher verständlich, dass Daniel Ortega und die FSLN den Wahlen im November entspannt entgegen sehen. Natürlich kann in einem halben Jahr noch viel geschehen und die derzeit noch mehr als 30 Prozent unentschlossen WählerInnen sind ein erheblicher Unsicherheitsfaktor. Die Wahlziele der FSLN sind jedoch ungeachtet dessen sehr selbstbewusst. Sie geht davon aus, dass sie die Mehrheit der Abgeordneten in der Nationalversammlung stellen wird und strebt sogar eine qualifizierte Mehrheit an. Letzte gäbe ihr die Möglichkeit, selbstständig Verfassungsänderungen zu beschließen. Davon träumt Daniel Ortega schon seit langem und nicht nur die Opposition warnt „vor einer drohenden Diktatur“.
Indes wirkt es nicht so, als könne die Opposition ein großes Hindernis für das Erreichen dieses Ziels sein. Dabei ist sowohl an der Regierung Ortegas als auch am Wahlprozess wirklich einiges zu kritisieren. Bei der Verwendung der Mittel aus Venezuela fehlt es an Transparenz und die verschiedenen Sozialprogamme begünstigen vor allem die Bedürftigen, die der Regierung politisch nahe stehen. Die Art und Weise wie Ortega Justiz und Verfassung für seine persönlichen Machtinteressen instrumentalisiert, ist genauso inakzeptabel wie die Manipulationen der Wahlbehörde, die beispielsweise Personalausweise für die WählerInnen schnell und kostenlos an FSLN-Mitglieder ausgibt, während andere lange warten und zudem 15 US-Dollar zahlen müssen. Doch um dies zu kritisieren bedarf es einer glaubwürdigen Opposition und keiner wie der PLC, die in der Vergangenheit immer wieder mit der FSLN paktiert hat und dadurch Mitverantwortung trägt am derzeitigen Zustand von Justiz und Wahlbehörde.

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